28. Juli 2016
Die Verteilung von Zuneigung, Faszination erfolgt nicht nach demokratischen Regeln. Das gilt auch für die Verteilung der Aufmerksamkeit beim Fotografieren. Eine völlige Ungleichbehandlung der Protagonisten, in dieser Reihe besonders auffällig. Hätte ich mit Auftrag fotografiert - was ich exakt aus diesem Grund ungerne mache - hätte ich die beiden Künstlerinnen mit einem gleichwertigen Anteil berücksichtigen müssen, obwohl meine visuelle Zuneigung eindeutig auf die Cellistin Rachel Maio gerichtet war. Weil ich diese Vorgabe nicht hatte und radikal meinen Impulsen und Neigungen folge, musste ich rein gar nichts berücksichtigen. Ich liebe das. Die Gitarristin und Sängerin Marta Collica spielte und sang ganz wunderbar, aber es vermittelte sich nicht derart visuell in der Bühnenpräsenz wie bei Rachel Maio, die mich in kürzester Zeit mit ihrer sphinxhaften Erscheinung hypnotisiert hatte. Ich kann die Musik kaum beschreiben, habe keine Aufnahme davon. Nur von den Solosachen von Rachel Maio, hier ein wundervoller Song von ihr, Sea Shanty. Elegisch, sphärisch, melancholisch, aber nicht weinerlich. Ich erinnere mich, dass es etwas Ruhiges und Entrücktes hatte, was sie spielten, eine dunkle, hypnotische Qualität. Ich mochte es sehr. Sie traten nach Pharoah Chromium auf, auch das war an dem Abend der Record Release von Perseverantia von Alexander Hacke und Danielle de Picciotto im Roten Salon. Hatte ich ja vorgestern die Bilder gepostet. Die beiden, Rachel und Marta waren der zweite Support Act. Ich hatte nie zuvor von ihnen gehört. Ein besonderes Merkmal von einer besonderen Qualität und Substanz eines Musikacts ist für mich, wenn ich keine pädagogisch wertvolle Haltung dazu in mir suche, sondern einfach nur gebannt zuhöre und die Intensität des Moments empfinde, tiefe Resonanz in mir spüre. Das konnte diese Musik. Aber meine Kamera konzentrierte sich immer wieder einseitig auf Rachel Maio. Verteilung von Zuneigung ist nicht gerecht, sondern neigungsbedingt. Für mich ist es mitunter heikel und auch zu kompliziert, wenn ich irgendwo, ob bei einem Konzert oder einer Ausstellungseröffnung mit der Kamera unterwegs bin, wo ich einige der Musiker, Künstler oder Gäste persönlich kenne, berücksichtigen zu sollen, dass sich jemand unzureichend gewürdigt und beachtet fühlen könnte, wenn die Bilder in der Gesamtheit vorliegen. Solche Befindlichkeiten kann man eigentlich nur berechtigterweise haben, wenn ein Auftrag zugrundeliegt, der beinhaltet, von jedem Protagonisten einen gleichwertigen Anteil an Bildmaterial zu liefern. Wer leidenschaftlich arbeitet, kann sich nicht mit demokratischen Idealen aufhalten, so entsteht kein leidenschaftliches Ergebnis.
Mitunter denke ich, ich schreibe hier doch Binsenweisheiten, aber dann sehe ich wieder zuhauf, wie in diesem Bereich dilettiert wird und langweiliges Material produziert wird, und dann ist es vielleicht doch der schriftlichen Erhellung wert, wie diese Dinge funktionieren. Zum Beispiel Fotos oder noch schlimmer, Videos von Liveperformances einer Gruppe. Eine fünfköpfige Band. Nichts ist langweiliger, uninteressanter als eine Aufnahmereihe von einer Totalen der Bühnensituation, in der garantiert immer alle musizierenden Akteure gleichermaßen berücksichtigt sind. So ein Schuss ist lediglich für den Gesamteindruck der Situation ganz vereinzelt von Interesse, aber so gut wie nie, als elektrisierende Erinnerung an einen besonderen Bühnenmoment. Am sehenswertesten sind noch am ehesten diese Verbeugungen vor dem Publikum, weil in dem Moment eine sehr schöne gemeinsame Energie innerhalb der Gruppe fokussierbar ist und Berührung stattfindet. Wenn es aber einen klaren Frontmann oder eine Frontfrau gibt, gebührt diesem Alphatier auch die größte Aufmerksamkeit in der visuellen Dokumentation, sofern Charisma vorhanden. Wenn jetzt natürlich der Drummer im Hintergrund den größten Sex Appeal hätte, könnte es bei meiner speziellen Vorgehensweise schon passieren, dass sich meine Kamera auf ihn fokussiert. Aber in jedem Fall werde ich den Bereich mit der höchsten Elektrizität ins Auge fassen. Das interessiert mich. Elektrizität und Intensität. Danach suche ich. Und das finde ich. Insofern ist jeder eingeladen, mir möglichst hohe Elektrizität anzubieten, ich werde den Impuls spüren. Und sehen.
g a g a - 28. Juli 2016, 17:12
http://www.kultmucke.de/marta-collica-will-we-know-more/