09. November 2015
In den Morgenstunden hat ein genialer Künstler seiner irdischen Existenz den Rücken zugewandt, aber die Essenz seines Geistes hat die Welt nicht verlassen. Das Geschenk seiner Werke, der Werke von Ernst Fuchs, bleibt unserem Universum erhalten. Ich las von seinem Tod gar nicht in Nachrichtenportalen, wo es aber auch vermerkt wird, es wäre auch eine Schande, wenn nicht, sondern als ich nach Besuch meiner eigenen Seite hier sah, dass eibensang mir eine Nachricht geschrieben hatte. Anlass war, dass er sich bedankte für einen Link zu einem Text, den er, wie ich fand, lesen sollte. Sehr selten schicke ich Freunden Verlinkungen zu Texten, eigentlich nie. Ich schrieb ihm am siebten November:
"Lieber (...) ich las gerade einen derart interessanten, scharf analysierten Text über die Tabuisierung von Pathos als Hitlerfolge und die einhergehende Hofierung von Ironie, dass ich dachte, der Text wäre auch für dich lesenswert. Hier ist er (...)."
Dass ich ausgerechnet ihm diesen Text schickte, ist kein Zufall, da er sich in seinen Texten seit langem auch mit den Folgen des Nazi-Missbrauchs der germanischen Mythologie (sowie auch mit der Verunglimpfung des sehr viel älteren, und an sich sehr schönen Heils-Begriffs) und deren Rehabilitation beschäftigt, nicht nur theoretisch. Das berührt auch unbedingt die Bedeutung von Pathos, worüber Alban Nikolai Herbst so durchdacht schreibt. ("Leidenschaftliche Liebe ist ihrer Natur nach pathetisch (...) Auch Trauer schließt Ironie aus. (...) Ein ironischer Orgasmus (...) ist nicht möglich."). Sein Text ist eingebettet in den Kontext einer persönlichen Betroffenheit als Autor. Um diesen Kontext zu verstehen, sollte man einige Einträge zurückblättern und begreift dann, worauf sich die Eingangsabsätze beziehen. Ich meine aber, dass der verlinkte Text ab dem zweiten Absatz, durchaus auch aus dem Kontext gehoben, einen derart fulminant eigenständigen Wert besitzt, der, wenn es nach mir ginge, in Schul- und Geschichtsbücher gehört. Seine Lektüre ermöglicht zu begreifen, wie sehr wir aufgrund unserer deutschen Geschichte konditioniert wurden und uns selbst weiter konditionieren, im Zweifel der Ironie anstelle der Ergriffenheit den Vorzug zu geben. Eibensang schrieb:
"(...) sei ganz innig bedankt für diesen wirklich hervorragenden Text... Ich antworte so spät, weil ich dieser Tage im Mega-Endspurt einer umfänglichen Schreibarbeit bin, deren Abgabetermin ich schon um Wochen überschritten habe, weshalb es grad arg drückt... Anderes Thema: Soeben hörte ich, dass Ernst Fuchs gestorben ist. Ich bin dir so dankbar, dass du mir sein Werk gezeigt hast... Als wunderschönen Tag hab ich das in Erinnerung, als wir durch diese Villa wandelten... ."
So erfuhr ich heute vom Tod von Ernst Fuchs. Wir besuchten seine Villa in Wien im Mai Zweitausendvierzehn. Ich hatte damals, anlässlich dieser Wien-Reise sehr viel geschrieben und fotografiert. und ganz besonders viel an jenem Tag in der Fuchs-Villa. Ich glaube, es gibt - meines Wissens - (im Netz und überhaupt) keine vergleichbar detaillierte fotografische Dokumentation der Fuchs-Villa von Otto Wagner in Hütteldorf in Wien. Es war ein großes Erlebnis und ich ehrte jeden einzelnen Raum, den wir betreten durften, mit einer eigenen Bildstrecke und eigenem Text. Diese gesammelten Texte und Bilder-Alben der Fuchs-Villa sind hier als Sammlung zusammengefasst. Wer also ein wenig gedenken und flanieren möchte, ist herzlich willkommen. Ernst Fuchs, dieser phantastische und sehr freie Künstler, hat sich die Erlaubnis erteilt, jegliche Ergriffenheit, besonders transzendentale, in seinen Werken zu manifestieren. So ist auch in der Villa in jedem Winkel ein Geist zu spüren, der zu religiöser Hingabe zu den Dingen, besonders auch den irdischen, fähig ist. Der um die Verbundenheit von allem weiß. Den keine Angst vor Pathos beschränkte. Wahres Pathos ist nicht aufgesetzte, peinlich parfümierte Pose, nicht affektiert geschauspielerte Ergriffenheit als kalkuliertes, billiges Mittel der Publikumsmanipulation, sondern nicht mehr und nicht weniger als Manifestation einer tiefen Empfindung. Hier ist das vielleicht letzte Interview mit Ernst Fuchs zu lesen, das der Wiener Kurier mit ihm in der Villa geführt hat. Ein erfülltes Leben hat sich vollendet. Wie man es sich wünscht.
g a g a - 9. November 2015, 16:14