10. September 2018

Das war ein umtriebiges Wochenende. Ich wäre eigentlich an beiden Tagen gerne in mein Atelier gefahren, um weiter herumzuräumen, schauen welche Farben eingetrocknet sind, und was sich eigentlich in den Kartons in dem Regal im Flur befindet. Ich habe es vergessen. Könnten Verlängerungskabel sein, aber auch Materialien, die ich verarbeiten wollte. Wahrscheinlich beides. Bin schon sehr weit fortgeschritten mit meinen Ausgrabungsarbeiten, erstaunliche Sachen gefunden. Es sieht auch schon sehr ordentlich aus. Aber ich habe am Wochenende keinen Fuß dahingesetzt, sondern war an beiden Tagen in Charlottenburg unterwegs.

Am Samstag ausgeschlafen und gesonnt und dann fertig gemacht für meinen Besuch einer Veranstaltung vom Eldaring zur Langen Nacht der Religionen. Duke hatte dort eine Lesung und ich wollte ihn mal wiedersehen, zumal er in den letzten Monaten mit einer besorgniserregenden Netzhautablösung kämpfte. Alleine, dass er überhaupt schon wieder lesen kann, ist so ein Glück, darauf wollte ich mit ihm anstoßen. Außerdem war auch Luci van Org da, auf die ich neugierig war, und die immer noch superlange Haare hat, fast wie damals als sie ihren Hit "Weil ich ein Mädchen bin" hatte und außerdem supernett ist. Hat mich aber auch nicht überrascht, denn sie hat am ersten September Geburtstag, wie ich! Duke und Luci haben zusammen ein Buch herausgebracht, "Der Sonnenglanz", Duke hat die Texte geschrieben und Luci sehr sinnliche Illustrationen gezaubert. Die beiden sind gut Freund mit dem germanischen Götter-Pantheon, darum ging es auch in den Lesungen und Vorträgen. Sehr unterhaltsam. Einer, auch ein Buchautor, Andreas Mang, hielt einen Vortrag zum Thema Opferkulte in verschiedenen Religionen und natürlich im Heidentum. Da kursieren ja viele wirre Informationen und Traditionen, das hat er launig und kompetent ein bißchen auseinanderklamüsert. Luci erzählte, dass sie sich früher sehr engagiert um das Christentum bemüht hat, aber ein Heimatgefühl erst erfahren hat, als sie in die neun Welten der germanischen Götter eintauchte. Ein sehr schöner Song, den sie später mit Gitarre performte, hieß deshalb auch "Neun Welten". Duke signierte mir ein Buch und Luci versprach es auch noch zu tun, aber lieber später nach dem "blót". Ich wusste schon, dass zum Abschluss der Veranstaltung, nach Einbruch der Dunkelheit ein Ritual auf der Wiese vom Mierendorffplatz geplant ist, blót genannt (kann man googeln).

Als ich mit Duke draußen beim Jever saß und wir uns austauschten, kam eine der Veranstaltungsorganisatorinnen und bat, den Ablauf des Rituals kurz zu besprechen. So bekam ich uneingeweihter Weise ein Tutorial, was da genauer von statten gehen würde. Ganz unbekannt waren mir diese rituellen Vorgänge nicht, da ich Anfang des Jahrtausends einige Zeit mit Duke verbracht hatte und durchaus schon mal von Odin und Loki und Thor und Frigg (usw. usf.) gehört hatte. Und auch schon mal Met aus einem Horn getrunken. Aber in ein Ritual in einem veritablen Kreis war ich noch nie involviert, obwohl mich das damals durchaus auch interessiert hätte. Ich wollte mich seinerzeit aber auch nicht aufdrängen. In einem sehr freien Sinne bin ich durchaus auch naturreligiös, ohne aber definierte oder traditionelle Religionsformen dafür zu bemühen. Ich bin da überhaupt sehr tolerant, wie Elvis! Der trug übrigens eine Kette mit einem christlichen Kreuz, einem Davidstern und einem Ankh. Und wenn er mehr darüber gewusst hätte, wäre vielleicht auch noch ein kleiner Thorshammer, der "Mjölnir" dabei gewesen. Den sieht man recht oft bei den Asatrú, den Asentreuen, so nennen sich die Anhänger der germanischen Götter. Es soll auch rechtsradikale Vollidioten geben, die meinen, sie wären bei diesem Glauben an der richtigen Adresse, aber die kennen offenbar die Gebote nicht. Ein hohes davon ist die Gastfreundschaft und Fremde im eigenen Haus Willkommen zu heißen. Zum Glück gibt es aber jede Menge Asatrú, die ihre Schularbeiten gemacht haben, und gegen die Rechten auf die Barrikaden gehen. Beim Eldaring, wo ich also war, sind Asatrú, die ganz klar Position gegen Neonazis und jegliche rechte Strömungen und Ideologien beziehen. Sonst wäre ich da auch niemals hingegangen, wo sind wir denn! Wie ernst das mit dem Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit gemeint ist, habe ich dann in dem wirklich sehr schönen blót erleben dürfen.

Auf der recht großen Wiese vom Mierendorffplatz haben sich alle Teilnehmer der Veranstaltung, die Lust darauf hatten, also alle, in einen Kreis gestellt. In der Mitte war ein symbolisches Feuer aus fünf dicken Kerzen, weil man ja nicht einfach mal so ein offenes Feuer machen kann. Ich wusste durch die kleine Abstimmung beim Bier, dass es drei Runden geben würde, in denen das Horn kreist. Mit Met natürlich, und zwar nicht irgendeiner klebrigen Plörre, wie man sie im Supermarkt im unteren Preissegment findet, sondern ein richtig guter Tropfen, sozusagen die trockene Flaschengärung unter den Honigweinen, vom Winzer des Vertrauens. Klamottenmäßig hatten alle mehr oder weniger Alltagskleidung an, viele Jeans und schwarzes T-Shirt, gerne Thorshammer um den Hals, aber auch ein eleganter schwarzer Anzug war dabei. Ich hatte einen Zebra-Anzug an, Jeans, T-Shirt, Jacke, Tasche - alles Zebra! Also Muster, nicht echt. Sah schon auch irgendwie festlich aus, für meine Begriffe! Luci trug glaube ich eine schwarze Jeans und ein schwarzes Eldaring-Shirt und später beim Ritual noch ein schwarzes Gewand glaube ich. Aber keiner hatte sich irgendwie Harry Potter-mäßig verkleidet und es gab auch keinen Wikingerhelm mit Hörnern auf dem Kopf. Man stellt sich ja so allerhand vor, wenn man es nicht weiß. Aber zurück zum Ritual, also drei Runden mit kreisendem Methorn. Trinken tun sie ja sowieso gerne, die Asatrú. Aber wer nicht! Bei der ersten Runde wurde von jedem ein Gott angerufen, der ihm persönlich nahesteht und darauf das Horn gehoben und zwar unter Verwendung des sehr schönen Wortes - Achtung, jetzt kommt's: "Heil". Wer die intellektuellen Kapazitäten besitzt, sich darüber im Klaren zu werden, wie alt und schön dieses Wort in seiner ureigenen Bedeutung ist, das in der doch vergleichsweise kurzen Zeitspanne von 1938 bis 1945 derart vergewaltigt und missbraucht wurde, dass verständlicherweise (!) bis heute Rehabilitationsversuche permanent von expliziter Distanzierung von braunem Kackgedankengut begleitet werden müssen (was ich hiermit unmissverständlich tue, das ist ja wohl klar, wo sind wir denn!), hat meinen Segen!

Aber weiter zum Ritualgedöns. Luci ging vor Start der ersten Runde mit feinem Räucherwerk an allen im Kreis vorbei und fächelte uns zu. Dann wurde ein großes Horn mit dem wirklich sehr gutem Met gefüllt und die - ich nenne sie mal Ritualleiterin - richtete ein paar einleitende Worte an die Götter und den Kreis, wobei sie auch besonders auf den hohen Wert der Gastfreundschaft und Offenheit und Toleranz gegenüber fremden Menschen und Kulturen einging und auch nicht mit Seitenhieben Richtung Chemnitz sparte, wo ja offenkundig so einiges in Unordnung sei. Damit da mal ein bißchen Ordnung einkehrt, und zwar nicht etwa Ordnung im reaktionären Sinne von Kleingeistern und Spießern, sondern im Sinne einer ordentlichen liberalen, weisen Haltung allem Fremden gegenüber. Dazu rief sie Heimdall an und nahm einen Schluck aus dem Horn. Daraufhin raunten die, die das Spielchen schon kannten: "Heil Heimdall!" Kann sein, dass sie auch noch ein paar Tropfen vom guten Met auf den Boden gesprenkelt hat, als Opfer für die Götter und natürlich speziell Heimdall, damit er noch motivierter an die Arbeit gehen kann! Das Horn wurde weitergereicht und nun kam jeder mal dran. Man konnte sich frei aussuchen, auf wen man trinkt, man hätte theoretisch auch auf Jesus oder den lieben Gott trinken können, da ist man relativ tolerant (ausgenommen ein gewisser 'Hitler', denn der war ja bekanntlich alles andere als göttlich). Es kam dann immer das Echo "Heil Soundso..." Nach einer Weile hatte ich das Prinzip begriffen und fand daran Gefallen. Einfach mal das schöne alte Wort ganz neu benutzen! Seelenheil darf man ja zum Glück sagen. Ekelhafterweise ist aber das Wort UNheil nicht tabu, dabei sollte das ja wohl das Unwort sein, verdient hätte es das allemal!

Ich wusste dann ja, dass ich nun auch bald dran sein würde, auf wen zu trinken und dachte mir so einen Mix aus, man kann ja auch auf mehrere trinken. Weil ich von früher noch in Erinnerung hatte, dass Frigg eine ganz attraktive Gottheit ist (von der Bedeutung her so ein bißchen das Pendant zu Aphrodite, wenn man jetzt unbedingt einen Vergleich zur Anschaulichkeit braucht), wählte ich diese Göttin für meinen Toast, aber dann fiel mir auch noch Elvis ein! "Heil Frigg! Heil Elvis!" Weil das ja eine lustige Truppe ist, freuten sich einige, dass endlich mal auf den Gott des Hüftschwungs getrunken wurde. Dann machte Luci wieder eine Räucherrunde und das große Horn wurde erneut gefüllt. Nun waren die Ahnen dran, die schmerzlich vermissten Verstorbenen, das können auch Freunde sein, aber auch Ahnen, die man gar nicht gekannt hat. Jemand, der einen beinflusst hat, der einem wichtig oder nah war und nicht mehr da ist. Ich wusste recht schnell, auf wen ich da trinke, nämlich auf meine Oma Alma. Als ich dran war, habe ich auch noch kurz erklärt warum. Weil sie nämlich immer versucht hat, mich als Kind zum Lachen zu bringen und zwar damit, dass sie Zarah Leander-Lieder gesungen hat, vor allem "Kann denn Liebe Sünde sein"! Auch mit diesem Toast erhielt ich guten Zuspruch. Es war herzerwärmend! Wann steht man schon mal nachts auf einer Wiese in Charlottenburg und trinkt lautstark auf seine Oma und fünfunddreißig Leute (oder so) machen begeistert mit! Die meisten haben bei der Ahnenrunde auch Met auf den Boden gemacht, ich habe es glatt vergessen, er hat aber auch zu gut geschmeckt! Dann gab es noch eine dritte, offene Runde, da hat Duke ein Lied gespielt, das zum Thema passte und währenddessen kreiste das Horn noch einmal. Dann gab es ein Schlusswort der Ritualleiterin, es war schön feierlich, aber von mir aus hätte es noch weiter gehen können. Ich wurde dann herzlich umarmt mit den Worten "tak for blót". Das war auch schön. Also mir hat es rundherum gefallen. Duke meinte erheitert, das hätte er sich auch nicht träumen lassen, dass er noch mal mit mir ein blót abhält. Daraufhin erhellte ich, dass mich das eigentlich immer schon mal interessiert hätte - "....aber du warst da ja immer sehr distanziert". Überraschung bei Duke. Er hatte gedacht, ich hielte nichts von seinen Göttern, weil ich mal erläutert hatte, dass das ja eigentlich nur Krücken wären, also im Sinne von Gehhilfen. Womit ich ja außerdem auch recht gehabt hätte. Wie auch immer, es war ein schönes Wiedersehen.

Und am Sonntag war ich dann mit Ina im Cinéma Paris, um den wirklich meisterhaften Dokumentarfilm "Maria by Callas" zu sehen. Ich war ganz benommen, ergriffen, alles. Ich habe geweint. So eine zarte Seele, was man ja sowieso eigentlich immer schon durch die Stimme hören konnte, aber nun auch ganz persönlich in alten Filmaufnahmen sichtbar wurde. Ich dachte immer, sie wäre irgendwie arroganter, kälter als Mensch gewesen. Der Film läuft nur noch in wenigen Kinos, aber irgendwo findet man ihn, unbedingt anschauen, Zwei Stunden mit altem Filmmaterial, viel Privates darunter, aber auch ganze Arien, live Aufnahmen in Bild und Ton. Und ab und zu die warme Stimme von Eva Mattes, die einige private Briefe von Maria Callas liest, in denen sie Vertrauten ihr Herz ausschüttet. Nur dreiundfünfzig wurde sie, so alt wie ich jetzt bin. Nach den Film gingen wir ins Gartencafé vom Literaturhaus in der Fasanenstraße, noch ein bißchen über den Film und dies und das plaudern, herrliches Spätsommerwetter, ein Eisbecher, Espresso unterm Sonnenschirm.

Und dann mein letzter Programmpunkt des Wochenendes, Albans Werkschau im Kaminzimmer des Literaturhauses, last but not least. Ich war somit schon am richtigen Ort und liebe Freunde und Bekannte trudelten ein. Der ganze Tag im Literaturhaus war Albans Werk gewidmet, das erste Panel hatte ich versäumt, aber beim zweiten und dritten war ich von Anfang bis Ende dabei und war schon wieder ergriffen, diesmal von seiner vierten Elegie. Filigrane Gefühle, Verlust, schmerzhafte Wucht.... Im letzten Teil der Werkschau ging es dann um sein Weblog, die Dschungel. Die Geschichte und die Entwicklung und die Bedeutung für ihn selbst. Gegessen hatten wir schon, ein abschließender Umtrunk führte uns noch in den Diener ums Eck. Wir versäumten die letzte S-Bahn, als wir draußen saßen, ein Smartphone gab irrige Auskunft, das der letzte Zug Richtung Alex 1:17 Uhr fährt, aber vielleicht war auch die Frage falsch. Dann nahmen wir gemeinsam den Nachtbus vom Zoo. Lange nicht mehr gemacht. Am Hackeschen Markt zum Abschied geherzt. Daheim die Bilder angeschaut, ein kleiner Nachtimbiss, ein letztes Glas, vier Bilder an Alban geschickt. Es gibt schon welche von Alban und Elvira, und vom Samstag von Duke und Luci, Meine Leser haben ja Phantasie.
g a g a - Mo, 17. Sep, 12:54

Ina Lucia H.
<3

g a g a - Mo, 17. Sep, 12:57

Lutz Nickolai
10. September 2018 um 21:46
Ein sehr schöner Artikel und natürlich freue ich mich riesig darüber das dir unsere Veranstaltung am Samstag so gut gefallen hat.

Gaga Nielsen
11. September 2018 um 1:33
Man muß auch mal loben! -)

Sven Tolksdorf
12. September 2018 um 23:42
Hallo Zebrafrau,
vielen Dank für diesen wundervollen Text!
Ich war übrigens der bärtige Glatzkopf im schwarzen Anzug ;-)

Gaga Nielsen
13. September 2018 um 2:18
Lieber Sven,
ich sehe dich vor mir, denn an dich habe ich gedacht, als ich von einem eleganten schwarzen Anzug schrieb! Schön, dass euch mein Erlebnisaufsatz zusagt, und schön, dass ich mal dabei sein konnte – gerne irgendwann wieder einmal!

Sven Tolksdorf
13. September 2018 um 12:10
Du bist jederzeit herzlich willkommen! Es gibt ja bundesweit reichlich heidnische Veranstaltungen ;-)

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