09. September 2025



Julian Schütt, Autor von "Biographie einer Instanz", zweiter Teil der Dokumentation der Lebenswege von Max Frisch, in die Mitte genommen von Thomas Strässle und Michael Krüger. Die Biographie beginnt im Jahr 1955 und endet mit Frischs Todesjahr 1991.
In Max Frischs "Berliner Journal", das Notizen der Jahre 1973 - 1974 umfasst, fehlen wesentliche Teile von Frischs existierenden Aufzeichnungen, die aus Gründen des Schutzes privater Interessen noch Lebender von ihm selbst als gesperrt ausgewiesen wurden (ob befristet bis zum Tod der Betreffenden ist mir nicht geläufig). 1973 manifestierte sich der Bruch in der Beziehung zu seiner Frau Marianne, sie lebt noch in Berlin.
Im Spätherbst 1973, am 17. Oktober, erlag Ingeborg Bachmann den Folgen ihres Brandunfalles in Verbindung mit den damals nicht verifizierten, schweren Entzugserscheinungen verschiedener Psychopharmaka, Morphine, vorrangig Seresta, wie man heute weiß. Im von ihm selbst zu Lebzeiten veröffentlichten Berliner Journal ist nicht dokumentiert, was Frisch angesichts der Todesnachricht notierte. Nicht ob und nicht was.
Und auch in dieser neuen Biographie, so viele Jahre später, wird nicht erhellt, was sich dazu im Nachlass findet. Das machte mich neugierig. Es ist bekannt, dass Frischs Gedanken immer wieder um Ingeborg Bachmann kreisten, das verunglückte Ende der Verbindung. In einem filmisch dokumentieren Gespräch in Berzona, am steinernen Tisch im Tessin, Wein auf dem Tisch, überträgt sich körperlich der Aufruhr von Frisch, als sein Interviewpartner ihn nach Bachmann befragt. Man schluckt.
Nach der Runde vorgestern Nachmittag im LCB am Wannsee - zu der ich übrigens zu spät gekommen war - die Fotos entstanden in den letzten Minuten - gab es keine offene Fragerunde für das Publikum, wie ich mir erhofft hatte. Ich ging zum Ende kurz nach vorne zur improvisierten Bühne, Strässle saß noch neben Schütt und fragte ihn, ob ich ihn später noch etwas fragen könne. "Ja, ja - natürlich!"
Ich drehte eine Runde, holte mir ein Glas vom Côtes du Rhône und sah Schütt dann wieder in einem der ebenerdigen Räume der Villa, wo auch signiert wurde und Bücher aus dem Verlagssortiment gekauft werden konnten. Da stand Julian Schütt hinter einem der Tische und ich steuerte direkt auf ihn zu.
Dass ich sein Buch gelesen hatte und mich infolgedessen ein paar Fragen bewegen, teilte ich ihm mit. Er ganz Ohr. Ich kam gleich auf den Punkt, der mich beschäftigte: dass ich da ich wusste, dass er vollen Einblick in den Nachlass und die Aufzeichnungen des Max Frisch-Archivs hatte, wieso sich im in der Biographie dokumentierten Jahr 1973 keinerlei Anmerkung zur Todesnachricht von Ingeborg Bachmann findet. Hat Frisch nichts notiert? Oder weil sich die Notiz innerhalb weitgehend gesperrter Passagen befindet? Wie ich es verstanden habe, gibt es durchaus eine verfügte Sperre, aber es gibt auch eine Notiz. Ein sehr knappe. Das Todesdatum und "Ingeborg gestorben". Sinngemäß oder wörtlich. Sehr knapp.
Welche Empfindungsflut hinter diesem minimalen Vermerk steht, stand, kann jeder ermessen, der mit dem Verlust eines nahen Menschen konfrontiert war. Paralysiert fluten Erinnerungen das Herz, Worte können nichts ausrichten, unnütz.
Julian Schütt berichtete nun, dass Wegfährten aus diesem Zeitraum erinnerten, dass ein starker Rückzug bei Frisch einsetzte. Er betrank sich, betäubte sich. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen, wie ich es verstand. Aber wie schade, dass das nicht in sein Buch einfloss. Es ist kein Geheimnis, dass Frisch Probleme hatte, sein Trinken virtuos zu handhaben. Aber dennoch mühte er sich immer um Disziplin, das Tagwerk hinzubekommen.
Da fiel mir ein, Schütt meine ganz private Einschätzung mitzuteilen, was Frisch von Bachmann entfernte, wegdriften ließ: Frisch hatte bei der Begegnung in Paris eine schillernde Persönlichkeit in der Blüte ihrer Kraft erlebt. Was sich aber bald im Zusammenleben zeigte, war ein Alltag, der kaum bei Tag stattfinden konnte, wenn Ingeborg sediert den größten Teil des Tages verschlief, benebelt, nicht ansprechbar. Ihr Tablettenkonsum hatte nicht nach einer Enttäuschung mit Frisch begonnen, sondern lange vorher. Seine begabte Gefährtin war eine apathische Drogenabhängige, keine kraftstrotzende Göttin. Marianne hingegen besaß die volle Kraft ihrer wachen, aufstrebenden Jugend. Geist und Feuer. Hoffnung und Verheißung. Julian Schütt konnte meine Gedanken nachvollziehen. Er widersprach nicht.
Dann interessierte mich noch, warum Max Frisch der Trauerfeier fernblieb. Die These von Schütt ist, dass er einfach nicht eingeladen war. Im Nachlass findet sich keine Einladung zur Trauerfeier. Die nächsten Angehörigen von Ingeborg Bachmann, wohl insbesondere ihre Schwester pflegte damals ein Feindbild, was Max Frisch anging. Auch eine Art Projektion von Schuldzuweisung, die gerade insofern bedenklich scheint, als heute bekannt ist, dass zum Unfallzeitpunkt großes Interesse aller Angehörigen bestand, den Ruf von Ingeborg zu schützen, keinesfalls zutage treten zu lassen, dass sie eine starke Medikamentenabhängigkeit hatte, zumal von illegal besorgten, verschreibungspflichtigen Morphinen. Das haben schon Wissendere ausgeführt, darum soll es in diesem Eintrag nicht gehen. Aber dieser eine Aspekt, zu hören, wie Max Frisch unmittelbar in der Zeit nach ihrem Tod auf diese doch für ihn erschütternde Mitteilung reagiert hatte, war mir überaus wertvoll.

g a g a - 9. September 2025, 19:45
9. September 2025 um 22:52
Pardon, fühle mich an ein schönes Traditionsrestaurant erinnert! Der Name? Zur letzten Instanz! In der Nähe steht eine ganz alte und interessante, die wahre Berliner Mauer… Die ist auch nicht so hoch und so lang.
Gaga Nielsen
9. September 2025 um 22:58
Na na! Jetzt nicht albern werden.
(Gibt's noch, das Lokal)