25. März 2020



Ja. Ich auch. Küssen beschäftigt mich gerade eher nicht, obwohl es immer wieder in dem (nicht exorbitant empfehlenswerten) Buch erwähnt wird, das ich gerade in der U-Bahn und in meiner Werkstatt lese, wenn ich gerade nicht herumwerkle. Die Karte hat mich trotzdem sehr gefreut, weil man ja immer die goldene Zukunft im Blick haben sollte. Sie wartet auf einen, manchmal ist man vielleicht nur etwas langsam.



Ich musste jetzt meine Anschrift etwas zensieren, da ich vorgestern Opfer eines Diebstahls in der U 8 geworden bin. So um 2006 bin ich schon einmal in der U 8 beklaut worden. Ich hatte die Hand nicht auf meiner Tasche, in der meine sehr geliebte Olympus-Kamera war, saß mit kindlicher Arglosigkeit einfach so in der U-Bahn und las wahrscheinlich. Seither war ich sehr bedacht, meine Siebensachen im Auge und Griff zu haben. Aber nun habe ich auch ein Corona-induziertes Erlebnis zu berichten.

Seit Montag fährt die U-Bahn nur noch im 10-Minuten-Takt, was dazu führt, dass die U-Bahn doppelt so voll ist und es nicht mehr so einfach ist, auf den gewünschten Abstand zu gehen. Ich quetschte mich in eine Ecke an einer Ausgangstür, Blick Richtung Scheibe, wo einen keiner anatmet. Und da ist meine Umhängetasche wohl nach hinten gerutscht und die kleine aufgenähte Tasche an der Tasche im Zugriff für gemeine Diebe. Ich hatte einen Termin mit dem Schornsteinfeger, als ich die Haustür aufschließen wollte, fand ich keinen Schlüssel mehr in der kleinen Tasche, der von meiner Wohnung war auch weg. Und auch der USB-Stick auf dem nur zwei Lieder waren (und ein gaga-Aufkleber blöderweise). Das kann nicht rausgefallen sein. Zum Glück hatte ich in Charlottenburg einen Ersatzschlüssel für die Wohnung deponiert, mit S- und U-Bahn also Richtung Zoo, wieder heim nach Mitte, Ersatzschlüsselbund fürs Atelier, setzte hastig diverse Seiten offline, da ich in meiner Arglosigkeit meine komplette Adresse auf geposteten Postkarten gelassen hatte. Aber damit ist jetzt Schluss. Wieder ins Atelier, Schornsteinfeger bedauerte mich und machte seine Messung, ich bot ihm Einweghandschuhe an, die ich eh immer da habe, wenn ich viel mit Klebstoff oder dergleichen hantiere, brauchte er nicht, er hatte eigene Arbeitshandschuhe an.

Ansonsten mache ich das meiste genauso wie immer, da ich ohnehin sehr zurückgezogen lebe. Und zwar so sehr, dass es für andere an Grenzen der Unvorstellbarkeit gerät. Ich musste mich also in privater Hinsicht gar nicht umgewöhnen. Ich küsse keine Männer, sondern Leinwände. Die unterliegen keiner Kontaktbeschränkung. Das ist sehr gut, denn ich bin da sehr hemmungslos und ausschweifend.

Etwas erstaunt mich, wenn wohlsituierte Menschen, die weiterhin gut zu essen haben und ein Dach über dem Kopf und ein fortlaufendes Gehalt, anhand ihrer persönlichen, doch noch recht komfortablen Situation von einem Albtraum sprechen. Ich glaube, eine persönliche Katastrophe fängt bei anderen Bedingungen an. Die existentiellen Einbußen von Gastronomen und Künstlern der Unterhaltungs- und Freizeitindustrie sind ohne Frage problematisch, aber es ist ein vorübergehener Einbruch und Tiefpunkt. Danach wird es einen großen Nachholbedarf geben. In der Durststrecke wird sich Hilfe finden, vielleicht durch die eine oder andere Zuwendung aus der Familie.

Lange habe ich mich nicht mehr mit astrologischen Konstellationen beschäftigt, seit Jahren nicht. Nun aber war ich doch interessiert, wie die Sterne stehen. Seit Januar bahnte sich eine Konjunktion von Saturn und Pluto an, Mitte März akut, wen es interessiert, einfach googeln. Die Vorstellung, dass etwas dran sein könnte, beinhaltet beruhigenderweise auch immer die Absehbarkeit des Endes (Nov.) des unwirtlichen Geschehens. Alles wird besser. Und dann gut.
g a g a - Fr, 27. Mär, 12:53

Frau Klugscheisser
27. März 2020 um 12:40

Mensch, dann bloß nicht mehr U8 fahren!
Ich fahre fast nur U2 und manchmal U3 oder U6. In diesen Linien ist mir noch nie was passiert. Dass Du die Adresse immer leserlich lässt, hat mich schon manches Mal gewundert.. Dachte, vielleicht magst Du ja Überraschungsbesuche. Jetzt wo die den Schlüssel haben, müssen sie auch nicht mehr klingeln. Und vielleicht wirst Du dann demnächst wachgeküsst.
Ich habe vor Kurzem einen Frosch auf der Straße geküsst und hinterher gefragt, wie’s denn so mit dem ’social distancing‘ liefe. Ja, war ’ne doofe Situation.

Und wenn dieser Kommentar auch wieder in’s Nirvana verschwindet, bin ich ziemlich knatschig.

Gaga Nielsen
27. März 2020 um 12:47

Leider wäre die Alternative zur U 8 nur Taxifahren oder ein ca. anderthalbstündiger Fußweg. Das ist mir dann doch zu teuer bzw. langwierig (hab kein Fahrrad und wäre mir auch zu kalt und zu weit zum Fahren). Ich hatte wohlgemerkt keinen Namen und keine Adresse an den Schlüsseln, ich bin zwar etwas arglos, aber so dann auch nicht.
Mir gefiel die Vorstellung, von bislang nicht Bekannten schöne Post zu kriegen, hat ja auch mal geklappt. Ich werde übrigens die nächsten Zeiten keine Postkarten oder Briefe verschicken, das sich Viren und gerade dieser spezielle bis zu 48 Stunden auf Papier am Leben halten können. Dann fasst so ein armer Briefträger in die Tasche mit den Papiersendungen von überall und so einen kleine Karte hat sich dann schnell infiziert und muss beatmet werden. DU HAST EINEN FROSCH AUF DER STRAßE GEKÜSST???? Ich ruf gleich die Polizei! Bitte gehe sofort wieder in den Stubenarrest! Ich nehme an, er hat sich nicht verwandelt, oder?

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