25. Februar 2015









Nikolaiviertel. Berlin Mitte. 1987 wiederauferstanden. Zum Jubiläum. Zum Geburtstag, dem 750., am 28. Oktober 1987. Ostberlin. Damals war ich nicht da. Ich war überhaupt noch nie bewusst im Nikolaiviertel, um das Nikolaiviertel anzuschauen. Hier und da schon einmal sehr am Rande gestreift, auf dem Weg zur Alten Münze am Molkenmarkt, zur a2n-Music-Convention im Jahr 2009, aber mich hat nie ein Weg direkt ins Nikolaiviertel geführt.




Die letzten beiden Wochen hatten wir, seit Mitte Februar beinah ohne Unterbrechung, kaum ein Tag ohne strahlende Sonne. Nicht von langer Hand geplant, aber nach meinem Besuch im Ephraim-Palais am vorletzten Sonntag, fasste ich den Vorsatz, diese meine kleine, fast peinliche, Berliner Heimatkundelücke zu schließen.
















Keine Autos fahren in den meist kopfsteingepflasterten Gassen in diiesem kleinen überschaubaren Viertel, das sehr vereinzelt sogar noch sehr alte Bausubstanz hat. Allem voran die älteste Kirche Berlins, die Nikolaikirche, die 1230 erbaute. Im Wikipedia liest man u. a.: Die Nikolaikirche war auch Ort bedeutender politischer Ereignisse: 1539 trat hier der Rat von Berlin und Cölln geschlossen zum Luthertum über. Am 6. Juli 1809 trat die erste infolge der Steinschen Reformen gewählte Stadtverordnetenversammlung hier zusammen und ließ sich gemeinsam mit dem Magistrat und dem Oberbürgermeister feierlich vereidigen. Bundespräsident Richard von Weizsäcker wurde am 29. Juni 1990 in der Nikolaikirche zum ersten Gesamt-Berliner Ehrenbürger seit der Teilung der Stadt ernannt. Am 11. Januar 1991 fand hier die konstituierende Sitzung des neu gewählten (nun) Gesamtberliner Abgeordnetenhauses statt. Gut. Das nur, um zu dokumentieren, dass es keine x-beliebige Dorfkirche ist, wie man anhand des eher unspektakulären Erscheinungsbildes leicht denken könnte. Ich war ganz kurz im vorderen Bereich, habe mir aber einen wirklichen Besuch der Kirche, die heute vor allem ein Ausstellungsort geworden ist, der einen geringfügigen Eintritt kostet, für ein andermal vorgenommen. Ich wollte lieber das ebenfalls im Nikolaiviertel liegende Biedermeiermuseum, das Knoblauhaus anschauen, das unter den Wohnhäusern die älteste unzerstörte Bausubstanz aufweist. Eintritt frei! Da war ich später auch noch, zuletzt und ausgiebig. Weil das Biedermeierhäuschen eine eigene Strecke verdient, bekommt es diese auch, später. Alles in Arbeit.
















Es ist oft so in Berlin - man lebt jahrzehntelang hier und es gibt Orte, die noch nie einfach so den eigenen Weg gekreuzt haben, obwohl sie die meisten Reisenden auf ihrem Routenplan haben.













Die sogenannten 'historisierenden' Plattenbauten sind so eine Geschichte für sich. Die Silhouette ein Zitat von alten Bürgerhäusern, wie man sie schon im Original in unzerstörten Städten mit mittelalterlichem Kern gesehen hat, die Fassade aber allzu leicht identifizierbare Platten-Elemente, verschönt mit einem Streifenrelief, das bei manchem Lichteinfall ein bißchen nach Wellpappe aussieht. Man hätte eigentlich nur die Anschlusskanten der Platten verputzen und ausgleichen müssen, schon wäre der ästhetische Eindruck weniger provisorisch, um nicht zu sagen 'preisgünstig'. Dann bin ich wieder beinah empathisch-mitleidig gerührt, bei der klaren Vorstellung, man hat versucht etwas Schönes, Modernes zu schaffen, das die Historie zitiert, aber die Mittel haben halt nicht ausgereicht, um es vollendeter, virtuoser hinzukriegen. Dann bin ich wiederum verärgert, weil ich finde, dass es nicht die Welt gekostet haben würde, die blöden dissonanten Fugen auszufüllen und zu verspachteln. Es ist halt auch ein Ostberliner Unikum, DDR-Geschichte. Sie konnten aber auch virtuos rekonstruieren und wiederaufbauen, nicht, dass das Knowhow nicht dagewesen wäre. Es war also wohl doch irgendwie originell gemeint. Ich habe keine der historisierenden Platten hier in den Eintrag genommen, aber in der gesamten Strecke von weit mehr als vierhundert Aufnahmen sind sie zu sehen. Hier zum Beispiel. Ich will nicht das Haar in der Suppe suchen. Es gibt ganz viele sehr atmosphärische Ecken innerhalb des Viertels, da an der Spree. Viele Lokale, die von Berlinbesuchern frequentiert werden, auf den Spuren von Heinrich Zille, der da auch ein Museum hat, in dem ich nicht war, und mit ein bißchen Sehnsucht nach Altberliner Nostalgie. Es ist nicht alles nur kulissenhaft und Freilichtmuseum.





An einem heißen Mittag in einem der Lokale am Wasser zu sitzen, vielleicht unter der furiosen Skulptur des Heiligen Georg, der schönsten Skulptur aus dem vorletzten Jahrhundert, die ich überhaupt je im öffentlichen Raum gesehen habe (und die auch eine extra Strecke bekommt, weil sie eigentlich ursprünglich woanders hingehört, nämlich auf den Schlossplatz), muss sehr erholsam und auch romantisch sein. Es ist eine Ecke für Romantiker. Über die etwas hilflosen Plattenbauten im Nostalgiegewand sollte man großzügig hinwegsehen, zumal wenn so die Sonne scheint. Einfach immer auf das Gelungene schauen.









Es ist schon eine kleine Puppenstube. Auch habe ich ein zauberhaftes Geschäft entdeckt, in dem ich ausführlicher war, die Kashmir Boutique, die direkt aus dem fernen Kaschmir, ohne Zwischenhandel, Paisley-Stoffe und Schals importiert, ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Die kriegt auch eine extra Strecke.















Ich kann mir gut vorstellen, dass ich einen lauen Abend dort in einem der Lokale verbringe, irgendwann, im warmen Frühling oder Sommer. Und wenn es sehr spät wird, kann ich sogar heimlaufen. Im Grunde ist es ein Kleinod, das man erst realisiert, wenn man vom Alexanderplatz kommend, mit dem Bus durch die Karl-Liebknecht-Straße gefahren ist, durch ungleich schlimmere Bausünden, an denen der Bus vorbeifährt, bis er am Nikolaiviertel hält. Es soll sich aber einiges ändern dort, in den nächsten Jahren. Heute erst in einer Bezirkszeitung gelesen. Gemeinsam mit den Berlinern soll eruriert werden, was wünschenswerter ist, als der heutige Zustand des Areals zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche. Muss mal auf die Internetseite schauen, wann die Auftaktveranstaltung ist. Das kann mir ja nicht egal sein. Es war übrigens recht langwierig für mich, zu entscheiden, welche der 457 Bilder ich hier einkleben soll, um den Eintrag zu illustrieren. Ich habe ganz viele wieder gelöscht und nun sind es doch noch immer so viele. Könnte auch bedeuten, dass das kleine Nikolaiviertel eben doch ein bißchen mehr Aufmerksamkeit verdient hat, als nur die von Berlin-Urlaubern, auf der Suche nach entrückter Nostalgie.



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