08. April 2023



Hier eine Handvoll quick and dirty-Bilder von gestern Abend in der Hafenbar. Mir war gestern eindeutig mehr nach Tanzen als nach Fotografieren. Da es rappelvoll war, fanden wir einen Platz an der hinteren Wand vor der Koje 5. Ich nenne es mal Kojen, das sind so kleine lauschige Nischen mit Eckbänken und maritimer Schiffs-Deko in der Hafenbar Tegel. Vor uns waren entsprechend viele tanzende Gäste, ich sah den ganzen Abend Hans an der Gitarre nur sekundenweise, weil er ganz rechts hinter einer dicken Säule stand, also von meiner Sichtachse aus.
Nachdem wir uns für den Stehplatz entschieden hatten, brauchten wir noch einen Tisch, um unsere Getränke abzustellen, da wir nicht zu der Generation gehören, die mit Glas in der Hand Tanzen performt. Vor uns war ein mehr oder weniger leerer Tisch mit Stühlen, da ja alle tanzten, und auf der Tischplatte war noch reichlich Platz für unsere zwei Gläser, die Taschen schoben wir unter einen leeren Stuhl, die Jacken hingen in der Garderobe.
Als ich mein Glas gerade abstellte, fuchtelte rechts von mir eine stämmige, groß gewachsene Frau mit engem Pullover und schulterlanger Königspudel-Dauerwelle (Minipli), schätzungsweise Anfang Sechzig, gestenreich Richtung Tisch. Ich interpretierte es als: "Hier ist schon besetzt, reserviert, kein Platz für Euch!". Wir wollten uns gar nicht hinsetzen, nur die Gläser hinstellen. Sie fuchtelte weiter hektisch mit Armen und Händen herum, ich versuchte trotz der lauten Musik zu fragen, ob sie sich hinsetzen möchte. Sie schaute mich unwirsch und irritiert an, gab keine Antwort, gestikulierte zackig weiter. Ina und ich guckten uns fragend an.
Ich beobachte sie nun etwas genauer und musste erkennen, dass das kein Kommunkationsversuch in unsere Richtung gewesen war, sondern ihre Art zu tanzen. Der Oberkörper zuckte mal nach vorne, mal nach hinten, der Kopf wurde nach links und rechts geschüttelt, als ob jemand energisch NEIN sagt, und die Unterarme schossen mit zackigen Bewegungen abwechselnd nach vorne, als ob ein Schweizer Messer aufklappt. Ich hatte ein bißchen Angst, dass sie mir einen Kinnhaken versetzt, und versuchte möglichst geschickt auszuweichen, und bekam es auch einigermaßen hin. Diese nie gesehene tänzerische Darbietung war so eigenartig, dass ich ein Lachen unterdrücken musste. Ich bekam davon erst recht einen Krampf. Als ich Ina anschaute, konnte sie sich auch nicht mehr beherrschen, es schaukelte sich richtig hoch. Schlimm! Als hätte man monatelang verschüttetes Lachen nachholen müssen, es war geradezu ein körperlicher Reflex, aber sehr, sehr befreiend.


Die Setlist war einfach grandios, ein Knaller nach dem anderen, der Sound war gut, die Stimmung war super. Und dann bat Tom, der Sänger, einen Gast, den er im Publikum entdeckt hatte, auf die Bühne. Mit ihm hatte er wohl vor kurzem in Leipzig einen Song gespielt. Der Gast ließ sich nicht lange bitten. Es handelte sich um Beppo Pohlmann von den Gebrüdern Blattschuss, und nun wurde das von ihm komponierte Stimmungslied "Kreuzberger Nächte sind lang" zu Gehör gebracht. Nicht erwähnt werden muss, dass das Publikum vollständig, lauthals und textsicher mitsang:
Kreuzberger Nächte sind lang! Kreuzberger Nächte sind lang! Erst fang'se janz langsam an – Aber dann – Aber dann!
Jetzt fragt mich doch so'n Typ, ob ich studier' – Ich sag: "Ja, Wirtschaftspolitik, drum sitz' ich hier!" Da sagt er, dass er von der Zeitung wär' Und da wär' er der Lokalredakteur! Ein Rentner ruft: "Ihr solltet Euch was schäm'!" Ein and'rer meint, das läge alles am System! "Das ist so krank wie meine Leber" sag' ich barsch – Die zwölf Semester war'n doch nicht so ganz umsonst!
Kreuzberger Nächte sind lang! Kreuzberger Nächte sind lang! Erst fang'se janz langsam an – Aber dann – Aber dann!
Es war ein Fest. Herr Pohlmann feierte noch bis zum Schluss mit seiner Frau mit. Habe ihn nicht fotografiert, war zu sehr mit Mitsingen und Tanzen beschäftigt. Ich erinnere mich an "Riders On The Storm", das fehlende Fender Rhodes genial durch die Gitarren ersetzt, grandios. Ein paar Hendrix Songs, Jumpin' Jack Flash, Bus Stop, Albatros, Help, You Really Got Me, Venus, Honky Tonk Woman, Here Comes The Sun, usw. usf. Großes Kino. Schönstes BBC-Konzert bis jetzt in diesem Frühjahr. Danke. Danke. Danke.

g a g a - 8. April 2023, 17:23
Trackback URL:
https://gaga.twoday.net/stories/1022694124/modTrackback