ich weiß es nicht. ich entdeckte es zufällig im sommer bei einem besuch auf dem waldfriedhof in dahlem. ich sah bisher noch nie ein so frisch ausgehobenes leeres grab, ohne die diversen umkleidungen für die bestattung. mich fasziniert der helle sand. berlin ist ja auf sand gebaut, das ist keine neuigkeit, aber dennoch verband ich mit erd- gräbern bislang immer die vorstellung von dunkler, feuchter, lehmiger erde mit allerlei gewürm. der blick in dieses grab und den aushub daneben, der helle sandberg, hat mir eine neue vorstellung eines erdgrabes gegeben.
Seit Tagen streune ich schon um dieses Posting. Schönes Grab. Technisch beruhigend. Obwohl ich sagen muss, ich würde lieber in ein dunkles modriges gehen als in ein helles. Obwohl?
Heute im Fitnesstudio unter der Dusche hab ich wieder nachgedacht. Ich glaube der Unterschied zwischen Verbrennen und Vermodern ist ähnlich wie der zwischen Verschwenden und Geben. Wenn ich modere gebe ich all das, was ich im Laufe meines Lebens verfressen habe, zumindest partiell wieder zurück. Eine gewisse wenn auch kurze Zeit stehe ich am Beginn der Nahrungskette. Dennoch will ich lieber brennen. Vielleicht wärmt sich ja jemand die Hände an mir.
der letzte satz. hände an deinem feuer wärmen...
zurückgeben. sich in den organischen prozess einreihen. ja. ich bin ganz unsicher geworden. als mein bruder vor mittlerweile achtzehn jahren in abwesenheit aller familie und angehöriger noch in der ddr verbrannt wurde, ich davon hörte, war ich irgendwie froh, weil ich dachte, mich so keinen zwangsvorstellungen seines verwesenden körpers aussetzen zu müssen. es hat mich beruhigt, die vorstellung, alles feuchte, zersetzende gewandelt zu wissen, durch heißes, lodern- des feuer, das zudem viel mehr seinem furiosen temperament zu gleichen schien. später dann hatte ich manchmal albträume, die sich auf genau dieses verbrennen bezogen, seines kopfes, seiner augen. ich schrieb einmal etwas darüber.
ich sah irgendwann einen dokumentarfilm über die praxis in krema- torien, wie es von statten geht, von der einlieferung des sarges bis zum aussortieren der beschläge aus der asche. es wirkte wie eine fabrik. die särge waren wie in einer art lagerhalle über mehrere ebenen auf schienen befestigt. dann rattert der sarg los, richtung ofen. es hat hierzulande (im gegensatz zu indien, wo man bekanntlich den tradi- tionellen verbrennungen der toten auf scheiterhaufen beiwohnen kann) so gar nichts rituelles an sich, eher etwas industrielles.
meine gedanken sind im laufe der jahre immer mehr in eine richtung gegangen, die sich mit der vorstellung auseinandersetzt, dass eine so plötzliche vernichtung der zellstrukturen vielleicht auf einer fein- stofflicheren ebene eine brachiale rückkoppelung bewirkt. das kann spinnerei sein oder aber nachdenkenswert. ich weiß es auch nicht. niemand kann genau definieren, wann der letzte seelenatem, der allerletzte hauch entweicht. vor vielen jahren hörte ich von einer frau, die totenwachen hält, wie es früher gang und gebe war: drei tage währendes wachen neben dem verstorbenen. sie beschrieb, dass sie während dieser wachen in den gesichtszügen, der ausstrahlung der toten, änderungen festzustellen meinte, die sie nicht auschließlich auf die kräfte der schwerkraft, nachlassender muskelspannung oder die totenstarre zurückführen wollte. aus einem mir nicht beschreibbaren grund schien mir die frau in vielem was sie sagte, glaubwürdig.
ein anderes phänomen, von dem ich hörte ist, dass bei amputierten, deren amputierte gliedmaßen nachweislich verbrannt wurden, der bei allen amputierten vorhandene phantomschmerz vergleichsweise als 'brennender' empfunden würde, als bei denen, deren gliedmaßen auf andere weise entsorgt würden. wobei ich nicht beurteilen kann, inwiefern es da nicht ohnehin vorschriften gibt, amputierte gliedmaßen einzuäschern. manche könnten allerdings auch zu forschungszwecken benutzt werden. das ganze ist etwas, über das ich mir nicht klar bin, aber immer wieder viel nachdenken muss. manchmal vielleicht ein bißchen zuviel. aber andererseits, lieber zu früh als zu spät...
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rollinger - So, 6. Nov, 03:20
aha sie waren wieder unterwegs auf dem Friedhof. Hab mittlerweile noch einen alten jüdischen Friedhof entdeckt, aber ich kann mit diesen Bildern nicht viel anfangen, die ich da geschossen habe.
zur Beruhigung, es ist egal ob verbrennen oder vermodern. Es geht nichts verloren, was sie jemals gegessen haben :-)
Es wird nur in diesem Fall teilweise durch die "Luft" abgebaut.
Alles was wir essen kommt immer irgendwie aus der Erde, und endet wieder dort.
die bilder sind schon älter, vom juni. zuletzt war ich ende august auf dem großen südwestkirchhof stahnsdorf, außerhalb von berlin, wo es sehr alte monumentale gräber gibt und vor allem berliner begraben sind, es war sozusagen ein ausgelagerter friedhof für berlin, weil der platz in berlin fehlte. der friedhof ist derart groß, dass es mir im gegen- satz zu sonst, nicht gelungen ist, ihn mir mit einem besuch zu er- schließen. ich hatte das gefühl, mich zu verlaufen. die gräber sind teilweise im wald und oft auch düster, manchmal unheimlich. dort könnte man einen ganz hervorragenden gruselfilm drehen. ich habe mich teilweise ein bißchen gefürchtet, wie rotkäppchen im wald. ich suchte das grab von lovis corinth, konnte es aber nicht finden, ich war zu weit entfernt, wusste es aber nicht, da ich blöderweise keinen plan dabei hatte. was man sonst ja auch nicht unbedingt braucht.
friedrich murnaus grab ist auch dort, allerdings auf einer art lichtung, ein relativ heller platz. dem grab bin ich bei meinem zufälligen um- herirren gleich in die arme gestolpert, obwohl ich auch nicht wusste, wo es liegt. es gab dort einmal eine lange friedhofsnacht (die ich leider versäumt habe), wo an bestimmten grabstätten ein programm ange- boten wurde, das einen bezug zu dem jeweiligen toten hatte. an murnaus grab wurde eine leinwand und ein filmprojektor aufgestellt und nosferatu gezeigt - mitten in der nacht, wohlgemerkt. dazu klavier- begleitung, im sinne der stummfilmtradition, ganz nach meinem ge- schmack.
ich war jetzt länger auf keinem friedhof, der vorletzte war der britische soldatenfriedhof für die gefallenen des zweiten weltkriegs. dieser fried- hof, mit den so gleich aussehenden weißen grabsteinen, scheint einen in eine andere welt zu versetzen, eine ganz besondere atmo- sphäre. einerseits pathetisch, andererseits sehr friedlich, hell und heiter, wegen der sonnigen lage, dem großen grünen englischen rasen und der so ganz und unmilitärisch wirkenden wilden blumen- bepflanzung.
ich war völlig alleine dort, später nachmittag, tiefstehende sonne. ich trat durch die steinernen arkaden des eingangsportals und die zeit schien auf einmal still zu stehen. absolute geräuschlosigkeit. ich ging über den unwahrscheinlich grünen, seltsam privat wirkenden, teppich- artigen rasen auf die entfernten grabreihen zu, in diesem moment wurde marlenes sag mir wo die blumen sind aus dem off eingeblen- det. ich hörte das stück in meinem kopf. die ganze zeit. es war wie in einem film, und ich war mittendrin.