21. Oktober 2017
Ina wartete bereits im Kaminsaal vom Literarischen Colloquium am Wannsee in den Stuhlreihen, und hielt mir einen Platz frei. "Wer war Ingeborg Bachmann?" hieß die Veranstaltung, die uns beide sehr interessierte. Benannt nach dem Buch, das erst im November erscheinen wird. Wieder hat sich jemand eindringlich mit ihr beschäftigt, diesmal Ina Hartwig. Sie hat viele Zeitzeugen befragt und die neueren Erkenntnisse, aufgrund der vor kurzem erschienen Briefe Ingeborg Bachmanns an ihre Ärzte miteinbezogen. Ich hatte nur einen Blick auf Fragmente der Autorin und ihrer Gesprächspartnerin auf der Bühne, aber wenn ich es darauf angelegt hätte, wäre es möglich gewesen, diskret Bilder zu machen. Um ehrlich zu sein, hat mir das Herzblut gefehlt. Mich verbindet nichts mit der Autorin des Buches, außer dem Interesse an Ingeborg Bachmann. Und die war ja leider aus bekannten Gründen nicht anwesend. Würde sie leben, wäre sie einundneunzig. So bewahren wir für immer das Bild einer jugendlichen Frau, weil uns ein anderes nicht zugänglich oder vorstellbar ist. Sie legte immer Wert auf ihre Erscheinung, zum Glück wurde man nicht mit Bildern überfordert, die sie auf der Intensivstation in der Klinik in Rom mit den Brandwunden zeigen, da, wo sie am 17. Oktober 1973 starb. Es wird seither gemutmaßt, ob ihr Leben zu retten gewesen wäre, hätten die behandelnden Ärzte gewusst, von welchem Psychopharmaka ihre schweren Entzugserscheinungen rührten. Aber was wäre das für eine Ingeborg Bachmann gewesen, die innerlich ohnehin gebrochen war. Mehrfach. Verstümmelt und vernarbt wie ihr vielffach zerrissenes Herz. Das wäre noch tragischer gewesen, als das furchtbare Ende. Wir saßen nach der Lesung und den Gesprächen noch eine Weile in dem Raum mit der Bar, es gab Gulasch- und Kartoffelsuppe, ich hatte Gulasch, Ina die mit den Kartoffeln, sehr gut und heiß. Es war schon herbstlich. Dazu Wein. Das Buch ist noch nicht erschienen, weil die Autorin noch nicht die erforderlichen Freigaben aller Zeitzeugen für die Texte hatte. Bei der Gelegenheit erzählte sie auch, dass sich die Gesetze international sehr unterscheiden, was die Veröffentlichung von Interviews in gedruckter Form angeht. Sie sagte, in den USA gelte das gesprochene Wort, ein Interviewpartner könne keine Abnahme mit eigenmächtigen Änderungen, in Form von gestrichenen Passagen des Gesprächs verlangen. Ina hatte einen sehr speziellen Blickwinkel auf die Passagen, die zu Gehör gebracht wurden, da sie selbst an einem biographischen Buch mit einer mehr oder weniger öffentlichen Person arbeitet und im Zuge dessen auch viele Interviews führt. Wir sprachen darüber, ob es nicht eher eine Verlegenheitsgeste mangels inhaltlicher Substanz darstellt, wenn der Autor, die Autorin, seine persönliche Herangehensweise im Buch mit verarbeitet, beispielsweise, was ihr durch den Kopf ging, während des Flugs nach New York, um einen bestimmten Zeitzeugen zu treffen. Dieses Drumherum. Ich kann damit viel anfangen, weil es eine Verwandtschaft zur Herangehensweise beim Schreiben eines Blogeintrages hat, der in meinem Fall zumindest auf gar keinen Fall den Anspruch hat, sich mit maximaler Distanz oder gar Sachlichkeit einem Subjekt zu nähern. Ich empfinde dann viel mehr, dass ein Text atmet, mir erschließt sich dann das Gesamte organischer, ich mag das. Aber dazu muss man sich selbst wahrscheinlich auch ein bißchen wichtig nehmen. Als Blogger darf man das nicht nur, man muss es sogar, sonst entsteht kein Profil oder Wiedererkennungswert. Es gibt ja genug sachbezogene Seiten im Internet, das hat alles seine Berechtigung. Inas Perspektive ist eine andere, professionellere. Ich mache das ja ohne die geringste Rücksprache mit irgendwem.
g a g a - 21. Oktober 2017, 22:33
fb ~ 22.10.17
Gaga, das stimmt, es fehlte das Herzblut. Nur schwache Erinnerung an die Autorin, aber vielleicht ist das auch ungerecht.
Gaga Nielsen
Das denke ich gar nicht, man muss Herzblut haben, wenn man sich dermaßen in eine Biographie eines Menschen bohrt. Nur: der Star für mich ist natürlich Ingeborg Bachmann und nicht jemand, der über sie schreibt. Vielmehr habe ICH kein Herzblut für den Ansatz, Bilder zur reinen Dokumentation einer Veranstaltung anzufertigen, das wurde mir da wieder ganz deutlich. Der Kaminsaal ist an sich sehenswert, aber den habe ich schon bei einer Lesung von Alban und bei anderen Gelegenheiten verewigt.