26. Januar 2022
Die folgende Stelle gefällt mir auch noch ganz gut, weil ich mir schon mehrmals im Leben dachte, dass es sich genauso verhält. Nämlich die ganze Wahrheit einer Begebenheit, häufig so komplex verschlungen und auch auf absurde Art überaschend oder ungefällig bis bizarr ist, dass es sich in einem Roman oder als Drehbuch wie übertrieben fabuliert anhören müsste. WEIL wir an vereinfachte Geschichten gewöhnt sind. Leicht konsumierbar geglättet und abgeschmirgelt, ohne Grautöne. Schwarz-weiß plakativ, für schlichte Gemüter verstehbar. Und vielleicht rührt daher die Erwartungshaltung, dass unser Leben sich gefälligst leicht verständlich, eindeutig und unwidersprüchlich gestalten möge. In der Liebe und bei Karriereplänen und in der Erziehung und überhaupt. Hier also ein letzter kleiner Auszug aus Capotes „Erhörte Gebete“:
»(…) Seine Erzählungen sind immer realistisch, sogar wenn sie abgründig sind - wie ‘Das ungeheure Radio‘ oder ‘Der Schwimmer‘.« Woodrow war vergnatzt: »Wenn es wahr ist, und das ist es, warum sollle es dann niemand glauben?« »Wenn etwas wahr ist, so heißt das nicht, dass es überzeugend ist, weder im Leben noch in der Kunst. Denk an Proust. Würde die Suche nach der verlorenen Zeit so wahr klingen, wie sie es tut, wenn er sich buchstabengetreu an die historischen Umstände gehalten hätte, wenn er nicht das jeweilige Geschlecht, die Ereignisse, die Namen abgewandelt hätte? Wenn er sich strikt an die Tatsachen gehalten hätte, wäre sie weniger glaubwürdig gewesen, aber« - ein Gedanke, der mir oft durch den Kopf gegangen war - »vielleicht besser. Weniger leicht verdaulich, aber besser.« Ich entschied mich doch für noch einen Drink. »Das ist die Frage: ist die Wahrheit eine Illusion. Oder ist Illusion Wahrheit, oder sind sie im Grunde ein und dasselbe? Ich meinerseits, mir ist völlig egal, was jemand über mich sagt, solange es nicht wahr ist.«
Truman Capote, "Erhörte Gebete", dt. Heidi Zerning, Kein & Aber Pocket, S. 64
»(…) Seine Erzählungen sind immer realistisch, sogar wenn sie abgründig sind - wie ‘Das ungeheure Radio‘ oder ‘Der Schwimmer‘.« Woodrow war vergnatzt: »Wenn es wahr ist, und das ist es, warum sollle es dann niemand glauben?« »Wenn etwas wahr ist, so heißt das nicht, dass es überzeugend ist, weder im Leben noch in der Kunst. Denk an Proust. Würde die Suche nach der verlorenen Zeit so wahr klingen, wie sie es tut, wenn er sich buchstabengetreu an die historischen Umstände gehalten hätte, wenn er nicht das jeweilige Geschlecht, die Ereignisse, die Namen abgewandelt hätte? Wenn er sich strikt an die Tatsachen gehalten hätte, wäre sie weniger glaubwürdig gewesen, aber« - ein Gedanke, der mir oft durch den Kopf gegangen war - »vielleicht besser. Weniger leicht verdaulich, aber besser.« Ich entschied mich doch für noch einen Drink. »Das ist die Frage: ist die Wahrheit eine Illusion. Oder ist Illusion Wahrheit, oder sind sie im Grunde ein und dasselbe? Ich meinerseits, mir ist völlig egal, was jemand über mich sagt, solange es nicht wahr ist.«
Truman Capote, "Erhörte Gebete", dt. Heidi Zerning, Kein & Aber Pocket, S. 64
g a g a - 26. Januar 2022, 13:35
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