25. November 2021
Salka Viertel erinnert den Tod ihres Freundes Fritz Murnau "Murr":
»Berthold und ich saßen abends am Kamin und tranken unseren Kaffee, als ein Reporter der Santa Barbara Morning Post anrief und uns mitteilte, dass Murnau einen Autounfall gehabt hatte und in Santa Barbara im Krankenhaus lag. Sein Butler habe dringend darum gebeten, uns zu verständigen. Wir fuhren sofort nach Santa Barbara; der Nebel auf der Straße war so dicht, dass wir nur sehr langsam vorankamen. Auf dem Gaviotta-Pass sahen wir zwei total zerstörte Autos.
Es muss gegen ein Uhr nachts gewesen sein, als wir das Krankenhaus erreichten. Am Eingang wartete völlig verstört ein dunkler, schlanker junger Mann. Es war Stevenson. Stockend berichtete er. Sie hatten bei einer Tankstelle gehalten, und Murnau hatte ihn aufgefordert zu fahren. Der gemietete Chauffeur hatte eingewendet, dass er niemanden ans Steuer lassen dürfe. Aber Murnau reagierte so heftig, dass der Chauffeur schließlich Stevenson das Steuer überließ. Sie waren kaum zwanzig Meilen weit gefahren, als in einer Kurve ein Lastauto auf sie zukam und Stevenson den Wagen nach rechts riss. Er stürzte zehn Meter tief die Boschung hinunter. Weder ihm noch dem Chauffeur war etwas passiert, doch Murnau hatte eine schwere Kopfverletzung erlitten. Der Hund war weggelaufen.
Während Berthold sich verzweifelt bemühte, einen Gehirnspezialisten in Los Angeles zu erreichen, ging ich zu Murnau. Sein Zimmer war hell erleuchtet, das Bett in der Mitte blendend weiß. Er lag auf dem Rücken, sein Kopf war verbunden. Die Augen waren geschlossen, und aus dem einen Nasenloch sickerte eine dünne Blutspur zum Kinn hinab. Am Fußende des Bettes stand Mrs. Kearin, seine Sekretärin. Sie weinte. Ich beugte mich über ihn und flüsterte: »Murr- hörst du mich, Murr?« Mrs. Kearin schluchzte auf. »Er ist tot. Sehen Sie denn nicht, er ist soeben gestorben.« Ich konnte es nicht glauben. Seine Hände waren warm. Starb man so leicht? Sein Gesicht hatte den abweisenden Ausdruck, den es immer annahm, wenn er Fremden begegnete oder traurig war.
In Hollywood hat der Tod keine Erhabenheit und Würde. Dem Schock und dem Kummer folgten groteske Debatten mit dem Bestatter, der nicht begreifen konnte, warum ich es nicht zulassen wollte, Murnaus reservierten, hochmütigen Gesichtsausdruck mithilfe eines angemessenen Make-ups zu »mildern«. Der einbalsamierte Leichnam lag, in einen grauen Anzug gekleidet, eingesargt in einem sogenannten Salon des Bestattungsinstituts, umgeben von Gartenstühlen mit bunt gemusterten Chintzkissen für die Besucher, und von Kränzen und Kreuzen aus Gardenien. Nach einer trostlosen Zeremonie (in letzter Minute hatte der Bestatter doch noch seinen Willen durchgesetzt und Murnau geschminkt) wurde der Sarg nach New York und an Bord der Europa gebracht. Es war das Schiff, mit dem Murnau hatte heimfahren wollen - am 31. März.«
Salka Viertel, "Das unbelehrbare Herz", S. 204, 205 (von der Autorin überarbeitete Übersetzung aus dem amerikanischen Original "The Kindness of Strangers", 1969)
»Berthold und ich saßen abends am Kamin und tranken unseren Kaffee, als ein Reporter der Santa Barbara Morning Post anrief und uns mitteilte, dass Murnau einen Autounfall gehabt hatte und in Santa Barbara im Krankenhaus lag. Sein Butler habe dringend darum gebeten, uns zu verständigen. Wir fuhren sofort nach Santa Barbara; der Nebel auf der Straße war so dicht, dass wir nur sehr langsam vorankamen. Auf dem Gaviotta-Pass sahen wir zwei total zerstörte Autos.
Es muss gegen ein Uhr nachts gewesen sein, als wir das Krankenhaus erreichten. Am Eingang wartete völlig verstört ein dunkler, schlanker junger Mann. Es war Stevenson. Stockend berichtete er. Sie hatten bei einer Tankstelle gehalten, und Murnau hatte ihn aufgefordert zu fahren. Der gemietete Chauffeur hatte eingewendet, dass er niemanden ans Steuer lassen dürfe. Aber Murnau reagierte so heftig, dass der Chauffeur schließlich Stevenson das Steuer überließ. Sie waren kaum zwanzig Meilen weit gefahren, als in einer Kurve ein Lastauto auf sie zukam und Stevenson den Wagen nach rechts riss. Er stürzte zehn Meter tief die Boschung hinunter. Weder ihm noch dem Chauffeur war etwas passiert, doch Murnau hatte eine schwere Kopfverletzung erlitten. Der Hund war weggelaufen.
Während Berthold sich verzweifelt bemühte, einen Gehirnspezialisten in Los Angeles zu erreichen, ging ich zu Murnau. Sein Zimmer war hell erleuchtet, das Bett in der Mitte blendend weiß. Er lag auf dem Rücken, sein Kopf war verbunden. Die Augen waren geschlossen, und aus dem einen Nasenloch sickerte eine dünne Blutspur zum Kinn hinab. Am Fußende des Bettes stand Mrs. Kearin, seine Sekretärin. Sie weinte. Ich beugte mich über ihn und flüsterte: »Murr- hörst du mich, Murr?« Mrs. Kearin schluchzte auf. »Er ist tot. Sehen Sie denn nicht, er ist soeben gestorben.« Ich konnte es nicht glauben. Seine Hände waren warm. Starb man so leicht? Sein Gesicht hatte den abweisenden Ausdruck, den es immer annahm, wenn er Fremden begegnete oder traurig war.
In Hollywood hat der Tod keine Erhabenheit und Würde. Dem Schock und dem Kummer folgten groteske Debatten mit dem Bestatter, der nicht begreifen konnte, warum ich es nicht zulassen wollte, Murnaus reservierten, hochmütigen Gesichtsausdruck mithilfe eines angemessenen Make-ups zu »mildern«. Der einbalsamierte Leichnam lag, in einen grauen Anzug gekleidet, eingesargt in einem sogenannten Salon des Bestattungsinstituts, umgeben von Gartenstühlen mit bunt gemusterten Chintzkissen für die Besucher, und von Kränzen und Kreuzen aus Gardenien. Nach einer trostlosen Zeremonie (in letzter Minute hatte der Bestatter doch noch seinen Willen durchgesetzt und Murnau geschminkt) wurde der Sarg nach New York und an Bord der Europa gebracht. Es war das Schiff, mit dem Murnau hatte heimfahren wollen - am 31. März.«
Salka Viertel, "Das unbelehrbare Herz", S. 204, 205 (von der Autorin überarbeitete Übersetzung aus dem amerikanischen Original "The Kindness of Strangers", 1969)
g a g a - 25. November 2021, 01:57
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