03. Oktober 2017
WIE GAGA NIELSEN ZUM TONFILM KAM.
Eike Schmitz, der Regisseur, hatte mich für zehn Uhr zum Amtsgericht in der Turmstraße 91 in Moabit bestellt. Ich war sogar schon früher da und spazierte durch die ehrwürdigen Hallen. Weil das Gericht am Samstag zu ist, mussten extra Mitarbeiter des Justizgebäudes zur Bewachung abgestellt werden. In dem riesigen Palast gibt es fünfzig Verhandlungssäle, es ist das größte Gerichtsgebäude in Europa, und bestimmt eines der beeindruckendsten.
Unserer Filmcrew wurde der Verhandlungssaal Nr. 138 im Erdgeschoss zugedacht, im nebenan gelegenen kleineren Raum 137, wo sich die Geschworenen oder die Anwälte oder Richter zur Beratung zurückziehen können, und der durch eine Verbindungstür mit dem Saal verbunden ist, wurde die Garderobe mit dem Tisch für die Maske eingerichtet. Im Saal waren hinter der Richter-Theke oder Tresen oder Empore oder wie das heißt, viel zu moderne Schreibtisch-Drehstühle, die mussten wir erstmal mit schönen alten auswechseln, die im Beratungszimmer waren. Dann wurde noch der Computer-Bildschirm abgebaut und die Plastik-Akten-Eingangskörbe weggeräumt. Aus dem Babelsberger Requisitenfundus wurde eine schöne alte Justizia-Figur mit den beiden Waagschalen aus poliertem Holz auf den hohen Richtertisch befördert und ein alter Holzhammer mit einem gepolsterten, ledernen Untersatz zum Draufhauen. Kennt man ja aus Film und Fernsehen!
Nach kurzer Beratung wurde entschieden, dass ich die hellere, fliedergraue Chiffonbluse anziehen soll, weil die sich auch farbtechnisch besser machen würde, als die cognacfarbene Seidenbluse. Als es zu meiner Frisur kam, meinte Eike rigoros zur Maskenbildnerin. "mach einfach einen Dutt, fertig!". Ich: "ach, ich habe gedacht, ich kriege so schöne Quetschwellen....?" Eike: "Ja, das wäre schön, aber die Zeit haben wir nicht!". Die Maskenbildnerin warf mir daraufhin einen verschwörerischen Blick zu und teilte mir mit gesenkter Stimme mit: "wir machen da was - ich denke mir da so eine schöne Welle, die so ein bißchen ins Gesicht..." Nachdem der Anwalt des Delinquenten seinen Rauschebart angeklebt bekommten hatte, wurde ich auf den Stuhl gebeten. Es wurde gekämmt und Haare abgeteilt und Partien hochgesteckt. Während die Heißwickler aufheizten, kam wieder einer der Männer dran, der Hauptdarsteller des Franz Tausend wurde raffiniert ungeschminkt geschminkt und abgepudert und sah wirklich komplett naturbelassen aus. Unglaublich, selbst aus geringster Entfernung.
Ich angelte mir einstweilen einen der Drehpläne des Tages, in dem der Szenenablauf ersichtlich war, und auch zum Teil der Text, der in der einen oder anderen Szene vorkommt bzw. als Grundlage für improvisierte Texte dient. Zum Glück hatte ich meine Lesebrille eingesteckt, sonst hätte ich die 6- oder 7-Punkte-Schrift nie entziffern können. Ich fand ein paar leere Din A-4-Seiten in einem Eingangskorb auf dem Schreibtisch in unserer Garderobe und begann den Text, der mir als Übersetzerin der "Zeugenaussage" zugedacht war, in großen Druckbuchstaben abzuschreiben, so dass ich den Text auch ohne Brille lesen kann. Der italienische Professor und ich setzten uns zusammen und gingen die Sätze durch. Da wir keine konkrete Regieanweisung hatten, wie wir das lösen, probierten wir die Variante, dass er immer einen Satz auf italienisch sagt und ich dann aufmerksam zuhöre und dann prompt die Übersetzung wiedergebe. Ich achtete auf mir bekannt vorkommende Wörter mit Wiedererkennungswert, da ich nicht gerade behaupten kann, italienisch zu können. Manche Wörter kann man ja ableiten, aber wenn so ein echter Italiener so echtes Italienisch mit natürlichem Sprechtempo spricht, da kann man schon mal den Faden verlieren. Es war doch eine Herausforderung, was da von mir erwartet wurde, schien mir.
Zur Ablenkung und auch um mal zu sehen, wie da überhaupt vorgegangen wird, beim Dreh, ging ich in den Saal, wo schon fleißig gedreht wurde. Ein altertümlicher Aktenwagen wurde in einem Bogen in den Saal gefahren, und der Kameramann fuhr mit, Großaufnahme der "Sonderakten" des Falls Franz Tausend. Zerfledderte, mit Tinte in Schnörkelschrift beschriftete Aktendeckel aus dem letzten Jahrhundert. Sehr beeindruckend. Es waren aber natürlich nicht die Originale vom Prozess, sondern Akten aus dem Filmfundus, die aber Originale aus Potsdam waren. Mir kam der Gedanke, dass es ja eigentlich nicht so richtig stimmig ist, dass in einem Prozess, der 1931 spielt, und in dem Akten aus den Jahren 1927 bis 1931 eine Rolle spielen, bröselnde, wurmstichige Papierbündel auf den Tischen liegen, weil die ja maximal vier Jahre alt wären und noch ganz gut in Schuss. Das fiel auch einigen anderen aus dem Filmteam schon auf, aber den "Fehler" nimmt man zugunsten des nostalgischen Gefühls in Kauf, das der Anblick der uralten Akten beim Zuschauer auslöst. Man schaut gerne hin und fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. Die Aura! Ich verstand das sofort. Bildschöne Akten. Wie hässlich dagegen sind Behördenakten unserer Gegenwart. Kein Vergleich. Mit welcher kalligraphischen Hingabe die schwungvollen Beschriftungen gesetzt wurden, als gelte es, ein Poesiealbum zu verschönern.
Ich spazierte wieder in den Maskenraum und mittlerweile waren die Heißwickler aufgeheizt und einsatzbereit für meinen Kopf. Aber vorher wurden noch einzelne Strähnen am Hinterkopf gekreppt, für mehr Volumen beim Hochstecken! Es wurde geflochten, gesteckt, gekämmt, gelegt, gestochert, verziert, drapiert. Dann schaute mir im Spiegel eine Hochsteckfrisur mit weichen Wellen entgegen, die im Nacken in einem Flechtwerk mündete, was ich erst später, mit der Hilfe eines zweiten Spiegels sah. Die Männer machten Komplimente für die schöne Frisur, die mir doch ein wenig bieder und brav erschien, aber eben der Zeit und Rolle angemessen, so muss es sicher sein. Besonders interessant fand ich, dass die Maskenbildnerin erklärte, dass sie die Hochsteckfrisur absichtlich unperfekt gehalten hat, weil sich eine Dolmetscherin auf dem Sprung zu einem morgendlichen Gerichtstermin ja selbst frisiert und deswegen nicht wie vom Friseur zurechtgemacht aussehen darf.
Zuletzt widmete sie sich meinem Make up. Ich hatte damit gerechnet, dass ich zuerst rigoros komplett abgeschminkt werde und dann alles von Anfang an neu gemalt wird. Nachdem mich unsere Maskenbildnerin eingehend betrachtet hatte, meinte sie, das wäre schon erstaunlich gut, das könnte man fast schon so lassen, was ich da selbst gemacht habe. Sie nahm das dann als Grundlage und begann mit feinen Pinseln hier und da einzelne Partien aufzuhellen, unter den Augen, über der Oberlippe. Dann noch eine leichte Verlängerung der Augenbrauen und mattieren. Fertig. Nun präsentierte ich mich in meiner Dreißiger-Jahre-Pracht den anwesenden Herren und der Requisiteurin. Alle waren hochzufrieden, Eike meinte gar: "Entzückend, mit dir sollte man gleich einen ganzen Film drehen!". Ich kam ja nur in einer kleinen Szene vor. Einige der Herren wurden regelrecht nostalgisch und erinnerten sich an ihre Großmutter. Der eine erinnerte sich, dass seine Oma genauso das Haar getragen hatte, ein anderer sah meine zierliche Armbanduhr und dachte wiederum an seine Großmama. Es war direkt rührend.
Ich kam nun unerwartet schon in einer früheren Szene dran, wo Hinterköpfe für eine Einstellung mit Publikum gebraucht wurden. Der Richter und die Schöffen und der Staatsanwalt betreten durch die Hintertür den Gerichtssaal und das Publikum steht respektvoll. Dann setzen sich die hohen Herren in ihren Roben und Talaren und der Richter bittet das Publikum, sich ebenfalls zu setzen. Wir setzen uns. Die Szene wurde insgesamt fünfmal gedreht. Beim ersten mal wurde vergessen, die Hintertür zu schließen, man sah den leuchtenden dreiteiligen Maskenspiegel durch die Tür. Dann fiel auf, dass der "Staatsanwalt" seine Plastik-Wasserflasche auf dem Tisch hatte. Dann stimmte die Reihenfolge des Hinsetzens der hohen Herren nicht. Eine sehr kurze Szene nur, aber das Wiederholen kostet Zeit, immer wieder "alles auf Anfang". Wenn Eike, der Regisseur laut sagte: "Und bitte!" startete der Tonmann die Aufnahme mit den Worten: "ich laufe" und mit denselben Worten gab der Kameramann das Zeichen, dass seine Kamera läuft. So verging die Zeit mit vielen kleinen Aufnahmen, die meistens zwei, drei, viermal wiederholt wurden, auch um Auswahl zu haben, wie mir schien. Der Hauptdarsteller schwadronierte von Elementen und Schwingungen und Phantasie-Formeln, mit denen er wirklich "ganz kurz vor dem Durchbruch" stand, was die Herstellung von Gold aus Eigenproduktion anbelangte. Die Garderobiere und ich saßen im Publikum und mussten und das Lachen verkneifen. Das war wirklich glänzend improvisierter Unsinn, den "Franz Tausend" da von sich gab. Schon alleine wegen dieser Vorstellung hätte es sich für mich gelohnt, dabei zu sein.
Es dauerte noch. Ich trank Kaffee und aß einen Banane und Schokolade. Auf dem Schreibtisch im Garderobenraum war das Catering aufgebaut, Wraps, ein Kuchenblech, eine große Kaffeekanne, Tee, Wasserflaschen, Energieriegel, Äpfel, Bananen, mehrere Tafeln Schokolade. Aber kein Alkohol! Ich spazierte zum Zeitvertreib durch das Gerichtsgebäude und las ab und zu den Text, den ich keineswegs auswendig konnte, in der Hoffnung, dass nicht allen Ernstes erwartet wird, dass ich die zwei Seiten da ohne einen Blick auf meine Blätter herunterbeten kann. Meine Vorstellung, was den Ausdruck anging war, dass man als Übersetzerin ja nicht mit der Emphase von jemandem der emotional berührt ist, erzählt, spricht. Also nicht, wie der aufgeregte Zeuge, der den Hochstapler überführt hat, sondern eher betont sachlich und leidenschaftslos, aber genau, mit Bedacht auf die exakte Formulierung. Das ist ja die Aufgabe des Übersetzers eines kriminaltechnisch relevanten Sachverhalts. Nun ja, es würde schon irgendwie über die Bühne gehen, sicher würde man mir ja auch Anweisungen zuteil werden lassen.
Es war schon später Nachmittag, um achtzehn Uhr sollten wir wieder raus sein, aus dem Gerichtsgebäude, die Justiz-Angestellten wollten auch in ihr wohlverdientes Wochenende. Um sich die Zeit zu vertreiben, waren einige von ihnen auf der hintersten Bank m Gerichtssaal, wo kein Kameraschwenk hinkam, und sie schauten zu, was die Filmleute so machen. Mir war das in der Form ja auch neu. Die Liebe zum Detail fiel mir auf, der Wechsel zwischen Totaler und starker Nahaufnahme, obwohl ich nicht auf das Display von Eikes Kästchen geschaut habe, aber so weit reichten meine kameratechnischen Kenntnisse, um das zu identifizieren. Objektive wurden immer wieder gewechselt, das Licht durch ein Tuch gefiltert. Ein eingespieltes Team, unverkennbar, alles sehr unaufgeregt und effizient, ohne große Diskussionen.
Als ich nun mit dem Italiener dran war, es war meiner Erinnerung nach schon Siebzehn Uhr, wurde zuerst geklärt, wo er als Zeuge sitzt, nämlich an einem extra Tisch vor dem Richter und den Beisitzern und ich sollte die ganze Zeit stehen, schon im Saal sein, vor der Balustrade stehen, die den Richter und die Schöffen vom Saal trennt, und ihn, den Zeugen anschauen. Er würde in den Saal gerufen werden, durchquert ihn, geht zum Tisch, sagt sowohl Guten Tag als auch Buon Giorno und setzt sich nach Aufforderung durch den Richter, und beginnt nach der Frage des Richters "Was haben Sie beobachtet? Erzählen Sie mal!" mit seiner italienischen Zeugenaussage. Er sollte die Aussage nun am Stück machen, und ich währenddessen Notizen. Ich hatte Papier in einem zarten Elfenbeinton bei den Requisiten gefunden und darauf noch einmal die Sätze geschrieben, diese Blätter hatte ich nun auf einem alten Aktendeckel zur Stabilisierung und hielt diese "Schreibunterlage" in der einen und einen Bleistift in der anderen Hand, zum Zwecke, Notizen der Zeugenaussage zu machen, die ich dann zu übersetzen hätte. Tatsächlich habe ich nur so getan, als ob sich der Stift notierend von links nach rechts und von oben nach unten auf dem Blatt bewegt, da standen die Notizen ja bereits. Der italienische Kollege hat das ganz hervorragend gemacht, es wirkte total natürlich. Meine Stehposition wurde immer wieder einmal leicht korrigiert, noch ein Stückchen mehr nach hinten, noch ein Stückchen mehr nach links.
Ich war dran, mit dem deutschen Text der Aussage. Das Mikrophon wurde an der langen Stange über meinem Kopf gehalten. Der Tonmann muss unheimliche Oberarmmuskeln haben, so unablässig, wie er seine Arme auf Höhe halten muss, wenn er das Ding hält. Ich durfte meine "Notizen" also ablesen und es wurde eine Aufnahme gemacht, mit dem kompletten Text, wobei ich den Richter zu wenig anschaute, das war mir schon wieder in Vergessenheit geraten, dass ich ja dem Richter berichte, auch wenn ich vorher beim Notieren, naturgemäß, den sprechenden Zeugen anschaue. Man musste sich richtig konzentrieren. Ich dachte, ich sollte aufgrund der Situation und meiner Funktion um Deutlichkeit bemüht sprechen, weil es ja eine gewichtige und sehr belastende Aussage war, auch langsamer, als in einer Konversation. Eike fand das dann aber ein bißchen so, als ob ich zu jemandem spreche, der nicht richtig Deutsch kann. Er wollte es etwas weniger betont. Na gut. Wir beschränkten die weiteren Takes auf die zentrale Belastungs-Aussage, dass der Italiener ihm, Tausend, auf den Kopf zusagte, dass er ein Betrüger sei, ein Hochstapler! Die zweieinhalb Sätze wurden dann aus verschiedener Perspektive gedreht, wobei mir sehr deutlich wurde, wie begrenzt der darstellerische Entfaltungsspielraum meiner Rolle war, zwangsläufig. Ich musste vor allem Haltung bewahren und einer pragmatischen Funktion innerhalb des Gerichtsszenarios gerecht werden. Eine Rolle, die man sich nicht unbedingt aussuchen würde, wenn es eine andere gäbe. Nun war es dann doch im Kasten und es stand nur noch die Szene an, wo Franz Tausend abgeführt wird und das "Hohe Gericht" den Saal verlässt. Ende des Prozesses von Franz Tausend.
Die Zeit war sehr vorangeschritten und Drehschluss achtzehn Uhr überzogen. Es wurde eine Stunde Verlängerung zugestanden und ich sah, wie der Kameramann noch einige Nahaufnahmen von aufgeblätterten Akten machte, das dauerte auch noch einige Zeit und dann ging es an den rasanten Abbau des Sets, bzw. den Rückbau des Saals, wo alle mit anpackten, die noch da waren. Ich baute den Computer-Monitor wieder auf, inclusive Verkabelung und half mit, die Stühle auszuwechseln, die modernen wieder in den Saal, die alten in den Nebenraum. Wir wurden immer schneller, alles wurde in Windeseile vor das Gerichtsgebäude gebracht. Zwischendurch hatte mir die Maskenbildnerin noch die Haarklammern gezogen und ich hatte nun eine Art Jean Harlow-Lockenfrisur, mit ein paar gekreppten Strähnen dazwischen, das sah eher kurios als glamourös aus. Ich wechselte die Schuhe und zog statt der hochhackigen Stiefeletten wieder die flacheren Schnürstiefel an, in denen ich gekommen war. Mir brummte der Kopf ein wenig, ich hätte auch Lust gehabt ein Glas Wein oder einen Schnaps zu trinken.
Die Assistentin und Requisiteurin hatte noch Zettel verteilt, wo man unterschreiben sollte, dass man die Rechte an den Bildern, die von einem gemacht wurden, dem ZDF für Terra X zur Verwertung überlässt. Habe ich natürlich unterschrieben. Ich machte mich noch schlau, wie es nun weitergeht mit dem Film, die Dreharbeiten sind wohl weitgehend fertig, nun kommt die Schnittphase und die Redaktion von Terra X sieht etwa Ende November den Rohschnitt und nach Fertigstellung ist wohl mit einem Sendetermin im Frühjahr 2018 zu rechnen. Der Arbeitstitel war überall "Der große Bluff". Ich weiß nicht, ob das noch geändert wird. Es gibt ja einen Marlene Dietrich-Film, der so heißt. Vielleicht kommt auch noch ein Untertitel dazu, wo Franz Tausend erwähnt wird oder dergleichen. Das weiß ich alles nicht. Ich war aber auf jeden Fall froh, dass ich dabei sein konnte, es war eine sehr interessante Erfahrung. Ich kann mich nur bei Eike für diese Gelegenheit bedanken.
Ich kann mir vorstellen, dass sich mancher gewundert hat, wieso ich hier auf einmal berichte, dass ich in einem Film mitspiele, der noch dazu im Fernsehen gezeigt wird. Normalerweise denkt man, dass man sich dafür casten lässt oder irgendwie bewirbt oder bei einer Agentur für den Einsatz von Statisten meldet. Ich bin dazu eher auf einem privaten Umweg gekommen. Eike und ich haben gemeinsame Freunde, und wir haben uns immer wieder bei verschiedenen Festen oder Events getroffen und ich war auch schon bei einer Vorführung seines Pückler-Filmes auf demTeufelsberg. Unsere gemeinsame Freundin Ina hat bei ihm schon in mehreren Filmen als Statistin mitgemacht und sie fanden beide, ich müsste da auch mal mitspielen, schon aus Spaß. Dann fragte mich Eike neulich, wo ich denn bei dem Dreh in der Villa Jacobs war, da hätte ich doch mitmachen sollen, in der Partyszene! Rumstehen im Zwanziger-Jahre-Abendkleid und Champagner auf der Terrasse trinken. Es war nicht bei mir angekommen. Na gut, der Termin war an einem Tag, an dem ich sowieso nicht gekonnt hätte, wie ich später sah, aber trotzdem hätte ich da Lust drauf gehabt.
Ich fragte Eike, ob er für den Film noch einen Drehtag in Berlin angedacht hat. Da fiel ihm der Gerichtsdreh ein, und dass ich die Sekretärin spielen könnte. Da hörte sich nach einer für mich einfachen Statisttenrolle an, zumal ich zehn Finger blind schreiben kann und es sogar auf einer mechanischen Schreibmaschine aus den Dreissiger Jahren gelernt hatte. Er erzählte auch, dass er dann nur noch eine Übersetzerin braucht, die müsste er noch besetzen. Kurz vor dem Dreh erfuhr ich dann, dass ich nun kurzerhand zur Übersetzerin erklärt wurde. Die Sekretärin wurde ersatzlos gestrichen. Dass eine Übersetzerin Text haben würde, hatte ich fast schon befürchtet. Ich habe mich also nicht um eine Sprechrolle beworben, sondern bin ein bißchen damit überrascht worden. Ich habe es dann einfach sportlich gesehen. Auch kein Hexenwerk! Meine Probeaufnahmen hatte ich ja quasi in Eigenregie schon selber vorgelegt. Also kein Vorsprechen, von privaten Unterhaltungen im Vorfeld abgesehen. Ich hoffe, der meisterhafte Schnitt wird es richten und von allem nur das Beste verwerten. Ich kenne die Filme ja nun zum Teil und weiß, da sind richtige, echte Profis am Werk, da in der Atlantis-Film-Crew. Deswegen hat es mich auch interessiert. Nun bin ich um einiges schlauer. Es ist wirklich Arbeit, richtige, echte Arbeit, einen Film nach fernsehtauglichen Maßstäben zu drehen.
Ich bin dann gleich nach Hause, es gab keine rauschende Party mehr danach, ich musste mich richtig erholen. Ich habe aber nicht nur etwas darüber gelernt, wie so ein Filmdreh von statten geht, sondern auch über den Umschwung in der Mode, von den Zwanzigern zu den Dreißiger Jahren. Sehr interessant. Wie die in den Zwanzigern verloren gegangene, auf die Hüfte gerutschte Taille, wieder nach oben wanderte und betonte Weiblichkeit in der Silhouette gezeigt wurde und der Rocksaum wieder nach unten, bis zur Wade ging. Und dass ich in meiner Garderobe einige Stücke habe, die zu dieser Epoche passen. In eigener Kleidung fühlt man sich immer wohler, als in geborgter. Die riecht auch nicht nach Fundus. Das ist also die Geschichte, wie Gaga Nielsen nun noch doch zum Tonfilm kam. Stummfilmstar war ich ja.
Eike Schmitz, der Regisseur, hatte mich für zehn Uhr zum Amtsgericht in der Turmstraße 91 in Moabit bestellt. Ich war sogar schon früher da und spazierte durch die ehrwürdigen Hallen. Weil das Gericht am Samstag zu ist, mussten extra Mitarbeiter des Justizgebäudes zur Bewachung abgestellt werden. In dem riesigen Palast gibt es fünfzig Verhandlungssäle, es ist das größte Gerichtsgebäude in Europa, und bestimmt eines der beeindruckendsten.
Unserer Filmcrew wurde der Verhandlungssaal Nr. 138 im Erdgeschoss zugedacht, im nebenan gelegenen kleineren Raum 137, wo sich die Geschworenen oder die Anwälte oder Richter zur Beratung zurückziehen können, und der durch eine Verbindungstür mit dem Saal verbunden ist, wurde die Garderobe mit dem Tisch für die Maske eingerichtet. Im Saal waren hinter der Richter-Theke oder Tresen oder Empore oder wie das heißt, viel zu moderne Schreibtisch-Drehstühle, die mussten wir erstmal mit schönen alten auswechseln, die im Beratungszimmer waren. Dann wurde noch der Computer-Bildschirm abgebaut und die Plastik-Akten-Eingangskörbe weggeräumt. Aus dem Babelsberger Requisitenfundus wurde eine schöne alte Justizia-Figur mit den beiden Waagschalen aus poliertem Holz auf den hohen Richtertisch befördert und ein alter Holzhammer mit einem gepolsterten, ledernen Untersatz zum Draufhauen. Kennt man ja aus Film und Fernsehen!
Nach kurzer Beratung wurde entschieden, dass ich die hellere, fliedergraue Chiffonbluse anziehen soll, weil die sich auch farbtechnisch besser machen würde, als die cognacfarbene Seidenbluse. Als es zu meiner Frisur kam, meinte Eike rigoros zur Maskenbildnerin. "mach einfach einen Dutt, fertig!". Ich: "ach, ich habe gedacht, ich kriege so schöne Quetschwellen....?" Eike: "Ja, das wäre schön, aber die Zeit haben wir nicht!". Die Maskenbildnerin warf mir daraufhin einen verschwörerischen Blick zu und teilte mir mit gesenkter Stimme mit: "wir machen da was - ich denke mir da so eine schöne Welle, die so ein bißchen ins Gesicht..." Nachdem der Anwalt des Delinquenten seinen Rauschebart angeklebt bekommten hatte, wurde ich auf den Stuhl gebeten. Es wurde gekämmt und Haare abgeteilt und Partien hochgesteckt. Während die Heißwickler aufheizten, kam wieder einer der Männer dran, der Hauptdarsteller des Franz Tausend wurde raffiniert ungeschminkt geschminkt und abgepudert und sah wirklich komplett naturbelassen aus. Unglaublich, selbst aus geringster Entfernung.
Ich angelte mir einstweilen einen der Drehpläne des Tages, in dem der Szenenablauf ersichtlich war, und auch zum Teil der Text, der in der einen oder anderen Szene vorkommt bzw. als Grundlage für improvisierte Texte dient. Zum Glück hatte ich meine Lesebrille eingesteckt, sonst hätte ich die 6- oder 7-Punkte-Schrift nie entziffern können. Ich fand ein paar leere Din A-4-Seiten in einem Eingangskorb auf dem Schreibtisch in unserer Garderobe und begann den Text, der mir als Übersetzerin der "Zeugenaussage" zugedacht war, in großen Druckbuchstaben abzuschreiben, so dass ich den Text auch ohne Brille lesen kann. Der italienische Professor und ich setzten uns zusammen und gingen die Sätze durch. Da wir keine konkrete Regieanweisung hatten, wie wir das lösen, probierten wir die Variante, dass er immer einen Satz auf italienisch sagt und ich dann aufmerksam zuhöre und dann prompt die Übersetzung wiedergebe. Ich achtete auf mir bekannt vorkommende Wörter mit Wiedererkennungswert, da ich nicht gerade behaupten kann, italienisch zu können. Manche Wörter kann man ja ableiten, aber wenn so ein echter Italiener so echtes Italienisch mit natürlichem Sprechtempo spricht, da kann man schon mal den Faden verlieren. Es war doch eine Herausforderung, was da von mir erwartet wurde, schien mir.
Zur Ablenkung und auch um mal zu sehen, wie da überhaupt vorgegangen wird, beim Dreh, ging ich in den Saal, wo schon fleißig gedreht wurde. Ein altertümlicher Aktenwagen wurde in einem Bogen in den Saal gefahren, und der Kameramann fuhr mit, Großaufnahme der "Sonderakten" des Falls Franz Tausend. Zerfledderte, mit Tinte in Schnörkelschrift beschriftete Aktendeckel aus dem letzten Jahrhundert. Sehr beeindruckend. Es waren aber natürlich nicht die Originale vom Prozess, sondern Akten aus dem Filmfundus, die aber Originale aus Potsdam waren. Mir kam der Gedanke, dass es ja eigentlich nicht so richtig stimmig ist, dass in einem Prozess, der 1931 spielt, und in dem Akten aus den Jahren 1927 bis 1931 eine Rolle spielen, bröselnde, wurmstichige Papierbündel auf den Tischen liegen, weil die ja maximal vier Jahre alt wären und noch ganz gut in Schuss. Das fiel auch einigen anderen aus dem Filmteam schon auf, aber den "Fehler" nimmt man zugunsten des nostalgischen Gefühls in Kauf, das der Anblick der uralten Akten beim Zuschauer auslöst. Man schaut gerne hin und fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. Die Aura! Ich verstand das sofort. Bildschöne Akten. Wie hässlich dagegen sind Behördenakten unserer Gegenwart. Kein Vergleich. Mit welcher kalligraphischen Hingabe die schwungvollen Beschriftungen gesetzt wurden, als gelte es, ein Poesiealbum zu verschönern.
Ich spazierte wieder in den Maskenraum und mittlerweile waren die Heißwickler aufgeheizt und einsatzbereit für meinen Kopf. Aber vorher wurden noch einzelne Strähnen am Hinterkopf gekreppt, für mehr Volumen beim Hochstecken! Es wurde geflochten, gesteckt, gekämmt, gelegt, gestochert, verziert, drapiert. Dann schaute mir im Spiegel eine Hochsteckfrisur mit weichen Wellen entgegen, die im Nacken in einem Flechtwerk mündete, was ich erst später, mit der Hilfe eines zweiten Spiegels sah. Die Männer machten Komplimente für die schöne Frisur, die mir doch ein wenig bieder und brav erschien, aber eben der Zeit und Rolle angemessen, so muss es sicher sein. Besonders interessant fand ich, dass die Maskenbildnerin erklärte, dass sie die Hochsteckfrisur absichtlich unperfekt gehalten hat, weil sich eine Dolmetscherin auf dem Sprung zu einem morgendlichen Gerichtstermin ja selbst frisiert und deswegen nicht wie vom Friseur zurechtgemacht aussehen darf.
Zuletzt widmete sie sich meinem Make up. Ich hatte damit gerechnet, dass ich zuerst rigoros komplett abgeschminkt werde und dann alles von Anfang an neu gemalt wird. Nachdem mich unsere Maskenbildnerin eingehend betrachtet hatte, meinte sie, das wäre schon erstaunlich gut, das könnte man fast schon so lassen, was ich da selbst gemacht habe. Sie nahm das dann als Grundlage und begann mit feinen Pinseln hier und da einzelne Partien aufzuhellen, unter den Augen, über der Oberlippe. Dann noch eine leichte Verlängerung der Augenbrauen und mattieren. Fertig. Nun präsentierte ich mich in meiner Dreißiger-Jahre-Pracht den anwesenden Herren und der Requisiteurin. Alle waren hochzufrieden, Eike meinte gar: "Entzückend, mit dir sollte man gleich einen ganzen Film drehen!". Ich kam ja nur in einer kleinen Szene vor. Einige der Herren wurden regelrecht nostalgisch und erinnerten sich an ihre Großmutter. Der eine erinnerte sich, dass seine Oma genauso das Haar getragen hatte, ein anderer sah meine zierliche Armbanduhr und dachte wiederum an seine Großmama. Es war direkt rührend.
Ich kam nun unerwartet schon in einer früheren Szene dran, wo Hinterköpfe für eine Einstellung mit Publikum gebraucht wurden. Der Richter und die Schöffen und der Staatsanwalt betreten durch die Hintertür den Gerichtssaal und das Publikum steht respektvoll. Dann setzen sich die hohen Herren in ihren Roben und Talaren und der Richter bittet das Publikum, sich ebenfalls zu setzen. Wir setzen uns. Die Szene wurde insgesamt fünfmal gedreht. Beim ersten mal wurde vergessen, die Hintertür zu schließen, man sah den leuchtenden dreiteiligen Maskenspiegel durch die Tür. Dann fiel auf, dass der "Staatsanwalt" seine Plastik-Wasserflasche auf dem Tisch hatte. Dann stimmte die Reihenfolge des Hinsetzens der hohen Herren nicht. Eine sehr kurze Szene nur, aber das Wiederholen kostet Zeit, immer wieder "alles auf Anfang". Wenn Eike, der Regisseur laut sagte: "Und bitte!" startete der Tonmann die Aufnahme mit den Worten: "ich laufe" und mit denselben Worten gab der Kameramann das Zeichen, dass seine Kamera läuft. So verging die Zeit mit vielen kleinen Aufnahmen, die meistens zwei, drei, viermal wiederholt wurden, auch um Auswahl zu haben, wie mir schien. Der Hauptdarsteller schwadronierte von Elementen und Schwingungen und Phantasie-Formeln, mit denen er wirklich "ganz kurz vor dem Durchbruch" stand, was die Herstellung von Gold aus Eigenproduktion anbelangte. Die Garderobiere und ich saßen im Publikum und mussten und das Lachen verkneifen. Das war wirklich glänzend improvisierter Unsinn, den "Franz Tausend" da von sich gab. Schon alleine wegen dieser Vorstellung hätte es sich für mich gelohnt, dabei zu sein.
Es dauerte noch. Ich trank Kaffee und aß einen Banane und Schokolade. Auf dem Schreibtisch im Garderobenraum war das Catering aufgebaut, Wraps, ein Kuchenblech, eine große Kaffeekanne, Tee, Wasserflaschen, Energieriegel, Äpfel, Bananen, mehrere Tafeln Schokolade. Aber kein Alkohol! Ich spazierte zum Zeitvertreib durch das Gerichtsgebäude und las ab und zu den Text, den ich keineswegs auswendig konnte, in der Hoffnung, dass nicht allen Ernstes erwartet wird, dass ich die zwei Seiten da ohne einen Blick auf meine Blätter herunterbeten kann. Meine Vorstellung, was den Ausdruck anging war, dass man als Übersetzerin ja nicht mit der Emphase von jemandem der emotional berührt ist, erzählt, spricht. Also nicht, wie der aufgeregte Zeuge, der den Hochstapler überführt hat, sondern eher betont sachlich und leidenschaftslos, aber genau, mit Bedacht auf die exakte Formulierung. Das ist ja die Aufgabe des Übersetzers eines kriminaltechnisch relevanten Sachverhalts. Nun ja, es würde schon irgendwie über die Bühne gehen, sicher würde man mir ja auch Anweisungen zuteil werden lassen.
Es war schon später Nachmittag, um achtzehn Uhr sollten wir wieder raus sein, aus dem Gerichtsgebäude, die Justiz-Angestellten wollten auch in ihr wohlverdientes Wochenende. Um sich die Zeit zu vertreiben, waren einige von ihnen auf der hintersten Bank m Gerichtssaal, wo kein Kameraschwenk hinkam, und sie schauten zu, was die Filmleute so machen. Mir war das in der Form ja auch neu. Die Liebe zum Detail fiel mir auf, der Wechsel zwischen Totaler und starker Nahaufnahme, obwohl ich nicht auf das Display von Eikes Kästchen geschaut habe, aber so weit reichten meine kameratechnischen Kenntnisse, um das zu identifizieren. Objektive wurden immer wieder gewechselt, das Licht durch ein Tuch gefiltert. Ein eingespieltes Team, unverkennbar, alles sehr unaufgeregt und effizient, ohne große Diskussionen.
Als ich nun mit dem Italiener dran war, es war meiner Erinnerung nach schon Siebzehn Uhr, wurde zuerst geklärt, wo er als Zeuge sitzt, nämlich an einem extra Tisch vor dem Richter und den Beisitzern und ich sollte die ganze Zeit stehen, schon im Saal sein, vor der Balustrade stehen, die den Richter und die Schöffen vom Saal trennt, und ihn, den Zeugen anschauen. Er würde in den Saal gerufen werden, durchquert ihn, geht zum Tisch, sagt sowohl Guten Tag als auch Buon Giorno und setzt sich nach Aufforderung durch den Richter, und beginnt nach der Frage des Richters "Was haben Sie beobachtet? Erzählen Sie mal!" mit seiner italienischen Zeugenaussage. Er sollte die Aussage nun am Stück machen, und ich währenddessen Notizen. Ich hatte Papier in einem zarten Elfenbeinton bei den Requisiten gefunden und darauf noch einmal die Sätze geschrieben, diese Blätter hatte ich nun auf einem alten Aktendeckel zur Stabilisierung und hielt diese "Schreibunterlage" in der einen und einen Bleistift in der anderen Hand, zum Zwecke, Notizen der Zeugenaussage zu machen, die ich dann zu übersetzen hätte. Tatsächlich habe ich nur so getan, als ob sich der Stift notierend von links nach rechts und von oben nach unten auf dem Blatt bewegt, da standen die Notizen ja bereits. Der italienische Kollege hat das ganz hervorragend gemacht, es wirkte total natürlich. Meine Stehposition wurde immer wieder einmal leicht korrigiert, noch ein Stückchen mehr nach hinten, noch ein Stückchen mehr nach links.
Ich war dran, mit dem deutschen Text der Aussage. Das Mikrophon wurde an der langen Stange über meinem Kopf gehalten. Der Tonmann muss unheimliche Oberarmmuskeln haben, so unablässig, wie er seine Arme auf Höhe halten muss, wenn er das Ding hält. Ich durfte meine "Notizen" also ablesen und es wurde eine Aufnahme gemacht, mit dem kompletten Text, wobei ich den Richter zu wenig anschaute, das war mir schon wieder in Vergessenheit geraten, dass ich ja dem Richter berichte, auch wenn ich vorher beim Notieren, naturgemäß, den sprechenden Zeugen anschaue. Man musste sich richtig konzentrieren. Ich dachte, ich sollte aufgrund der Situation und meiner Funktion um Deutlichkeit bemüht sprechen, weil es ja eine gewichtige und sehr belastende Aussage war, auch langsamer, als in einer Konversation. Eike fand das dann aber ein bißchen so, als ob ich zu jemandem spreche, der nicht richtig Deutsch kann. Er wollte es etwas weniger betont. Na gut. Wir beschränkten die weiteren Takes auf die zentrale Belastungs-Aussage, dass der Italiener ihm, Tausend, auf den Kopf zusagte, dass er ein Betrüger sei, ein Hochstapler! Die zweieinhalb Sätze wurden dann aus verschiedener Perspektive gedreht, wobei mir sehr deutlich wurde, wie begrenzt der darstellerische Entfaltungsspielraum meiner Rolle war, zwangsläufig. Ich musste vor allem Haltung bewahren und einer pragmatischen Funktion innerhalb des Gerichtsszenarios gerecht werden. Eine Rolle, die man sich nicht unbedingt aussuchen würde, wenn es eine andere gäbe. Nun war es dann doch im Kasten und es stand nur noch die Szene an, wo Franz Tausend abgeführt wird und das "Hohe Gericht" den Saal verlässt. Ende des Prozesses von Franz Tausend.
Die Zeit war sehr vorangeschritten und Drehschluss achtzehn Uhr überzogen. Es wurde eine Stunde Verlängerung zugestanden und ich sah, wie der Kameramann noch einige Nahaufnahmen von aufgeblätterten Akten machte, das dauerte auch noch einige Zeit und dann ging es an den rasanten Abbau des Sets, bzw. den Rückbau des Saals, wo alle mit anpackten, die noch da waren. Ich baute den Computer-Monitor wieder auf, inclusive Verkabelung und half mit, die Stühle auszuwechseln, die modernen wieder in den Saal, die alten in den Nebenraum. Wir wurden immer schneller, alles wurde in Windeseile vor das Gerichtsgebäude gebracht. Zwischendurch hatte mir die Maskenbildnerin noch die Haarklammern gezogen und ich hatte nun eine Art Jean Harlow-Lockenfrisur, mit ein paar gekreppten Strähnen dazwischen, das sah eher kurios als glamourös aus. Ich wechselte die Schuhe und zog statt der hochhackigen Stiefeletten wieder die flacheren Schnürstiefel an, in denen ich gekommen war. Mir brummte der Kopf ein wenig, ich hätte auch Lust gehabt ein Glas Wein oder einen Schnaps zu trinken.
Die Assistentin und Requisiteurin hatte noch Zettel verteilt, wo man unterschreiben sollte, dass man die Rechte an den Bildern, die von einem gemacht wurden, dem ZDF für Terra X zur Verwertung überlässt. Habe ich natürlich unterschrieben. Ich machte mich noch schlau, wie es nun weitergeht mit dem Film, die Dreharbeiten sind wohl weitgehend fertig, nun kommt die Schnittphase und die Redaktion von Terra X sieht etwa Ende November den Rohschnitt und nach Fertigstellung ist wohl mit einem Sendetermin im Frühjahr 2018 zu rechnen. Der Arbeitstitel war überall "Der große Bluff". Ich weiß nicht, ob das noch geändert wird. Es gibt ja einen Marlene Dietrich-Film, der so heißt. Vielleicht kommt auch noch ein Untertitel dazu, wo Franz Tausend erwähnt wird oder dergleichen. Das weiß ich alles nicht. Ich war aber auf jeden Fall froh, dass ich dabei sein konnte, es war eine sehr interessante Erfahrung. Ich kann mich nur bei Eike für diese Gelegenheit bedanken.
Ich kann mir vorstellen, dass sich mancher gewundert hat, wieso ich hier auf einmal berichte, dass ich in einem Film mitspiele, der noch dazu im Fernsehen gezeigt wird. Normalerweise denkt man, dass man sich dafür casten lässt oder irgendwie bewirbt oder bei einer Agentur für den Einsatz von Statisten meldet. Ich bin dazu eher auf einem privaten Umweg gekommen. Eike und ich haben gemeinsame Freunde, und wir haben uns immer wieder bei verschiedenen Festen oder Events getroffen und ich war auch schon bei einer Vorführung seines Pückler-Filmes auf demTeufelsberg. Unsere gemeinsame Freundin Ina hat bei ihm schon in mehreren Filmen als Statistin mitgemacht und sie fanden beide, ich müsste da auch mal mitspielen, schon aus Spaß. Dann fragte mich Eike neulich, wo ich denn bei dem Dreh in der Villa Jacobs war, da hätte ich doch mitmachen sollen, in der Partyszene! Rumstehen im Zwanziger-Jahre-Abendkleid und Champagner auf der Terrasse trinken. Es war nicht bei mir angekommen. Na gut, der Termin war an einem Tag, an dem ich sowieso nicht gekonnt hätte, wie ich später sah, aber trotzdem hätte ich da Lust drauf gehabt.
Ich fragte Eike, ob er für den Film noch einen Drehtag in Berlin angedacht hat. Da fiel ihm der Gerichtsdreh ein, und dass ich die Sekretärin spielen könnte. Da hörte sich nach einer für mich einfachen Statisttenrolle an, zumal ich zehn Finger blind schreiben kann und es sogar auf einer mechanischen Schreibmaschine aus den Dreissiger Jahren gelernt hatte. Er erzählte auch, dass er dann nur noch eine Übersetzerin braucht, die müsste er noch besetzen. Kurz vor dem Dreh erfuhr ich dann, dass ich nun kurzerhand zur Übersetzerin erklärt wurde. Die Sekretärin wurde ersatzlos gestrichen. Dass eine Übersetzerin Text haben würde, hatte ich fast schon befürchtet. Ich habe mich also nicht um eine Sprechrolle beworben, sondern bin ein bißchen damit überrascht worden. Ich habe es dann einfach sportlich gesehen. Auch kein Hexenwerk! Meine Probeaufnahmen hatte ich ja quasi in Eigenregie schon selber vorgelegt. Also kein Vorsprechen, von privaten Unterhaltungen im Vorfeld abgesehen. Ich hoffe, der meisterhafte Schnitt wird es richten und von allem nur das Beste verwerten. Ich kenne die Filme ja nun zum Teil und weiß, da sind richtige, echte Profis am Werk, da in der Atlantis-Film-Crew. Deswegen hat es mich auch interessiert. Nun bin ich um einiges schlauer. Es ist wirklich Arbeit, richtige, echte Arbeit, einen Film nach fernsehtauglichen Maßstäben zu drehen.
Ich bin dann gleich nach Hause, es gab keine rauschende Party mehr danach, ich musste mich richtig erholen. Ich habe aber nicht nur etwas darüber gelernt, wie so ein Filmdreh von statten geht, sondern auch über den Umschwung in der Mode, von den Zwanzigern zu den Dreißiger Jahren. Sehr interessant. Wie die in den Zwanzigern verloren gegangene, auf die Hüfte gerutschte Taille, wieder nach oben wanderte und betonte Weiblichkeit in der Silhouette gezeigt wurde und der Rocksaum wieder nach unten, bis zur Wade ging. Und dass ich in meiner Garderobe einige Stücke habe, die zu dieser Epoche passen. In eigener Kleidung fühlt man sich immer wohler, als in geborgter. Die riecht auch nicht nach Fundus. Das ist also die Geschichte, wie Gaga Nielsen nun noch doch zum Tonfilm kam. Stummfilmstar war ich ja.
g a g a - 3. Oktober 2017, 13:20
Ich hoffe,