02. Februar 2016
Bei diesem Beitrag war ich immerhin schon am weitesten. Einige Aufnahmen aus der umfangreichen Strecke ausgewählt. Den Embed-Code für die jeweiligen Bilder eingefügt, die Bildgröße für den Blogeintrag angepasst. Breite 386 Pixel. Seither ruhte der Eintrag unter den Entwürfen. Neben einigen anderen, die nicht ganz so weit fortgeschritten waren, sind. Seit Wochen, bald Monaten, will sich der drängende Impuls nicht einstellen, die Bilder hier zu posten und etwas dazu zu schreiben. Obgleich ich mit großem Elan bei diesem Konzert war. Und noch dazu ein gewissermaßen Aha-Erlebnis hatte. Normalerweise erwarte ich nicht, dass der Hauptprotagonist eines Abends, eines Konzertes, zumal wenn es sich um mehr als Lokalprominenz handelt, ausgesucht auf meine Anwesenheit reagiert. Wie ich auf seine. Es ist ja nun ausgesucht, wenn ich irgendwo hingehe und die Kamera dabeihabe, bewusst den Akku geladen habe, damit ich Aufnahmen machen kann. Das ist ja alles nicht ausgewürfelt oder Zufall. Viel mehr war es eine zufällige Angelegenheit, dass ich in den Tagen vor dem Konzert auf der Website vom A-Trane war, diesem besonders schönen, viele sagen 'legendären' Jazz-Club in Charlottenburg, in dem ich zwar in den letzten dreißig Jahren schon einige Male war, dessen Programm ich aber nicht dauernd verfolge. Ich bin auch insgesamt sehr wählerisch, wann und warum und ob ich überhaupt irgendwohin gehe. Ich kriege es nicht mehr zusammen, wieso ich im November auf der Seite war. Aber mir stach sofort das Foto von Dominic Miller ins Auge, ich hatte einen elektrischen Impuls. Erst eine ganze Weile später wurde mir bewusst, dass es sich um diesen Gitarristen handelt, dem die prägnanten Gitarrenakkorde in den Stücken von Sting zu verdanken sind. Dessen Gesamtwerk ich im übrigen in keinster Weise studiert habe, ich besitze kein einziges seiner Soloalben (und von Police auch nur die für mich nostalgisch-sentimental besetzte Outlandos d’Amour-Scheibe mit dem geliebten Roxanne). Vieles ist mir zu beliebig, nicht zwingend genug. Für meine Begriffe ist Stings "I'm an Englishman in New York" eines der grauenhaftesten Lieder der Musikgeschichte, ein langweilig dahinplätscherndes Gedudel sondergleichen, eine x-beliebige Melodie ohne Dramaturgie und Spannung. Damit kann man mich foltern. Doch hin und wieder nehme ich durch einen Zufall irgendetwas von ihm mehr als gelangweilt oder wohlwollend zur Kenntnis. Nebenbei finde ich ihn äußerst sympathisch und durchaus viril. Im Zuge dessen hatte ich vor einiger Zeit sehr angetan dieses Video entdeckt und verlinkt, in dem auch Dominic Miller zu sehen ist. Und zwar mehr, als nur ein aus Gründen des professionellen Respekts geduldeter Begleitmusiker am äußersten Bildrand, neben dem vom Scheinwerfer geküssten Superstar. Ich mochte und mag die Intimität in diesem Video, die private Atmosphäre des Settings, die Augenhöhe. Und ich mag die beiden in diesem Video als Menschen und nichtzuletzt auch sehr als Männer. Sehr attraktiv und sinnlich, sensitiv, beide. Dominic Miller begleitet Sting seit mittlerweile mehr als drei Jahrzehnten kontinuierlich auf den Bühnen der Welt und bei der Entstehung seiner Songs. So ist eine Freundschaft entstanden. Beinah jeder kennt Fragile. Dieses Kleinod von 1987 ist auch Dominic Millers Werk, seine überaus behutsame Gitarre. Als ich mich am zehnten November letzten Jahres in die Schlange vor dem Eingang einreihte, hatte ich aber eher dieses Schlaflied von Dominic Miller im Kopf, eine Verneigung vor den Kompositionen für Gitarre von Johann Sebastian Bach. Miller hat eine klassische Ausbildung genossen, und danach mit äußerster Virtuosität sein Repertoire ins Grenzenlose erweitert. Ich muss zugeben, ich hatte nicht damit gerechnet, dass er eine solche Menge von Konzertbesuchern anlocken würde, aber was weiß ich denn. Ich fand zunächst in Türnähe einen Stehplatz. Sämtliche Sitzplätze waren reserviert und belegt. Ein Trio von Männern im mittleren Alter (aber vermutlich etwas jünger als ich) bot mir einen vierten Platz an einem Tisch mit einem Barhocker an, ich nahm ihn dankend an. Auch deswegen dankbar, weil ich die Kamera auf der hölzernen Balustrade absetzen konnte und damit die Kamera stabilisieren. Ich ließ mir ein Jever bringen, in einem passenden Glas. Als die Musiker die Bühne betraten, war die Begeisterung im Publikum geradezu furios. Alles, was wir nun hörten, wurde dem gerecht. Ich war hin und weg von der Brillianz des Klanges, der Tontechnik des A-Trane. Aber auch jeder Ton jedes Stückes war vollendet, ich kannte die wenigsten. Es war unerwartet hypnotisch. Crossover, der nicht wie ein Gemischtwarenladen aus prätentiöser Tonakrobatik aus aller Herren Länder daherkam, sondern ein gleichermaßen filigran wie ekstatisch gestuftes Tongewebe. Absolut virtuos. Es gab keinen Stargitarristen, der sich begleiten lässt, es spielte keine Rolle, wer welchen Ton an welchem Instrument herstellte, alleine der Gottesdienst am zauberhaften Klang zählte. Dann gab es eine Pause. Ich wechselte den Platz, bewegte mich in den hinteren Bereich, wo es auch nicht weit zu den Toiletten ist. Und zur Künstlergarderobe, wie ich bald lernte.
Wegen der Pause war es nicht mehr so dicht gedrängt auf der Couch links von der Bühne, ich setzte mich auf die gepolsterte Armlehne und wollte sofort aufstehen, als ein Mann zurück kam, der dort seinen Platz neben ein paar Freundinnen hatte. Alle sehr nett, lächelten mich warm an, er aber nicht doch, wenn ich mich ausruhen möchte, gerne... Ich hatte die Tür zu den Toiletten im Blick, sie ging dauernd auf und zu, ich hatte den Eindruck, dass da noch etwas anderes vor sich ging. Ich hatte schon das dritte Jever und musste sowieso mal. Rechts, gegenüber vom Damenklo stand die Tür auf. Vier blendend gelaunte Männer standen herum und schienen sich launige Geschichten zu erzälen, es wurde geschäkert und gelacht. Die Musiker. Rechts von mir im Türrahmen Dominic Miller. THIS is interesting! entfuhr es mir. Vier Männerköpfe drehten sich zu mir und schauten amüsiert und man könnte sagen, interessiert. Ich öffnete kurz die Tür zum Damenklo und schloss sie wieder, denn wie üblich war alles belegt, man stand bereits an, es war recht eng. Da konnte ich auch vor der Tür warten. Ich spielte zum Zeitvertreib mit der Kamera rum und natürlich auch, um vielleicht ganz zufällig irgendein Bild zu machen, Richtung Garderobe versteht sich. Diese Männer sahen nicht aus, als ob sie mir etwas verübeln könnten. Mike Lindup, der Sänger und Keyboarder kam aus der Garderobe und gab sich Kamera-interessiert, ob das die Soundso-Lumix wäre. Er nannte irgendeine Modellnummer, ich war in dem Moment wirklich überfragt, ich merke mir das auch nicht, nach einer Weile der Dauerbenutzung, gehen mir die Bezeichnungen verloren, es ist mir einfach egal. Aber er sah auch nicht aus, als ob er sich wirklich über meine Kamera unterhalten wollte. Ich musste lachen, das war so ungelenk aber doch charmant und ich drohte ihm, ihn zu paparazzen, er ging brav zurück in die Garderobe, ich schaute wieder auf dem Damenklo, ob sich mittlerweile etwas getan hätte, kam wieder zurück, Schulter zuckend. Dominic Miller fixierte mich und wurde aktiv. Er kam aus der Garderobe, noch ein bißchen näher, als zuvor sein Freund, aber nicht zu nah, und sah mich sehr ernst an. Ich war äußerst gespannt, was nun kommen würde. Er wirkte ein bißchen schüchtern aber dennoch forsch. Er meinte, ich sollte es mal mit der Herrentoilette versuchen. "It's the best thing, you can do. BELIEVE ME." Er musste mich gar nicht lange überreden, ich praktiziere das ohnehin häufiger, wenn mir die Schlange im Damenklo zu lang ist, und das ist sie oft. Mein Gott, wie er mich dabei ansah. Ich war hin und weg. So ernst. Man hätte denken können, gleich hält er um meine Hand an. Aber ich war auch leicht betrunken. Ich ging also aufs Herrenklo, da war gerade der Bassist mit seinem Geschäft fertig und wusch sich die Hände, irritiert lächelnd fragt er mich, ob er die Toiletten verwechselt hat. Nein, nein, no, no, don't worry, everthing's fine. Ich musste - wie erwartet - überhaupt nicht warten und war auch gleich fertig. Als ich die Tür öffne, schauen mich Mike Lindup und Dominic Miller erwartungsvoll an, Miller kommt wieder aus der Garderobe und erkundigt sich, ob es in Ordnung war, alles okay? Perfect. I told you. Er schaut mir noch ein bißchen in die Augen und ich will den Betrieb nicht aufhalten, das Konzert muss ja weiter gehen, die Meute wartet schon. Ich suchte mir einen strategisch guten Platz, nah an der Bühne, aber sehr seitlich. Ich fotografierte und tänzelte diskret herum. Ich beobachtete, dass Dominic Miller registriert hatte, wo ich mit der Kamera war. Ich stand hinter Mike Lindup und seinem Keyboard. Hier war der Klang noch hervorragender. Miller erzählte zwischen den Stücken launige Geschichten und erwähnte - in keinster Weise beiläufig - , dass er fünf oder sechs Kinder hat. Jedenfalls sehr viele, und wehrte mit gespielter Bescheidenheit den Applaus ab. Allerhand. Für die will gesorgt werden. Sicher gibt es auch eine Mutter. Oder mehrere. Jedenfalls scheint es sich um einen sinnenfreudigen Mann zu handeln. Er erinnerte mich auch ein bißchen an meinen allerersten Liebhaber. Was mir so alles durch den Kopf ging, während ich fotografierte und mich die Musik in sonstwelche Sphären beamte. Für solche Subtexte ist immer Raum. Mir ging durch den Kopf in welchen Garderoben ich in den letzten Jahren war, wie familiär sich dieser Backstage-Bereich anfühlt, wie sich sofort ein Gefühl von Vertrauen einstellt. Nicht im Publikum, und wenn, dann immer dann, wenn ich einen Musiker rieche. Ich glaube, ich sehe, ob einer Gitarren in seiner Wohnung hat. Und vielleicht spüren die Jungs das. In dem Moment dachte ich, ich sollte wieder viel öfter zu Konzerten gehen, Live-Musik hören. Während die Gedanken schwingten, fiel mir plötzlich meine Sonnenbrille ein, meine Kälteschutzbrille, die ich vor allem im Winter trage, noch mehr als im Sommer. Hatte ich sie nicht vorhin noch, als ich auf der Sofalehne saß? Nun stand ich drei Meter weiter, an der Bühne und sie war nicht mehr bei mir. Mein Blick scannte die Ecke mit dem Sofa und ich sah sie auf dem Tisch. Die Damen und der Herr von vorhin sahen meinen suchenden Blick und deuteten darauf. Ich freute mich, und angelte peitschenschnell mit dem langen Arm quer nach unten zum Tisch, um die schwarze Brille aufzuklauben. Möglich, dass es irgendwie lustig aussah, zumindest war es wohl ein unerwarteter Bewegungsablauf innerhalb des andächtigen Publikums. Als ich die Brille greife, sehe ich Dominic Miller um Konzentration ringen, er sieht aus, als ob er sich das Lachen verkneifen muss und wirkt überhaupt insgesamt äußerst amüsiert. Ich bin ein bißchen verliebt. Ab da war ich wieder artig. Niemand wurde in seinem Bewegungsspielraum beeinträchtigt. Ich bildete mir ein, dass mich das Publikum taxiert und sich irgendwelche Gedanken macht. Aber sicher nicht mehr als ich. Nach einigen Zugaben und schier nicht enden wollendem Beifall gingen die Herren von der Bühne, Miller musste an mir vorbei, hielt kurz inne und schaute mich wieder auf eine Art an, dass mir leicht anders wurde. Ich sagte leise "it was - - really - great". Und er hypnotisiert mich noch ein letztes mal und flüstert zugeneigt "...yes.....??".
Die Reihen leerten sich langsam, aber es war noch immer sehr voll. Ich wusste, dass die Jungs nun erst einmal tief Luft holen würden und ein Bier in der Garderobe trinken, sich den Schweiß von der Stirn wischen. Und dann vielleicht einige Zeit später an die Bar kämen. Ich war ein bißchen durcheinander. Und wenn ich dann noch da wäre. Und dann. Herrje. Ich wollte gar nicht weiterdenken. Ich ging zum Ausgang in die Nacht. So kurz kam mir die S-Bahnfahrt vom Savignyplatz zum Hackeschen Markt noch nie vor. Dominic Miller hat ein paar Tage später ein Foto von dem Abend aus dieser Reihe getwittert, da waren sie schon längst in weiter Ferne, irgendwo in Belgien oder in Amsterdam oder... oder
g a g a - 2. Februar 2016, 02:45
P.S. edit - Merengue ist ja lateinamerikanisch, völlig verdrängt, macht es aber für meine Ohren auch nicht besser. Mir hat nie ein Merengue-Sänger oder Musiker etwas angetan, aber ich werde richtig aggressiv bei diesem Gedudel. Ein Gefühl von Zeitverschwendung macht sich breit. Na ja, jedenfalls hat Paul Simon auch ähnliche Dudel-Reminiszenzen gemacht, da gab es so eine erfolgreiche Platte, die man bei verschiedenen Gelegenheiten erdulden musste. Damals war es noch ungewöhnlich, dass sich mittel- oder nordeuropäische oder nordamerikanische weiße Musiker für Experimente mit Rhythmen und Instrumenten aus anderen Kulturkreisen interessieren, wenn sie nicht gerade aus dem Jazz kamen. Das wurde dann ja so eine Modewelle. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Ich war da auch sehr offen in meinen Hörgewohnheiten, fand dann aber doch vieles zu folklorehaft verschnörkelt. Zu viele Häkelborten, zu wenig Avantgarde.