19. Oktober 2015
In der letzten Woche vom August lebte dieser mein Selbstvergewisserungs-Impuls wieder auf, der sich in den letzten zwei, drei Jahren beruhigt hat. (Nun auch wieder). Aber diese letzten Tage vor diesem runden, fünfzigsten Geburtstag schienen mir angemessen. Zeit hatte ich auch. Selten habe ich Muße, durchs Lafayette zu spazieren, in aller Ruhe, als gäbe es nichts Anderes, nichts Wichtigeres, nichts Interessanteres. Ich mag Luxuskaufhäuser, kostspielige Auslagen, mit viel Liebe zum kleinsten Detail ausstaffierte Schaufenster und Vitrinen. Ich hatte Lust ins Lafayette zu gehen, mit aller Zeit der Welt, mit Hingabe und Interesse und Respekt, wie man eine hochkarätige Kunstausstellung besucht. Ich sehe das auf gleicher Ebene. Für mich sind hochwertige Produkte, mit denen wir uns kleiden, einbalsamieren, schmücken, die wir uns einverleiben, eine Kunstform. Dinge, die eine starke emotionale Kraft haben, ich finde es sogar magisch, alchimistisch, in welche Zustände ein großartiger Wein einen versetzen kann. Das sind Seelenzustände, die durch Einwirkung auf unsere Materie manipuliert werden. Auf andere Ebenen katapultiert. Das vermag auch elektrisierend schöne Kleidung. Wenn wir uns erlesen kleiden, werden wir bildende Künstler an uns selbst. Ich weiß nicht, ob ich meine Kamera dabei hatte. Ich glaube es gar nicht. Ich wusste, dass ich Ausschau nach Blanquette de Limoux halten wollte, im Untergeschoss, einem Schaumwein aus dem Languedoc, der für meinen Geschmack mehr Potenzial in Richtung Champagner hat als Crémant. Ich muss das noch genauer eruieren, ich trinke mich da systematisch durch. Bislang spricht alles dafür. Zum Lafayette zu kommen, ist von mir aus am einfachsten, wenn ich mit der U-Bahn vom Oranienburger Tor bis Französische Straße fahre, und da ist es auch schon. Auf der Straßenebene, wo es Kosmetik und Parfum und Taschen und Schuhe und Gürtel und Tücher und Hüte und Schals gibt, ging ich, ohne etwas zu suchen, auch durch die Auslagen mit Schmuck, sehr schönem Modeschmuck. Sehr fein gearbeitete Preziosen, die nicht unbedingt aus hochkarätigem Gold oder Silber sind, aber dennoch als Kunsthandwerk einen eigenständigen hohen Wert besitzen. ich entdeckte Halsschmuck in einer Vitrine von langani. ich ließ die Vitrine mit dem Schlüssel öffnen und hielt mir eine Preziose vor einem Spiegel an den Hals und war schon entschieden. Und noch ein zweites Exemplar. Selten kaufe ich Schmuck, sehr selten. Alle Jubeljahre. Es war ja ein Jubeljahr. Ich beschloss, das wird ein Nachmittag, an dem ich mir Geburtstagsgeschenke schenke. Dann fuhr ich mit der Rolltreppe nach oben, wo es Kleidung gibt. Und ziemlich viel Personal im Vergleich zur Kundenfrequenz. Kaum war ich oben, fiel mir an der hintersten Wand eines Bereiches ein animalisches Muster an einem Mantel auf. Er hing zur Präsentation auf einem Bügel, es gab keine weiteren Exemplare. Ich hoffte sehr, dass mir die Größe passen würde, ich war sofort verliebt. Ganze Filme löste dieses Muster und die Silhouette in mir aus. Ich nahm ihn selbst von der Wand und veschwand in der Kabine, ganz aufgeregt. Der Preis war mir nachrangig. Ein Exponat, das ich in meiner Sammlung haben möchte, mein Leben lang. ich probierte ihn an. Und ich fand ihn für mich gemacht. Das ist keineswegs immer so, dass ich etwas auf dem Bügel sehe und anprobiere und es mir ebenso gefällt. Er war nicht heruntergesetzt, ein neues Modell offenbar, und doch nur eines da. Es war immerhin noch ein Preis im dreistelligen Bereich, nicht einmal fünfhundert Euro. Ich kaufe doch sowieso viel weniger als alle anderen. Das wäre mein kostspieligstes Geschenk, das ich mir mache. Es war eine Freude, Geld dafür auszugeben. Die Damen vom Verkauf überzeugten mich, dass die Kundenkarte vom Lafayette doch noch einen beträchtlichen Nachlass bringen würde, zwanzig Prozent, für diesen ersten Einkauf damit. Ich musste nicht einmal umständlich ein Formular ausfüllen, alles haben die Damen gemacht, sehr charmant und zuvorkommend. Mit der Karte habe ich dann im Untergeschoss zwei Sorten Blanquette de Limoux gekauft, die erhielt ich mit der Karte auch günstiger. Ich verließ das Lafayette durch das Untergeschoss, diese schöne Passage zum Quartier 206 mit dem Art Déco-inspirierten Bodenmosaik aus schwarzem und weißen Marmor, über das zu laufen, mir jedes mal ein sakrales Gefühl verursacht. Es ist erhebend, der Gang durch eine Kathedrale. Damit war das für mich ein Tag mit einem erfüllenden Erlebnis. Der Gottesdienst bestand nicht in profanem Konsum, sondern in hingebungsvoller Würdigung der Kunst, irdische Materialien in Vollendung in eine Form zu fassen, die einen göttlichen Aspekt mit irdischem Sensorium erlebbar macht.
Auf diesen Bildern trage ich nichts von den erstanden Dingen, denn sie entstanden ja davor. Aber ich verbinde auch mit diesen Dingen persönliche Geschichte und Erinnerungen. Die Tasche mit dem Leopardenfell(imitat) begleitete mich 1995 Tag für Tag, auch bei einer Reise nach Paris und sie ist fast auf jedem Foto dieser Reise zu sehen, ich habe sie seit vielen Jahren nicht mehr benutzt, hüte sie aber, und alle Erinnerungen, die damit verbunden sind. Bei dem massiven, goldenen Anhänger, den man für einen Thorshammer halten könnte, der jedoch die Replik eines aztekischen Opfermessers ist, handelt es sich um die Kopie eines Exponats aus dem Museo del Oro in Bogotá, das ich nie sah, doch in Jugendjahren war ich vom Gold der Azteken und Inkas fasziniert, und später hatte ich einen kolumbianischen Liebhaber, der mir diese Kultur noch auf andere Weise näher brachte. Er war sehr an den Mythologien unserer Welt interessiert, nicht nur seiner Herkunftskultur, eine seiner Bibeln war "Die weiße Göttin" von Ranke-Graves, die er mir auch zum Geburtstag mit einer sehr schönen Widmung überreichte. Wir waren gemeinsam in jener Ausstellung in Berlin auf der Museumsinsel, in der es viele Leihgaben aus dem großen Goldmuseum seiner Heimatstadt gab. Das ist sehr lange her. Etwa Anfang, Mitte der Neunziger Jahre.
Die Schuhe sind noch nicht annähernd so betagt, aber sie haben bereits einen besonderen Wert, weil sie eine besondere Anfertigung sind, da es im Handel solche Schuhe nicht so leicht zu finden gibt, zumal nicht für meine Größe. Es ist selten, dass ein italienischer Hersteller ein Modell für meine Maße produziert. Ich liebe Schuhe aus Lackleder, und diese Schnürschuhe mit der farblich abgesetzen Ledersohle sind besonders fein gearbeitet.
Es sind Dinge fürs Leben.
g a g a - 19. Oktober 2015, 03:49
Unendlich, endlich, ewig sind die Namen,
Woraus das All besteht auf Ja und Amen,
Als Indifferenz der Differenzen. (...)
Und daß wir Licht und Schwerkraft ganz begreifen,
So hat ein Pol den andern bei den Haaren,
Im kleinsten Winde bläst das Absolute.
Friedrich Gottlob Wetzel (1779 - 1819)