17. Oktober 2015
Vielleicht doch häufiger Einträge. Ich mag das, wenn gute Schreiber in zeitlicher Dichte posten. Wenn das Potenzial da ist, nehme ich immer eine Zeile oder auch nur eine halbe mit, die mich inspiriert. Spielt keine Rolle, wieviel unveröffentlichtes Bildmaterial auf meiner Festplatte schlummert. Kann sowieso nicht in drei Tagen bewältigt werden. Hingabe ist entscheidend. Nicht etwas aufgreifen, zu dem man gerade nicht die große Liebe hat. Wobei die Liebe manchmal auch mit der Beschäftigung kommt, der Konzentration auf eine Sache. Ich lasse das noch ein bißchen ruhen. Es kommt, wie es kommt, wie es sich bemerkbar macht, nach vorne drängt. In den vergangenen vier Wochen traf ich zweimal auf Vera von Lehndorff. Dabei sind viele Aufnahmen entstanden. Die sie auch gesehen hat. Und mochte. Sogar sehr. Aber das erfuhr ich nicht von ihr selbst, sondern von Holger Trülzsch, ihrem Lebensfreund, der mir vor einer Woche erzählte, dass sie ihm davon erzählte. Freute mich sehr, natürlich. Zumal sie sehr umfangreich in der Reihe zu sehen ist und dafür bekannt ist, dass sie es zwar hinnimmt, bei öffentlichen Gelegenheiten abgelichtet zu werden, sich aber sehr bedeckt hält, wenn sie jemand exclusiv treffen möchte, um sie zu fotografieren. Was mich aber auch nicht so sehr wundert. Mir ginge es ähnlich. Ach was - mir geht es ähnlich. Nur dass ich keine vergleichbare legendäre Historie habe, von den größten Fotografen aller Zeiten eingefangen worden zu sein. Ich wollte gar nicht über Vera Lehndorff schreiben. Fange ich einmal an, gehen sie durch die Gedanken, die Inspirationsfragmente. Was einem so unterschwellig unterläuft. Der immerwährende Subtext des Gedankenstroms. Ich bin ein wenig scheu, jeden Gedankenfetzen, der ein bißchen schillert, zu posten. Oft sind sie auch flüchtig, diese Erscheinungen. So oft beobachte ich Kleinigkeiten in der S-Bahn oder beim Einkaufen. Ich neige zu einer etwas lakonischen Betrachtungsweise der Dinge. Und ich will eigentlich gar nicht so gerne Lakonisches lesen. Das nutzt sich auch ab. Es ist ein bißchen Mode geworden. Wahrscheinlich macht es die richtige Mischung. Ich bin nicht aus Kalkül lakonisch, es ist eher impulsiv. Charakterimmanent. Oder lebensalterbedingt? Ich weiß es nicht genau. Als Mode nutzt es sich jedenfalls ab. Man darf es nicht instrumentalisieren, dann droht Inflation und Langeweile. Mir ging ganz etwas anderes durch den Kopf, als ich gerade zu tippen anfing. Nämlich: ich erinnere ein paar deutliche Bilder aus einem Traum von gestern oder vorgestern. Und immer wenn Bilder sehr deutlich sind, sehr plastisch und gar nicht so sehr phantastisch, sondern nur ein bißchen, bleiben sie mir scheinbar eher haften. Ich habe hier zuhause von der Buchpremiere neulich, von Bov, noch zwei weitere Exemplare des Buches, außer meinem eigenen. Ich würde die gerne weitergeben, verschenken, an jemanden, den es interessiert, der neugierig ist. Ich mailte deshalb kid37 an die mir bekannte Mailadresse, über die wir uns seit Jahr und Tag zum Geburtstag gratulieren und manchmal ein paar persönlichere Zeilen wechseln, fragte ihn, ob er daran Interesse hätte. Ich schob noch eine Mail hinterher, dass es natürlich gratis wäre, also kein Verkaufsangebot, das hatte ich nicht so klar formuliert, in der ersten Mitteilung. Das war vor etwa vier Tagen. Schon sehr ungewöhnlich, über diesen Zeitraum so gar keine Reaktion zu erhalten. Ich begann ein wenig zu grübeln. Ob die Zeiten vorbei sind, wo er diese Mail-Adresse täglich nach Eingängen prüft? (Er hat noch eine andere) Oder ob ich im Spam-Filter gelandet bin? So existenziell wichtig ist es dann auch wieder nicht, dass ich deswegen in Hamburg anrufen würde. Wir telefonieren äußerst selten. Aber dann träumte ich vor etwa zwei Tagen, dass ich mit ihm kommunizierte, ich weiß nicht, ob wir sprachen oder mailten oder skypten (ich skype nicht, weiß aber was das ist). Jedenfalls gab ich ihm noch einmal zur Kenntnis, dass ich ein, zwei Exemplare zu vergeben hätte. Seine Antwort bestand darin, dass er mir die Möglichkeit eröffnete, über ein visuelles Fenster Einblick in seine Wohnung zu nehmen, und nicht nur IN die Wohnung, insbesondere das Wohnzimmer, sondern auch auf den Ausblick aus dem Fenster. Ich erinnerte mich im Traum, dass wir den ja teilweise schon kannten, und dass seine Wohnung in Hamburg am Fluss liegt, ganz nah am Wasser, wo er Boote sehen kann, Ufergestrüpp und etwas, das aussieht wie Schrebergärten. So meine ich es zu erinnern. Jedenfalls öffnete sich ein elliptisch geformter Fokus innerhalb des Bildes, mit weichgezeichneten Rändern, so ähnlich, wie wenn man durch ein Fernglas sieht, und im Fokus erschien eine Hütte, ein Häuschen. Mit Holz verkleidet, wettergegerbt, eine dunkle Hütte. Und kid37 meinte: "Siehst du das? Ich wohne hundert Meter Luftlinie davon entfernt, ich sehe es jeden Tag aus dem Wohnzimmer, warum soll ich da noch ein Buch darüber lesen? Ich habe es dauernd vor der Nase, jeden Tag, ständig!" Und ich: "Ach...! Da bei dir in Hamburg ist das Auerhaus? Das ist ja wirklich sehr nah." Kid37: "Eben!" Ich verstand natürlich sofort, dass er damit als Adresse für meine zu verschenkenden (übrigens signierten) Exemplare ausfiel. Die Traum-Kamera machte noch einen Schwenk durch sein Wohnzimmer, das mich sehr überraschte. Nicht weil es so durchgestylt war, sondern weil ich gewisse Arrangements so nicht erwartet hätte. Es war ein sehr großer Wohnraum, der etwas dachgeschossartiges hatte. Ich weiß nicht, ob dort schräge Wände sind, aber das Gefühl war so heimelig, wie ich es mit solchen Räumen verbinde. Ich wohne ja selber unter schrägen Wänden. Ich glaube, der Boden war mit Sisal bespannt und es gab kleine Inseln mit Bodenkissen und Tabletts. Besonders ein Tablett fiel mir auf. Ich überlegte, ob ich es ihm überlassen hätte, mir kam es so bekannt vor, aus Schilfblättern geflochten, rechteckig, darauf sehr schöne, sehr polierte Kristallgläser für Wein. Zwei. Sehr einladend. Alles sehr gepflegt. Man hätte sofort ein Fotoshooting machen können. Liebe zum Detail bei allen Gegenständen. Erlesene Gegenstände aus Silber, Kerzenhalter, Schatullen, kleine Preziosen. Dann wurde langsam abgeblendet, der Fokus verkleinerte sich, bis das Bild verschwand. Das war das Letzte, woran ich mich erinnere.
g a g a - 17. Oktober 2015, 00:59
Genau diese Beobachtungen, also die Sicht auf die Welt, finde ich besonders interessant. Da schillert das Leben und der Mensch, der es spiegelt.
" Ich neige zu einer etwas lakonischen Betrachtungsweise der Dinge. Und ich will eigentlich gar nicht so gerne Lakonisches lesen. Das nutzt sich auch ab. Es ist ein bißchen Mode geworden. Wahrscheinlich macht es die richtige Mischung. Ich bin nicht aus Kalkül lakonisch, es ist eher impulsiv. Charakterimmanent. Oder lebensalterbedingt? Ich weiß es nicht genau. Als Mode nutzt es sich jedenfalls ab. Man darf es nicht instrumentalisieren, dann droht Inflation und Langeweile."
Die charakterimmanente Lakonie kann sich nicht abnutzen, finde ich, und ebendiese lese ich gerne.
Die Schreibschulen- und Lifestylelakonie hingegen, das pseudo-abgeklärte und trockene Kalkül, bleibt unbeseelt und damit leer und uninteressant.
Ich folge Ihren Gedanken mit Gewinn.
Ich kann gut verstehen, dass der Satz des Apothekers noch eine Weile nachhallte. Soviel unerwartete Fürsorglichkeit erlebt man als erwachsener Mensch kaum noch. Es ist eine familiäre Geste.
Mir hat einmal eine Apothekerin etwas sehr besorgtes, liebevolles, ja beinahe mütterliches mit auf den Weg gegeben. Da war ich Mitte zwanzig und studierte in einer bayerischen Kleinstadt. Ich war davon so berührt, dass ich nie wieder in diese Apotheke ging, weil es mir beinahe so vorkam, als wollte ich mir mehr dieses seltenen, zwischenmenschlichen Balsams erschleichen. Gleichzeitig fand ich, dass sie mir ein bisschen zu nah getreten war, diese fremde Frau.
Zum Schreibtakt: ich habe das auch schon beobachtet. Jede scheint so ihren eigenen Rhythmus zu haben.
Mir geht es ähnlich wie Ihnen: ich setze mich hin und es schreibt sich. Allerdings nicht mehr nach Mitternacht, sondern zwischen 19h und 22 h.
Beschaulich kann bedrohlich und beengend sein.
Schönen Sonntag noch.
"Erwachsene mit Asperger-Syndrom leben oft zurückgezogen und haben wenige direkte Sozialkontakte. An deren Stelle treten heutzutage häufig Kontakte über das Internet. (...) Einige erwachsene Menschen mit Asperger-Syndrom bauen bewusst oder unbewusst Bekanntschaften zu Menschen auf, mit deren charakterlichen Eigenschaften sie leicht umgehen können. Sie bauen sich ein soziales Netzwerk mit Menschen auf, die meist ebenfalls eher introvertiert sind, sich vorwiegend auf einer sachlichen Ebene verständigen und oft ebenfalls Spezialinteressen haben (...)."
In diesem Sinne wünsche auch ich noch einen schönen Sonntag mit nicht überfordernden Sozialkontakten und viel Zeit für Spezialinteressen.