25. Juli 2015











Wir hatten uns mehr oder weniger verabredet. Jan wollte kommen und Ina auch. Wegen Roswitha. Hecke. Kann man vielleicht auch einfach der Bequemlichkeit halber auf den Eintrag bei Wikipedia verlinken. Was auch immer da stehen mag, es vermittelt nicht die Anziehungskraft der Person. Das wusste ich aber schon vorher, bevor ich da hin bin, weil ich sie nicht zum ersten mal gesehen habe. Wir standen uns schon einmal vor circa sieben Jahren in einer kleinen Ausstellung in einer Galerie, die es nicht mehr gibt, Auge in Auge gegenüber. Damals war ich nicht so zurückhaltend wie in der Autorenbuchhandlung. Der Rahmen war damals familiärer und da war viel Sympathie, auf beiden Seiten. Jedenfalls war sie da, um eine Ausstellung, die da noch bis Oktober hängt, zu eröffnen. "Pigalle". Bilder aus dem letzten Jahrhundert. Eine fast private Annäherung an transsexuelle Paradiesvögel in Paris. Mitte der siebziger Jahre hat sie die Bilder gemacht. Rosa von Praunheim hat sie in ein Gespräch verwickelt, geplant, deswegen hat er auch ein Mikro in der Hand, obwohl man das in dem kleinen Literaturcafé gar nicht unbedingt gebraucht hätte. Irgendwie bin ich ein bißchen zu faul, ins Detail zu gehen, merke ich gerade. Herr Sartorius hat auch gesprochen, er hat auch schon die eine oder andere Einleitung bei ihren Bildbänden geschrieben. Kann man ja alles googeln, wie - wo - was, wer die Leute sind. Auch Erika Rabau. Noch so eine Legende. Ich habe mich über den Moment gefreut, als Erika Roswitha so von hinten den Arm um die Schultern gelegt hat, diese Zuneigungsbekundung. Diese beiden lebenden Legenden unter den Fotografinnen. Jan hatte Roswitha Hecke schon am Tag vorher, am Nachmittag dort angetroffen und sie fotografiert. Er nennt sie gerne die Elfenkönigin. Das ist mir nachvollziehbar. Ein sehr schönes Gesicht, stolz und eigensinnig wirkt es. Aber sie ist auch humorvoll und hintersinnig. Nicht so schwer zu Lachen zu bringen. So kann man mit Siebzig sein. Das geht alles. Auf einem der Bilder, den Fotografien von ihr an der Wand, ist ein Paar, zwei Frauen, die in einem Pariser Café sitzen und sich küssen. Ina und ich taten es der Fotografie gleich, was uns sehr amüsierte. Man hat ja auch Publikum. Ich weiß gar nicht, ob ich so ungeniert in der Öffentlichkeit für ein Bild küssen würde, wenn es ohne diesen verspielten Hintergrund wäre. Es war auch die Lust, sich ein bißchen exaltiert zu verhalten, ein wenig der Atmosphäre der Bilder in den Raum zu bringen. Und es waren die Tage, als viele bei facebook die Regenbogenfarben über ihr Profilbild gelegt haben. Das war sozusagen meine, unsere Solidaritätsbekundung zum Thema Leben und leben lassen. Ich habe schon häufiger bedauert, dass ich leider überhaupt keine homoerotische Veranlagung habe. Ich liebe Frauen sehr, einige besonders, und obwohl ich ganz sachlich ihre erotische Qualität sehen kann, löst es nicht den Impuls bei mir aus, mich da körperlich anzunähern. Ich bin leider total heterosexuell veranlagt.




Aber man kann ja mal ein bißchen so tun als ob. Ich finde, man sieht gar nicht, dass ich sonst keine Frauen küsse. Ina ist meines Wissens auch - erotisch - zu ungefähr null Prozent an Frauen interessiert, aber sie kann mich, glaube ich, ziemlich gut leiden und riechen. Ich mag sie auch sehr gerne. Wir hatten danach auch noch viel Spaß. Wir sind noch weitergezogen, eine andere Galerie, was zu essen geholt, dann zu Manfred, der auch bei Roswitha war, in seine Galerie und lange zu viert geredet, recht privat. Und Ina und ich liefen dann noch durch die laue Nacht - verliefen uns sehr wirr und schön und endeten dann noch im Brel. Aber ich greife vor.

arboretum - Sa, 25. Jul, 10:20

Sehr schön, da wäre man gern dabei gewesen. Im Deutschlandradio lief vor acht Jahren mal ein Beitrag über Roswitha Hecke, den kann man noch nachlesen, aber leider nicht mehr nachhören, was ein bisschen schade ist, sie selbst zu hören, wäre noch schöner gewesen.

g a g a - Sa, 25. Jul, 11:27

Danke für den Link. Roswitha Hecke hat eine Stimme, die ihre Erscheinung nicht bricht, alles passt zusammen. Sie spricht ein Hochdeutsch, aus dem man die Hamburger Herkunft nicht sofort heraushört, nur ganz selten, bei bestimmten gedehnten Vokalen. Sie ist aber auch keine Plaudertasche, die man anstupst und sofort geht ein Redeschwall los. Im Gegenteil musste Rosa ihr so manche Antwort regelrecht aus der Nase ziehen. Dann ist sie auch noch diskret. Sie spricht eher leise, ein weicherer Tonfall, als mancher vielleicht anhand ihrer fast autoritären Erscheinung erwarten würde. Großes Amüsement löste im Publikum aus, als Rosa im Gespräch ein bißchen in die Richtung nachbohrte, dass sie doch mit so berühmten Männern zusammen gewesen ist, Zadek und Wondratschek - "Wie war das denn so, wie denkst du daran zurück, wie ist das heute für dich?" Antwort Roswitha: "Schön ist das!" Und grinst. Das war eigentlich eine sehr schöne Antwort. Wir mussten sehr lachen, auch weil man Rosa an seinem investigativ abenteuerlustigen Tonfall anmerkte, dass er Lust auf ein bißchen Nähkästchengeplauder hatte und an dieser Stelle nicht weiter kam.
kreuzberg südost - Di, 28. Jul, 20:27

Nun habe ich mir die Fotos schon mehrmals angeschaut und bin immer noch fasziniert und beeindruckt von der Schönheit, der Anmut und der Eleganz dieser Frau.

Tolle Aufnahmen obendrein.

g a g a - Di, 28. Jul, 20:34

Man ahnt das reiche Innenleben, die inneren Bilder ihres langen, interessanten Lebens und die Abwesenheit irgendeiner Bitterkeit. Und sie hat eine seltsame Alterslosigkeit, sie wirkt weder jung noch alt, sondern als ob sie ein ureigenes Persönlichkeits'alter' besitzt, das wenig mit biologischem Alter zu tun hat. Und dazu ihr Charisma, ihr stark beobachtender, scharfer Blick. Eigentlich wundert man sich, dass sie selbst als Erscheinung nie stärker im Mittelpunkt war. Man erwartet das beinah schon von so einer in jedem Lebensalter hochattraktiven Frau. Sie war früher übrigens dunkelhaarig. In Peter Zadeks Autobiographie "My Way" ist eine Fotografie, die sie im Alter von ca. Mitte/Ende Zwanzig zeigt.
kreuzberg südost - Di, 28. Jul, 20:52

Ja, genau das transportieren die Fotos auch. Sehr schön in Worte gefasst. Diese Alterslosigkeit (die übrigens auch Mia Farrow wenn auch auf eine ganz andere Weise) hatte.
Ein wenig erinnert sie mich an Lauren Bacall oder an Charlotte Rampling. Beides Frauen, die ihr Leben lang überaus attraktiv waren bzw. sind udn dabei diese souveräne, kluge Ausstrahlung hatten.

Ich dachte mir, dass Roswitha Hecke früher dunkelhaarig war
g a g a - Di, 28. Jul, 20:59

Sie wirkt so unabhängig, völlig frei. Auch wenn das eine frei assoziierte Unterstellung ist. Aber man hat nicht so eine Ausstrahlung, wenn es in der Substanz anders wäre. Peter Zadek hat ein paar Worte in dem Buch über sie verloren, nicht etwa indiskret, aber sehr durchblicken lassen, dass er sie als sehr willensstark und zielgerichtet erlebt hat. Er hat sich gerne von ihr erobern lassen. Man kann sich unmöglich vorstellen, dass diese Frau nicht auf Augenhöhe mit einem Gefährten ist. Deswegen wirkt sie so modern, als hätte die gesellschaftliche Evolution bei ihr ein bis drei Generationen übersprungen. Weil sie es so wollte. Übrigens war Zadek vor ihr viele Jahre mit Judy Winter zusammen. Das war nicht leicht für Judy. Ich finde, die beiden haben auch eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit. Beides sehr respektable Persönlichkeiten.
g a g a - Di, 28. Jul, 21:04

P.S. da fällt mir ein, Judy habe ich zweitausendneun auf der Bühne in ihrer Marlene-Rolle fotografiert. Die beiden sind übrigens auch gleich alt, Jahrgang 44.
kreuzberg südost - Di, 28. Jul, 21:08

Auch hier wieder: ja, das alles meine ich in den Bildern sehen zu können. Die Willensstärke und das ausgeprägte Selbstbewusstsein.
Und ohne sie erlebt zu haben, stelle ich sie mir als sehr emanzipierte, klare Persönlichkeit vor.

Wie schon geschrieben: bin sehr beeindruckt.
(Die physiognomische Ähnlichkeit mit Judy Winter erkenne ich nicht. Eine Gemeinsamkeit im Ausdruck, die kann ich sehen).
g a g a - Di, 28. Jul, 21:16

....um die Augen, so ein katzenhafte, pantherhafte auch kontrollierte, fokussierte Anmutung und die schmale, athletische Silhouette mit großer Körperspannung, aber vielleicht ist auch das vor allem eine Frage des Ausdrucks und der Lebensenergie. Das mag sein. Die Lebensenergie definiert ja auch die Formen.
kreuzberg südost - Mi, 29. Jul, 09:33

Die Lebensenergie definiert die Formen? Weil die Körperspannung, die aus ihr resultiert, formend ist?
Also: Körperhaltung und Spannung geben Auskunft über die Lebensenergie, so wie ein schlapper Händedruck das tut?

Das pantherhafte und die kontrolliert fokussierte Anmutung- wieder toll und vor allem treffend in Worte gefasst. Da sieht jemand was er (sie) fotografiert. Deswegen auch so beeindruckende Aufnahmen.
g a g a - Mi, 29. Jul, 19:46

Ja, ich bin davon überzeugt, dass unterschiedliches Temperament, bei gleichem Genpool im Laufe des Lebens durch die "Färbung" der hindurchfließenden Energie und die daraus resultierenden Bewegungsabläufe andere muskuläre Strukturen ausbildet. Erscheint mir eigentlich ganz logisch, keine Esoterik oder Raketenwissenschaft. So wie ein Hochleistungssportler einen größeren Herzmuskel bekommt. Jemand mit einem energischen, aber dennoch zur Kontrolle neigenden Temperament hat so einen gewissen entschlossenen Zug um den Mund, egal ob die Lippen von der Ausgangsform her fülliger oder schmaler sind, im Ergebnis überwiegt im Laufe der Zeit der Eindruck dieser muskulären Spannung im Gesicht.

Übrigens danke für diese sehr interessanten Kommentare, ich freue mich immer, wenn kommentiert wird, besonders wenn es ein Kommentar mit Inhalt ist. (Lob ist natürlich auch immer schön, also wirklich danke sehr)
kreuzberg südost - Do, 30. Jul, 08:21

Die Zwillingsforschung unterstützt diese Vermutung.
Es hängt von der Lebensweise, den Lebensumständen und sehr stark auch von der Haltung (i.S.v. Einstellung) ab, wie sich der Körper und vor allem die Physiognomie im Laufe des Lebens entwickelt.
Inzwischen kann ich mit dem Satz, dass Jede/r ab 40 für sein Gesicht selbst verantwortlich ist etwas anfangen, Ist natürlich etwas drastisch formuliert, erscheint mir aber im Kern doch richtig.

Gern geschehen. Hat mir Spaß gemacht und ich habe obendrein etwas gelernt, danke.

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