25. November 2018
ich habe schon ein paar mal Leute nah an mich herangelassen, wenn ich das Kleid trug, ans hinten am Halsauschnitt eingenähte Etikett, die wissen wollten, wo ich es herhabe. Ich kann mir den Namen nicht merken. Ein langer Name. So wird man natürlich keine Einflusserin. Ich hätte auch Angst davor, dass auf einmal jeden Tag Kartons mit Klamotten an meiner Wohnungstür landen, die mir vielleicht gar nicht gefallen, und mit denen ich dann ein total zufällig wirkendes Bild für instagram machen müsste. Die sind ja rund um die Uhr beschäftigt, die jungen Frauen und Männer, die sich für die instagram-Prostitution entschieden haben. Es gibt mittlerweile auch schon einige Fälle von "Social Media Burn out", wundert mich gar nicht. Kein freier Tag mehr, immer Bilder raushauen müssen, die so etwas besonderes an sich haben, dass es unter Abertausenden Bildern von anderen, die dasselbe Geschäft betreiben, heraussticht. Perfektes Make up, perfektes Licht, perfekter Hintergrund, perfekte Laune, perfekte Attitude. Wer Menschen fotografiert, weiß dass es nicht so ruckzuck mit dem ersten Bild erledigt ist, wie wenn man Architektur einfängt oder eine statische Landschaft. Und wenn das Bild dann endlich im digitalen Bauchladen zur Verfügung steht, müssen die Follower gepflegt und gebauchpinselt werden, die haben ja auch was am Start, was Aufmerksamkeit braucht. Dann kommt irgendwann der Moment, wo das, was als schöne kreative Freizeitbeschäftigung anfing, zum lästigen Zwang wird. Als ich vor vierzehn Jahren mit dem Bloggen und demzufolge auch Bilder hochzuladen begann, machten das alle in meinem virtuellen Umfeld just for fun, kein Text wies auf irgendein Produkt hin. Ein, zwei Jahre später hörte man dann von vereinzelten Angeboten, für Geld zu bloggen, für ein bestimmtes Event wie die Fußball WM oder irgendwas mit Autos. Manche machten das dann, und das waren dann in hundert Prozent der Fälle langweilige Blogeinträge, weil man die uninspirierte Absicht in jedem Text spürte, und es auch thematisch nichts hergab, was einen emotional ansprach. Daher kam bei mir nie Neid auf bezahlte Blogger auf. Dann verliert man irgendwann die Lust an dem, was einem einst Herzensanliegen war und sich impulsiv als Teil des ganz persönlichen Lebens entwickelte. Wenn ich nun diese Abertausende von Influencern sehe, die sich auch als Blogger bezeichnen bzw. allgemein so bezeichnet werden, diese Umkehrung des Begriffs von jemandem, der Texte mit einem Anliegen und Bildillustration ins Internet schreibt, zu hysterischen Produktvermarktern mit Bildunterschrift und nahendem Burnout Syndrom, habe ich den Eindruck, dass ich nicht die schlechtere Wahl getroffen habe, indem ich unverändert ohne Zugzwang immer noch nur dann schreibe und fotografiere, wenn ich Lust habe, ohne Kartons im Flur mit Klamotten, die abfotografiert werden müssen. Und dem Luxus der Marken-Demenz. Wobei ich kein Problem habe, Ross und Reiter zu nennen, wenn mich direkt jemand fragt, aber bestimmt nicht als Inhalt eines Blogeintrags. Was nicht bedeutet, dass ich etwa desinteressiert an Mode und Luxusprodukten wäre, aber die sind ja Mittel zum Zweck. Wenn mir im Straßenbild eine Klamotte auffällt, die ich gerne hätte, fange ich an zu googeln und gebe verschiedene Beschreibungen ein, bis ich fündig werde, manchmal finde ich dann auch etwas ähnliches. Aber mir stundenlang Seiten mit Modepüppchen anzuschauen, wäre mir zu langweilig. Das muss alles schnell gehen, damit ich viel Zeit dafür habe, derartige Gedankengänge festzuhalten. Und nun Kaffee. Marke wird nicht verraten. Was italienisches. Aus einem Kolonialwarenladen in Berlin.
g a g a - 24. November 2018, 15:29
"(...) Bei Instagram und Twitter wird mit »good vibes only« um sich geworfen – bekannt. Küsschen links, Like rechts, alle haben sich lieb. (...) Wo Licht ist, ist auch Schatten (...) David und Goliath. Imperium und Republik. Himmel und Hölle. Tag und Nacht. Ebbe und Flut.
Aus Angst vor schlechter Laune, negative vibes, verkrümeln wir uns hinter einer Utopie, die dem Realitätscheck nicht standhält. Wir wollen keine Aversion. Wir wollen Perfektion, eine schöne heile Welt. Nicht mit Happy End, sondern mit Happy Everything. Wir schrauben unsere Erwartungen an das Leben in schwindelerregende Höhen. Die Gefahr: Umgeben wir uns – z. B. in Social Media – nur mit Menschen, die uns »positive vibes only« vorspielen, ertappen wir uns dabei, wie wir uns fragen: Warum gibt es bei mir auch bad vibes? Was mache ich falsch?"
http://janrein.de/good-vibes-only