30. september 2007


Eigentlich hätte hier jetzt ein kleiner Text mit angehender Ernsthaftigkeit geschrieben werden müssen. Wieso relief besser ausdrückt, was gemeint ist. Mehr als Linderung oder Erleichterung. Oder Befreiung. Alles drin. Wenn der Schmerz nachlässt. Auf einmal nichts weh tut. Gerade noch so schwer und schwerfällig und endlich unerwartet leicht. Wenigstens für einen guten Moment. Zu spüren, dass die Seele nicht mehr vom Seil fällt, keine Gefahr. Und der Bauch hat auch aufgehört zu ziehen. Als ich vor einer Woche Bilder archivierte, fand ich Bilder von mir, von vor wenigen Jahren. Ich wusste damals nicht, welche Traurigkeit mir im Gesicht stand. Dass sich Enttäuschung eingegraben hatte. Ich wusste es wirklich nicht. Und damals war ich weniger unverbunden als heute. Das ist doch verrückt.

Aber anstatt zu erklären, warum relief es trifft, werde ich dieses neue Spielzeug ausprobieren, das aus meinen alten Texten einen neuen schreibt. Auf geht's:

born with the deep going passionate energy of jupiter, which is mainly prospering and flourishing and includes any powerful and optimistic color, with the deep going passionate energy of scorpio, which means quite good energy to me. not for pussies." letzten montag

Da ist jetzt aber ein bißchen doppelt gemoppelt. Und dann ausgerechnet Englisch zum Einstand. Na gut, der erste Versuch! Im Namen der dichterischen Freiheit will ich nicht meckern.

Nur der jähe Abbruch nach "letzten Montag" gibt mir zu denken. Ein heikles Thema, das nun doch nicht weiter ausgeführt werden kann? Hochanständig hingegen, dass der Autor des neuen Textes immer ordentlich auf die Quellen verweist, aus denen das frische Werk zusammengefrickelt ist. Und sehr toll ist natürlich, dass man jetzt endlich einen Grund hat, bei sich selber zu kommentieren!
g a g a - So, 30. Sep, 02:23

No. 2

dabei wollte ich heute genauso wenig öffentlich ein intimeres tagebuch schreiben. ich bin um irgendwas gegen halbsechs (?) aufgewacht, völlig ausgeschlafen und wollte vielleicht nur den stuhl ein wenig meditieren vielleicht. ggf. ein glas milch mit honig vor dem mann auf zigarrenplakat | mein schuh, der den Sand in kleinen Plastikgefäßen. Dem Verstorbenen werden Glasprothesen eingesetzt. Sie unterscheiden

Sie unterscheiden also, hört hört. Das mit den halben Sätzen am Schluss scheint System zu haben. Vermutlich, um den Leser neugierig auf die Fortsetzung zu machen. Ganz schön ausgefuchst!

yvonne erber - Mo, 8. Okt, 10:11

ich glaube, ich habe jetzt meinen kommentar und ihre antwort gelöscht! ich füge also alles noch einmal ein, auch meine antwort auf ihre antwort und zur sicherheit diese davor. ich wollte alles in der richtigen reihenfolge haben. tut mir leid. mich irritiert diese zarte schrift.

liebe grüsse

M.S.
yvonne erber - Mo, 8. Okt, 10:14

wie denn da "ausgefuchst"?

warum denn keine halben sätze?
warum denn kein intimeres Tagebuch?
warum denn ein fragezeichen nach irgendwas gegen halbsechs?
halbsieben wär besser?
oder halbacht?

Dem Verstorbenen werden Glasprothesen eingesetzt.
mit so etwas kann ich heut nicht aufwarten.
keine einzige traumerinnerung, nicht ein fitzelchen.
nichts in den tag gerettet.

allerdings: Glasprothesen?
dachte, die seien immer aus titan!
weil titan keine immunologischen abstossungsreaktionen bewirkt.
Glas hingegen...

ggf. ein Glas Milch mit Honig – damit treffen sie mich.
ggf. auch ein Glas Milch mit banane.
oder diese in ein müsli hineingeschnitten.
ggf. das müsli aus flocken usw. selbst zu bereitet.
ggf. schokoladeplättchen hineingemischt.
ggf. dazu noch vanillejoghurt draufrinnen lassen.

Sie unterscheiden?
natürlich, jedenfalls zwischen den lebenden und den Verstorbenen.
diese sitzen sowieso überall, wenn man sie wahrnehmen will.
die welt ist so vollerVerstorbener, dass man sich abschotten muss vor dem gedanken, dass sie überall anwesend sind.

keine antwort bekommen auf die frage: wie viele tote seit dem ersten menschen?
schon besser: wie viele menschen haben jemals gelebt?
ich schätze: 20 milliarden.
und sie?

dabei geht es um ein logistisches wachstum.
daraus ergibt sich ein nichtlineares gleichungssystem.
das wiederum ist mit dem newton-verfahren zu lösen.

die frage, die sich anschliesst: wo fängt man an?
ggf. beim beginn unserer zeitrechnung, dem sog. jahr 0?
ok, das ergebnis wäre dann 57 milliarden.
da ist schon die rasant abnehmende lebenserwartung in den vergangenen jahrhunderten eingerechnet.
lagen sie auch so daneben wie ich?

das kann auffüllen, für die vergangenen 10.000 jahre.
je nach rechenmodell kommt man auf 70 bis 80 milliarden.

sie sehen, was das wort Verstorbenen in mir ausgelöst hat.
allerdings kommen die nicht wirklich wieder.
so lese ich es jedenfalls in einem buch, das ich gerade in arbeit habe.
darin geht es um hamlet und einen westafrikanischen stamm.
die autorin glaubt daran, shakespeares stück sei universell verständlich.
doch dass der geist des vaters von hamlet erscheint, wird heftig in frage gestellt.
jemand, der gestorben ist, kann nicht herumgehen.
man kann ihn weder sehen noch hören.
man kann ihn nicht berühren.
sie akzeptieren auch nicht den "ghost" als schatten.
tote werfen keine schatten.

ich wollte noch auf ihren hinweis auf dieses neue Spielzeug eingehen.
tatsächlich: man will immer wieder neue ergebnisse sehen.
bei mir kamen sie immer auf deutsch.
der allererste Text, ein kleiner:

„so ein zufall. Liebe Leserinnen und Leser!
dann folgen weitere zitate.
und am schluss mein traum, der ihnen die Heiligsprechung nach ihrem Opfertod sichert.
„Opfer hält sich bereit“: dahinter steckt einerseits ein Kommando.
Oder jemand sieht überall Opfer, er könnte also überall seinen Mantel mit anderen Interessentinnen, gar Assistentinnen ausprobiert haben, zum Beispiel das Legen eines Bypasses geübt.
Andererseits ist das Animistische im Sinne.“

liebe grüsse

MARIASPILUTTINI

yvonne erber - Mo, 8. Okt, 10:18

g a g a - 5. Okt, 15:01

warum denn kein intimeres Tagebuch?
weil Menschen, die meine Wege kreuzen, denken und fühlen und mein Tunnelblick wenn auch interessant, unwahrscheinlich der Weisheit letzter Schluß ist. Öffentlichkeit liebt Abgründe (wie ich) aber Abgründe lieben keine Öffentlichkeit. Ich halte es für heikel und fatal, jemanden vorzuführen, dem man in der einen oder anderen Weise verbunden ist, ob in Liebe oder Abscheu. Heftige Gefühle, Schwarz oder Weiß verdienen Respekt, Vorsicht und eine langwierige, komplexe Betrachtung. Ich denke in langen Zeiträumen. In sehr langen Zeiträumen. Überdimensional.

Der Glasprothesensatz stammt aus keiner Traumsequenz, sondern ist der originale Wortlaut der Informationsseite einer "Augenbank". Augenprothesen sind aus Glas. Wer seine Hornhaut zur Spende freigibt, erteilt damit die Erlaubnis zur vollständigen Entfernung des ganzen Augapfels, der im Anschluss präpariert wird, indem die verwertbare Hornhaut abgelöst wird und der Rest des Augapfels entsorgt wird. Die Toten erhalten nach Entnahme der Augäpfel Glasprothesen in die Augenhöhlen, damit die Hinterbliebenen den Anblick ihrer Toten verkraften. (das Animistische im Sinne)
yvonne erber - Mo, 8. Okt, 10:21

Tunnelblick – dies wird auch mir immer gesagt.
du hast einen Tunnelblick!
dabei habe ich nichts gegen die einschränkung des blickfelds.
ich weiss: ich sehe nur das, was in meiner blickrichtung liegt.
das umso schärfer, aber auch intensiver.
die restliche welt erscheint wie ein unscharfer rahmen.
so stehe ich immer beim eingang des Tunnels, mit Blick auf dessen ende.

da kreuzen, wie auch bei ihnen, menschen die Wege.
die ich jedoch schnell aus meiner welt wegschaffen kann, indem ich die augen schliesse.
allerdings bin ich realistisch genug, sie wieder zu öffnen.
damit wäre der augentest beendet: sind sie noch da, sind es keine erscheinungen.
natürlich weiss ich, dass es sich um denkende und fühlende wesen handelt.
und dass ich nur aufgrund ihrer handlungen, ihrer äusserungen auf das schliessen kann, was in ihnen vorgeht.

ich bin für ver-äusserungen, die denen, die meine Wege kreuzen, ein zeichen zu geben.
mein blick ist auf sie – in form ihres gaga-weblogs – gefallen, weil sie sich auf eine so insistente und eindringliche weise ver-äussern – in form ihrer fotografischen selbstdarstellungen.
daran kam ich nicht vorbei.
dabei ist es ja gerade das fragmentarische dieser ver-äusserungen, das ihren reiz, auch ihre verführung aus macht.

ja, sie führen – so weit ich das sehen konnte – niemanden vor.
sie sind zugleich diskret und exhibitionistisch.
diskret den kreuzenden menschen gegenüber; exhibitionistisch sich selbst gegenüber.
mit einer gewissen scheu, deren kehrseite eben dieses eindringlichkeit ist.
man kann sich ihrem Blick, ihren augen nicht so einfach entziehen.
es ist ja nicht so, dass sie das nicht wüssten.
es ist auch nicht so, dass sie damit nicht spielten.
dieses spiel, auch die verführung, es ihnen gleichzutun, gehört zu ihren Abgründen.

für mich ist es kein widerspruch, heftige gefühle zu äussern und doch den respekt vor denen. die sie hervorrufen, zu bewahren.
sicher auch dankbarkeit dafür, dass es diese überhaupt gibt.
andererseits treibt mich manchmal der über-mut zu einer gewissen überspitzung, die ich jedoch für klärend halte.

ich wundere mich oft über meine coolness, meine gleichmässige art, mit meinen gefühlen umzugehen.
aufblühen, zugreifen, rückzug – diese handlungsfolge wiederholt sich.
dazwischen bleibt aber genug zeit, über die komplexität des lebens nachzudenken, ohne sich zurückzunehmen.

Überdimensional – also der dimensionen entbunden (damit der verantwortung für die minuten und stunden, in denen wahrscheinlich heiterkeit auf tragödisches folgt – und umgekehrt) – wäre für mich zu hoch gegriffen.
ich möchte doch sehr auf dem boden bleiben.
mir machen schon 3 dimensionen genug zu schaffen.
ich möchte den alltäglichen schmerz nicht ausblenden, ihn auch zu vermindern.
sie nicht auch?

im übrigen sind mir die nachteile des Tunnelblicks nicht entgangen.
wenn sie mit schauen wahrnehmen oder erkennen meinen, bezeichnet er die unfähigkeit, dinge wahrzunehmen, die ausserhalb des interessensradius liegen.
ich kenne meine scheuklappen.
ich mag sie nicht.

eine steigerung von scheuklappe wären Augenprothesen, damit der verlust des gesichtsinns.
für mich würde das – wahrscheinlich auch für sie – das ende eines glücklichen, aktiven und autonomen lebens bedeuten.
augenlos, ohne augensinn – das wäre ein verlust von 90% der welt.
ein völlig unerträglicher gedanke!

liebe grüsse

MARIASPILUTTINI .
g a g a - Mo, 8. Okt, 14:01

Fein beobachtet.

Das alte Wort "hüte deine Zunge". Ich bedaure hin und wieder, wenn ich im Austausch hinter den Kulissen nicht genug daran denke. Wenn der Drache Feuer speit. Es ist nicht leicht, Worte zurückzuholen. Die Manifestation auf anderen Ebenen ringt mir Respekt ab. Die Frage, ob etwas Heil oder Unheil nach sich zieht. Was man herbeiruft. "Die Geister, die ich rief". Filigranes Terrain.

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