09. April 2020

Lee Krasner "Milkweed", 1955.
Oil, paper and canvas collage on canvas, 213 x 150 cm
Gerade ein Zitat bei Lydia gelesen "Kunst ist dazu da, die Wirklichkeit zu verhindern…“ (Heiner Müller). Finde ich wunderbar. Obwohl es noch wunderbarer wäre, wenn Kunst unsere Wirklichkeit würde. Im Sinne des großartigen Ideals der Navajo, die das (was ich meine oder mir ersehne) "To Walk in Beauty" nennen. Als ich vor sechzehn Jahren eine Weile bei der Navajo Nation in Utah und Arizona verbrachte, habe ich aus nächster Nähe erfahren, was das im Alltag bedeutet. Andere erfahren das als Zen beim Bogenschießen oder Gemüseschnippeln. Es ist ein liebender Blick auf die Welt, jedes Wesen, jede Bewegung, jeden Augenblick. Wille zur Anmut.
In einem alten Interview auf youtube erzählt Lee Krasner, wie sie ihre Bilder angeht. Ich dachte, ich traue meine Ohren nicht. Sie hat exakt dasselbe beschrieben, wie ich es mitunter schon zu erklären versuchte. Das war so deckungsgleich - in der Ausprägung habe ich das noch nie vorher von einem anderen Maler gehört, obwohl es sehr freie Maler immer schon so praktizieren.
Man befindet sich vor einer neuen Leinwand. Oder einem anderen Materialträger. Dann stellt sich ein vorrangiger Impuls ein, der zu einer bestimmten Farbe oder einem bestimmten Material drängt. Das ist die erste Entscheidung. Dann der erste Farbauftrag, die erste Linie, Silhouette. Ein starker Impuls, dem man nachgibt, dem man sich fügt. Nach einer Weile stellt sich die Richtung ein, wohin es will, dieses Bild, das man vor sich hat. Man fällt dann viele weitere Entscheidungen, aber die kennt man erst in dem Moment, wo sie fallen. Man fügt sich dem Diktat, dem Gebot der Stunde und ergibt sich einer großen Welle. Und an guten Tagen wird es ein großes Konzert.
g a g a - 9. April 2020, 02:07