10. Mai 2011
Neue Post gekriegt! Im Auftrag der Senatsverwaltung hat mir Dr. Leps geschrieben, ganz schön ausführlich. Es ging um den Berliner Forschungs-Atomreaktor, der mich neulich bewegte, an unseren Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zu schreiben.
Hier der Link zu meinem Brief und der Antwort von vor vier Wochen.
Gerade also kam die Mail von Dr. Leps, in der er sich zunächst mit folgenden Worten für die etwas verzögerte Antwort entschuldigt, was ich durchaus zu würdigen weiß. Hier der Original-Wortlaut:
: :
Betreff: Ihre Post an Wowi
Datum: Tue, 10. May 2011 19:19:31
unverhofft kommt oft!
Geben Sie's zu... mit einer Antwort haben Sie nicht mehr gerechnet... Ich will besser gar nicht versuchen zu beschreiben, welche Odyssee der Vorgang hinter sich hat...
Mit Entschuldugung namens des Senats
und freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Dr. Leps
Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz
Abt. II, Integrativer Umweltschutz
: :
Und als Anlage eine ausführliche Antwort mit vielen, zum Teil überraschenden Erklärungen. Man steckt ja nicht drin, in den Container-Kisten. Weil die Antwort derart umfangreich ist, poste ich sie extra als Kommentar zu diesem Eintrag. Wie es sich gehört, habe ich mich sogleich für die Antwort bedankt und zwar mit dem folgenden Schreiben:
: :
Re: Ihre Post an Wowi
Datum:Tue, 10. May 2011 20:28:04
Lieber Dr. Leps,
vielen Dank für die ausführliche Antwort.
Ich dachte mir schon, dass Sie sich Mühe mit der Antwort geben werden und wollte Ihnen auch die Bearbeitungszeit zugestehen.
Das ist ja alles sehr erhellend und in gewisser Weise auch beruhigend. Fänden Sie es aber nicht noch beruhigender, wenn das Risiko auf Null Komma Null heruntergefahren würde?
Es wird doch schon genug im Lande herumgeforscht mit diesen heiklen Substanzen, zumal das Ganze, das werden Sie zugeben, nun nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Ich bin ja sehr für Forschung, aber da gibt es doch bestimmt gesündere Forschungsgebiete, auf denen sich unsere Berliner Forscher tummeln können.
Denken Sie bitte darüber nach. Berlin soll doch weiterhin auch in der Wissenschaft als eine Stadt gelten, die für zukunftsweisende Wissenschaft steht. Schauen Sie mal, es gibt im Feld der Energiegewinnung so viele andere Technologien, wo Ihr Fachwissen nützlich eingebracht werden kann.
Ich denke mir, dass es für so einen Wissenschaftler doch auch ein schönes Gefühl sein muss, wenn an seinem Forschungsgebiet nicht dauernd herumgemäkelt wird, sondern er mit stolz geschwellter Brust von sich sagen kann: "mein Forschungsgebiet ist ohne Tadel!"
Sicher wissen Sie, dass Otto Hahn mit seiner und Lise Meitners Erfindung der Kernspaltung und ihrer potenziellen Nutzung für Kriegszwecke nicht restlos glücklich war. Das Bedauerliche an dem Ganzen ist ja nur, dass es sich nicht so leicht auseinanderdividieren lässt, will sagen, ein funktionierendes Kernkraftwerk unter ungünstigen Umständen zur Bombe mutieren kann. Aber das wissen Sie ja selbst.
Und dass die Entsorgung der Brennstoffe ein grundsätzliches Problem der Erdbewohner ist, wissen Sie ja auch. Insofern fände ich es vorbildlich, wenn Berlin an dieser Stelle eine Zäsur macht, um ein publicityträchtiges Statement für das Ende einer Ära zu setzen. Diese Atomkraft-Geschichte gehört in die Experimentierära des letzten Jahrhunderts und Sie wollen doch ein moderner Wissenschaftler sein! Kein altbackener. In der Mode würde man sagen: "Atomkraft ist frumpy!"
Also, geben Sie sich einen Ruck und zeigen Sie mir und den anderen Berlinern, dass wir auch im Bereich der Wissenschaft die tollste, modernste Stadt des ganzen Erdkreises sind. Ich möchte stolz auf meine Senatsverwaltung für Wissenschaften sein.
Mit freundlichen Grüßen
aus Berlin Mitte!
Ihre
Gaga Nielsen
ATOMKRAFT IST FRUMPY!
Hier der Link zu meinem Brief und der Antwort von vor vier Wochen.
Gerade also kam die Mail von Dr. Leps, in der er sich zunächst mit folgenden Worten für die etwas verzögerte Antwort entschuldigt, was ich durchaus zu würdigen weiß. Hier der Original-Wortlaut:
: :
Betreff: Ihre Post an Wowi
Datum: Tue, 10. May 2011 19:19:31
unverhofft kommt oft!
Geben Sie's zu... mit einer Antwort haben Sie nicht mehr gerechnet... Ich will besser gar nicht versuchen zu beschreiben, welche Odyssee der Vorgang hinter sich hat...
Mit Entschuldugung namens des Senats
und freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Dr. Leps
Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz
Abt. II, Integrativer Umweltschutz
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Und als Anlage eine ausführliche Antwort mit vielen, zum Teil überraschenden Erklärungen. Man steckt ja nicht drin, in den Container-Kisten. Weil die Antwort derart umfangreich ist, poste ich sie extra als Kommentar zu diesem Eintrag. Wie es sich gehört, habe ich mich sogleich für die Antwort bedankt und zwar mit dem folgenden Schreiben:
: :
Re: Ihre Post an Wowi
Datum:Tue, 10. May 2011 20:28:04
Lieber Dr. Leps,
vielen Dank für die ausführliche Antwort.
Ich dachte mir schon, dass Sie sich Mühe mit der Antwort geben werden und wollte Ihnen auch die Bearbeitungszeit zugestehen.
Das ist ja alles sehr erhellend und in gewisser Weise auch beruhigend. Fänden Sie es aber nicht noch beruhigender, wenn das Risiko auf Null Komma Null heruntergefahren würde?
Es wird doch schon genug im Lande herumgeforscht mit diesen heiklen Substanzen, zumal das Ganze, das werden Sie zugeben, nun nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Ich bin ja sehr für Forschung, aber da gibt es doch bestimmt gesündere Forschungsgebiete, auf denen sich unsere Berliner Forscher tummeln können.
Denken Sie bitte darüber nach. Berlin soll doch weiterhin auch in der Wissenschaft als eine Stadt gelten, die für zukunftsweisende Wissenschaft steht. Schauen Sie mal, es gibt im Feld der Energiegewinnung so viele andere Technologien, wo Ihr Fachwissen nützlich eingebracht werden kann.
Ich denke mir, dass es für so einen Wissenschaftler doch auch ein schönes Gefühl sein muss, wenn an seinem Forschungsgebiet nicht dauernd herumgemäkelt wird, sondern er mit stolz geschwellter Brust von sich sagen kann: "mein Forschungsgebiet ist ohne Tadel!"
Sicher wissen Sie, dass Otto Hahn mit seiner und Lise Meitners Erfindung der Kernspaltung und ihrer potenziellen Nutzung für Kriegszwecke nicht restlos glücklich war. Das Bedauerliche an dem Ganzen ist ja nur, dass es sich nicht so leicht auseinanderdividieren lässt, will sagen, ein funktionierendes Kernkraftwerk unter ungünstigen Umständen zur Bombe mutieren kann. Aber das wissen Sie ja selbst.
Und dass die Entsorgung der Brennstoffe ein grundsätzliches Problem der Erdbewohner ist, wissen Sie ja auch. Insofern fände ich es vorbildlich, wenn Berlin an dieser Stelle eine Zäsur macht, um ein publicityträchtiges Statement für das Ende einer Ära zu setzen. Diese Atomkraft-Geschichte gehört in die Experimentierära des letzten Jahrhunderts und Sie wollen doch ein moderner Wissenschaftler sein! Kein altbackener. In der Mode würde man sagen: "Atomkraft ist frumpy!"
Also, geben Sie sich einen Ruck und zeigen Sie mir und den anderen Berlinern, dass wir auch im Bereich der Wissenschaft die tollste, modernste Stadt des ganzen Erdkreises sind. Ich möchte stolz auf meine Senatsverwaltung für Wissenschaften sein.
Mit freundlichen Grüßen
aus Berlin Mitte!
Ihre
Gaga Nielsen
ATOMKRAFT IST FRUMPY!
g a g a - 10. Mai 2011, 20:34
Datum 19.04.2011
Frau Gaga Nielsen
Sehr geehrte Frau Nielsen,
die Senatskanzlei leitete Ihre mail vom 30.3.2011 an die fachlich zuständige Senatsverwaltung weiter. Ich antworte daher für die Berliner atomrechtliche Aufsichtsbehörde:
Das Helmholtz-Zentrum.
Berlin ist ein Großforschungszentrum mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Institute und Einrichtungen. Eine davon, die Zentralstelle für radioaktive Abfälle (ZRA), ist die Berliner Landes-Sammelstelle für schwach- und mittelaktive Abfälle aus Medizin und Industrie. Die Bundesländer sind verpflichtet, Landessammelstellen zur Aufbewahrung solcher „alltäglichen“ radioaktiven Abfälle zu unterhalten, während die Kernkraftwerke und anderen Kernanlagen generell verpflichtet sind, ihre Abfälle in eigenen Zwischenlagern aufzubewahren. Entsprechend befinden sich in der ZRA keine Brennelemente aus dem Forschungsreaktor oder sonstige Kernbrennstoffe.
Der von Ihnen zitierte Artikel aus der NRHZ enthält ein Foto mit drei Containern, die in der Tat außerhalb der Lagerhalle abgestellt worden sind. Zwei von ihnen tragen kein Strahlenwarnzeichen; sie enthalten nur einen Vorrat leerer Behälter. Der dritte trägt ein Strahlenwarnzeichen aus einem eher juristischen Grund: Wenn Material aus einem Bereich oder Umgang stammt, der der Überwachung unterliegt, es aber selbst nicht oder nicht mehr radioaktiv ist, dann ist ihm die Eigenschaft „als nicht radioaktiv freigegeben“ durch Verwaltungsakt zuzuerteilen. Bis dahin gelten die – physikalisch nicht radioaktiven - Materialien vor dem Gesetz als definitionsgemäß radioaktiv.
Der dritte Behälter enthält solche Materialien. Sie sind als nicht radioaktiv bereits aus der Handhabung durch die ZRA entlassen (und nicht mehr im Bearbeitungs- und Lagergebäude), warten aber noch auf den Verwaltungsakt. Bis dahin ist das Warnsymbol Pflicht...
Der Forschungsreaktor BER II hat kein Entsorgungsproblem. Seine Entsorgung ist langfristig gesichert.
Diese Forschungsneutronenquelle dient nicht etwa der Reaktorforschung, sondern einzig der Produktion von Neutronen für Untersuchungen an Materialien. Ich empfehle hier https://www.helmholtz-berlin.de/aktuell/pr/pm/pm-archiv/index_de.html für eine Übersicht. Viele der dort beschriebenen Forschungsprojekte setzen die einzigartig in Berlin vorhandene Möglichkeit ein, ein Material sowohl mit Neutronen als auch mit energiereichem Licht (Röntgenstrahlen) untersuchen zu können, so dass die Befunde verglichen werden können.
In keinem Falle müsste um das Institut ein 30 km breiter Gürtel evakuiert werden oder wäre gar unbewohnbar.
Zunächst wird die Neutronenquelle drucklos und bei niedriger Temperatur betrieben. Sie wird in einem Becken von neun Metern Wasser überdeckt.
Der Reaktorkern enthält ca. 6 - 7 kg spaltbares Uran und 30 – 35 kg Uran insgesamt (gegenüber den 5 Tonnen und mehr spaltbarem Material in über 100 Tonnen Uran in einem Kernkraftwerk).
Viele „Problemsituationen“, die bei einem Kernkraftwerk zu bedenken sind (wie z.B. die Notwendigkeit zur langdauernder Wärmeabfuhr oder das Handhaben von Überdruck), können bei dieser Bauart nicht auftreten.
Nun müssen aber für jede Anlage neben dem Normalbetrieb auch alle anderen möglichen Zustände betrachtet werden, im Falle von kerntechnischen Anlagen also auch Störfälle bis hin zum Auslegungsstörfall und darüber hinaus auch auslegungsüberschreitende Unfälle.
Der Auslegungsstörfall (auch GAU, für größter anzunehmender Unfall) ist der größte Unfall, der bei der Planung einer kerntechnischen Anlage anzunehmen ist, und dessen Beherrschbarkeit im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nachzuweisen ist. Dies heißt, dass selbst bei Eintritt des Auslegungsstörfalls kein Mensch in der Umgebung der Anlage einer Strahlenbelastung über dem in der Strahlenschutzverordnung festgelegten Grenzwert ausgesetzt werden darf. Für den BER II wurde nachgewiesen – und gerichtlich überprüft – dass der Auslegungsstörfall im Schmelzen eines Brennelements besteht. Bei einem solchen Auslegungsstörfall würde der Stahlliner (die innere Stahlauskleidung der Reaktorhalle) die Ausbreitung von radioaktiven Stoffen über den Luftweg ganz erheblich reduzieren, so dass die Einhaltung des Grenzwertes gesichert bleibt.
Die Strahlenschutzverordnung und das Katastrophenschutzgesetz fordern aber von den Betreibern kerntechnischer Anlagen und den zuständigen Behörden die Planung von Maßnahmen über diesen Störfall hinaus – also auch für Ereignisse, gegen die der Betreiber auf Grund der extrem geringen Eintrittswahrscheinlichkeit die Anlage nicht auslegen muss.
Dazu zählt z.B. eine massive Einwirkung von außen auf das Reaktorgebäude, etwa durch ein abstürzendes Flugzeug. Hiergegen ist die Reaktorhalle nicht ausgelegt, doch auch in einem solchen Fall wäre der Reaktor nicht ungeschützt. Er befindet sich wie beschrieben am Boden eines durch eine 2 m dicke Stahlbetonwand umgebenen Beckens, das sicherstellt, dass der Reaktorkern von Wasser überdeckt bleibt, selbst wenn die Reaktorhalle durch die Einwirkung von außen zerstört würde. Theoretisch wäre nur ein sehr präziser Treffer durch die Turbinenwelle eines schnell fliegenden Militärflugzeugs oder einer Verkehrsmaschine in der Lage, ein Leck in das Reaktorbecken zu schlagen. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis wird aber als derartig klein angesehen, dass das Risiko als hinnehmbar betrachtet wird. Auch diese Einschätzung der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde wurde mehrfach vor dem Oberverwaltungsgericht überprüft und bestätigt.
Unterstellt man aber dennoch eine Zerstörung des Stahlliners und des Reaktorbeckens, so könnte es dazu kommen, dass der Kern schmilzt und aus der zerstörten Halle eine Wolke radioaktiver Stoffe freigesetzt würde. Dann würden außerhalb des Anlagengeländes Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung erforderlich sein. Um auch für diesen Fall gerüstet zu sein, wurde für die Umgebung des Forschungsreaktors BER II ein Katastrophenschutzplan erstellt. Dieser regelt die Aufgaben für alle beteiligten Behörden und Einrichtungen für den Fall, dass es zu einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Umgebung kommt.
Im Rahmen der Erstellung der Unterlagen für den Katastrophenschutzplan für die Umgebung des BER II wurden unter Zugrundelegung der Bandbreite der über einen langen Zeitraum aufgetretenen realen Wetterabläufe Berechnungen durch das Forschungszentrum Karlsruhe durchgeführt. Daraus ergab sich für die Umgebung des BER II, dass bei Unterstellung einer Freisetzung des gesamten flüchtigen radioaktiven Inventars (vollständige Kernschmelze ohne Wasserabdeckung, zerstörte Halle) in den von der jeweiligen Windrichtung betroffenen Sektoren (also in Ausbreitungsrichtung) Maßnahmen maximal bis zu den folgenden Radien erforderlich werden können:
Evakuierung: bis zu 2 500 m
Einnahme von Jodtabletten durch Personen
unter 45 Jahren: bis zu 4 000 m
Verbleiben im Haus: bis zu 8 000 m
Einnahme von Jodtabletten durch Personen
unter 18 Jahren und Schwangere: bis zu 20 000 m
Maßstab hierfür sind die Eingreifrichtwerte der „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen“ des BMU.
Die gelegentlich behauptete Notwendigkeit für die Evakuierung einer 20 oder 30 Kilometer breiten Zone wird durch diese Berechnungen also nicht im geringsten gestützt.
Die Berechnungscodes des Forschungszentrums Karlsruhe sind anerkannt und bis heute Basis von national und international von offiziellen Stellen genutzten Ausbreitungsprogrammen. In ähnlicher Weise durchgeführte Rechnungen lagen auch zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung bereits vor und wurden durch die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mit positiven Ergebnis geprüft.
Natürlich stellt auch ein Forschungsreaktor ein Risikopotential dar, aber die gesellschaftlichen Vorteile, die aus den Ergebnissen einer Spitzenforschung erwachsen, rechtfertigen es, dieses Risiko in Kauf zu nehmen. Diese Abwägung zwischen Risiken und Nutzen nehmen wir übrigens, ohne dass uns das immer bewusst ist, auch auf vielen anderen Gebieten täglich vor.
Mit freundlichen Grüßen
im Auftrag
Dr. Leps
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