18. September 2017



Kuriose Begebenheiten im alten Einstein. Verabredung mit Ina. Zeit vergessen - aber ich war zuerst da, in der alten Villa in der Kurfürstenstraße in Schöneberg. Viel zu selten ist man dort. So ein Ort, entdeckte man ihn im Urlaub, man würde ihn in der Postkarte an die Lieben erwähnen. Falls man noch Postkarten schreibt. Schreibt man noch Postkarten? Ich bekomme manchmal welche von kid37. Aus Wien. Und von Hiddensee. Und freue mich total. Und schreibe selber keine. Nur virtuelle Postkarten, wie diese hier. Also eine Postkarte an meine Leser, vom alten Cafè Einstein. "Stammhaus" wird es untertitelt, seit es das zweite Unter den Linden gibt. Ich hörte zum ersten mal vom Einstein bei einer 3-Sat-Übertragung. Es war eine live-Sendung, die Ärzte waren zu Gast. Wann könnte das gewesen sein? Ich lebte damals noch nicht in Berlin, war aber auf jeden Fall in die Ärzte verliebt, und wenn die da auftreten, ist das bestimmt ein brauchbarer Ort. Ich muss das mal eben recherchieren - - - ok - finde nichts. Aber so war es. Vielleicht war es zur Berlinale 1984 oder 85 oder 86... egal. Als ich Sechsundachtzig nach Berlin zog, führten mich meine Erkundungen auch ins Einstein, das versteht sich von selbst. Ich hatte unheimlichen Respekt vor dem Lokal. Im Dschungel hatte ich einen Liebhaber kennengelernt, der beim Film arbeitete, mit Frau von Trotta Rosa Luxemburg drehte, und die Premierenfeier war im Einstein. Ich wäre gern dabei gewesen, aber ich war nur eine Liebschaft, jemand, den man in der Nacht trifft. Das verbinde ich auch mit dem Einstein. Die Ober waren immer ein bißchen elitär seinerzeit, aber vielleicht kam es mir auch nur so vor. Als wir uns da neulich verabredeten, Ina und ich, war es ganz anders. An diesem Abend, Ende Juli, waren die Innenräume völlig leer, die Gäste waren draußen im lauschigen Hof, und ich wählte einen Tisch unter der Pergola. Sie erinnerte mich an eine Filmszene mit Romy Schneider und Alain Delon. Die beiden sitzen beim Heurigen, er in seiner schneidigen Offiziers-Uniform, sie als das Mädel aus der Bäckerei - oder war das Helmut Lohner und gar nicht Delon? Verwechsle ich eventuell, zu faul zum überprüfen. Dabei hab ich den Film vermutlich sogar auf einer alten VHS-Kassette. Jedenfalls war der Platz, den ich für Ina und mich gewählt hatte, ein sehr schöner und poetischer. Ich habe das gar nicht angemessen fotografiert, dabei hätte es niemanden gestört. Da wir nicht verabredet hatten, wo wir uns im Einstein treffen, teilte ich dem Ober mit, dass ich noch eine Freundin erwarte und bat ihn, sie zu dem von mir gewählten Tisch im Garten unter der Pergola zu führen, sobald sie da sei. "Eine schöne blonde Frau!" Der Ober nickte beflissen und versprach hoch und heilig, genau dies zu tun. Ich saß derweil unter den rankenden Blättern und bestellte Wein und Wasser und studierte die Karte. Es war noch hell, ein Sommerabend, ganz lau. Am Tisch hinter mir ein englisch sprechendes Paar, er bedeutend älter, bestellte eine Flasche Champagner. Die Palmenblätter wippten, ich hatte Lust zu rauchen und stellte fest, dass meine Zigarettenschachtel so gut wie leer war. Ina brauchte offenbar noch etwas länger, ich wartete und dachte, ich könnte einstweilen Zigaretten holen, der andere Kellner hatte mir versichert, dass es einen Automaten im Keller gibt. Eine gute Möglichkeit, die Zeit zu überbrücken. Also hinein in die Villa und die Stufen nach unten zu dem Automaten. Ich rauche ja sehr unregelmäßig, aber wenn, mit Hingabe. Wenn ich mich bevorrate, dann so gut wie immer im Supermarkt, beim Kauf der Lebensmittel. Oder hin und wieder beim Rosen-Kiosk in der Rosenthaler Straße. Aber an einem Automaten war ich seit ungefähr zwanzig Jahren nicht mehr. Das erklärt meine Verwunderung, dass der Automat von mir einen Beweis meiner Volljährigkeit haben wollte. Ich dachte eigentlich, dass die Dinge des täglichen Bedarfs im Zuge des technischen und logistischen Fortschritts einfacher zu bekommen sind, aber das gilt nicht für Zigaretten. Aha. Nun bin ich im Besitz einer EC-Karte und auch Bargeld war im Portemonnaie, aber das hat leider nicht gereicht, um den Kauf am Automaten zu legitimieren. Ich hatte bereits einen Geldschein in den Automaten gesteckt und wählte die Marke, aber dann wurde der Vorgang blockiert, weil ich mich nicht parallel dazu ausgewiesen hatte, also den Personalausweis nicht in den Leseschlitz eingeführt. Und zwar deshalb, weil mein Personalausweis das gar nicht kann, meines Wissens. Ich habe seinerzeit, als ich das neue biometrische Ding bekommen hatte, quasi abgelehnt, dass er digital lesbar ist. Oder so ähnlich. Weiß nicht mehr. Wie auch immer, ich stand genervt vor dem Zigarettenautomaten im Keller vom Einstein und drückte auf die Taste für die Geldrückgabe. Und nun purzelte ein Goldregen in den Münzschacht. Was ich als Schein eingeführt hatte, wurde mir nun in fünfzig-Cent-Münzen heimgezahlt. Zehn Euro in fünfzig-Cent-Münzen. Ich danke. Ich schaufelte den Münzberg in mein nur noch schwer verschließbares Portemonnaie und ging wieder die Treppe nach oben. Da empfing mich der ältere Ober, der mich auch begrüßt hatte, mit einem breiten, warmen Lächeln und den Worten: "Sie werden schon erwartet! Ich begleite Sie zu Ihrem Tisch, Ihre Freundin wartet schon geraume Zeit!" Einen Moment überlegte ich, ob Ina bereits gekommen sein könnte, und nun auf mich warten würde - wobei - so lange war ich ja nun auch wieder nicht unten beim Zigarettenautomaten... Der Oberkellner führte mich mit fürsorglicher Geste die Treppe nach unten in den Garten und zielsicher zu dem mir bereits bestens bekannten Tisch unter der Pergola. Der Tisch war immer noch leer. Ich schaute den Kellner irritiert an. Er schaute mich irritiert an und begann entschuldigend zu stammeln - - - "Aber - äh - da war doch Ihre Freundin....?" Ich: "Aber das bin doch ICH!!! Ich habe keine Zwillingsschwester! Ich bin es selber!!!" Er "Ah ja - mein Gott - ich dachte - weil Sie sagten, die Freundin ist eine schöne blonde Frau!" Ich setzte mich abermals an den Tisch und nahm einen Schluck Wein. Der jüngere Ober, der unserem Tisch zugeteilt war, kam vorbei, ich erzählte ihm, dass ich nicht in der Lage war, mir Zigaretten an dem Automaten zu holen, weil ich nicht beweisen konnte, dass ich volljährig und daher befugt sei. Ich klagte mein ganzes Elend. Er versicherte, dass das überhaupt kein Prolbem sei, er könnte das für mich regeln. Ich nannte ihm die Marke und er servierte mir das Päckchen wenige Minuten später. Und dann kam auch endlich Ina, in einem tollen roten Armani-Kleid, sich für die Verspätung entschuldigend. Ich erzählte ihr das Drama am Zigarettenautomat, und die ja auch irgendwie interessante Verwechslung von dem schon etwas betagten Ober. Sie lachte und ich fand es dann auch nur noch ulkig. Wie in einem alten Hans Moser-Film. Ich bestellte mir ein kleines Schnitzel und revidierte die Bestellung nochmal - lieber doch das große. Das war es dann auch. Später gingen wir noch nach oben in die Lebensstern-Bar, da gibt es eine kleine extra Bildstrecke. Und beim Gehen freuten wir uns über das Bild von Romy in der Eingangshalle. Sie passt da ganz wunderbar hin. Man freut sich einfach. Das alte Einstein ist schon etwas sehr Besonderes.





zuckerwattewolkenmond - Mo, 18. Sep, 10:50

Deine Story

klingt wie eine ausgedachte Satire. Ich habe schallend gelacht. Verstehe aber, daß wenn man selbst das Opfer der Verwirrung und der Umstände ist, das nicht so lustig findet. ;o)

g a g a - Mo, 18. Sep, 12:20

doch, doch, ich fand es schon lustig, während es passierte, also die Verwechslung von dem Ober. Der Ort an sich ist ja schon filmreif, aber der gute Mann war die perfekte Besetzung für einen etwas verwirrten älteren Kellner. Schütteres Haar, lange Schürze, beflissene Gesten alter Schule, demutsvolles Lächeln. Das gibt es heutzutage gar nicht mehr, in unseren Zeiten, wo das Servicepersonal oft aus studentischen Hilfskräften besteht. Derart betagte Kellner habe ich eigentlich nur in Wien erlebt. Das hatte überhaupt so einen Wiener Charme, inclusive Verwechslung. So ein Moment, wo man denkt das eigene Leben ist doch wirklich der reinste Spielfilm.
zuckerwattewolkenmond - Mo, 18. Sep, 12:51

Ich fand ja

eigentlich die Szene mit dem Zigarettenautomaten viel lustiger. Das hat so eine Situationskomik, die ich mag, vor allem wenn ich mir dabei dein Gesicht vorstelle.
g a g a - Mo, 18. Sep, 13:33

Ungläubig wird es treffen. Einen kurzen Moment dachte ich, ich stehe an einem Spielautomaten und habe einen Volltreffer erzielt, den Hauptgewinn. Oder dass ein blöder Zufall den kompletten Inhalt des Automaten entleert. Es hätte ja auch ein Riesenglück sein können, ein netter kleiner Wiedergutmachungsversuch vom Schicksal für alle bis dato erlittenen Verluste! Bis ich realisierte, dass es doch nur ein Zigarettenautomat war und das dann doch begrenzte Geld, das ich in anderer Form reingesteckt hatte.
g a g a - Mo, 18. Sep, 18:50

fb ~ 18.09.17

Alban Nikolai Herbst
Ich war da auch lange nicht mehr. Aber erinnere mich gut, daß ich zu Anfang meiner Berliner Zeit, in den Neunzigern also, dort versehentlich fast mal eine Frau angebaggert hätte, von der sich schnell herausstellte, daß sie die Begleiterin Peter Handkes war... der war wohl grad auf Toilette gewesen. Göttinseidank kam er rechtzeitig zurück. Lacht.

Gaga Nielsen
das hätte aber auch eine interessante Anekdote werden können, wäre er etwas später zurückgekommen. Vielleicht wäre es sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen und der Ober hätte dazwischengehen müssen. Handke hatte ja einige prominente Lebenspartnerinnen... war die Dame irgendwie bekannt?

Alban Nikolai Herbst
Mir nicht. Aber sie ensprach so ziemlich meinem Frauen-Archetypen. Und, nein... handgreiflich wären ganz sicher weder Handke noch ich geworden. Außerdem hätte die junge Dame Handkes objektive gegen meine eingebildete Wichtigkeit sicherlich nicht eingetauscht.

Gaga Nielsen
"Handkes objektive gegen meine eingebildete Wichtigkeit" das ist wieder so ein schöner Satz von dir. Und nicht einmal kokett.

Alban Nikolai Herbst
Nö - für mich damals (also nicht kokett). Heute freilich wäre er es.

g a g a - Mo, 18. Sep, 22:56

im Abendlicht


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