29. Dezember 2014




Mal langsam Richtung Gate bewegen, dachte ich um Zwei rum. Der Monitor zeigte auch ordnungsgemäß meinen Flieger nach Berlin an. Noch mal Händewaschen. So sagt man unter Damen, habe ich erst neulich gelernt, wenn man aufs Klo muss, fragt man, wo man sich bitte mal die Hände waschen kann. "Ich müsste mir mal die Hände waschen - - bitte wo?" So ist das bei feinen Leuten.




Ach, da ist ja mein Gate! C 40. Schon schick die Sitzmöbel. Direkt stylish. Wirkt nicht billig! Das rechne ich Wien ja überhaupt hoch an, dass auf Qualität geachtet wird, auch bei der Stadtmöblierung. Obwohl ich bin ja gar nicht mehr in Wien. Aber das will man ja nicht wahrhaben. Man möchte nicht denken müssen: "Ach, Schwechat - ich muss dich lassen!" Das klingt einfach nicht. Auch nicht im eigenen Kopf. Das stimmt hinten und vorn nicht. Nein, wir sind bitte auf dem Flughafen von Wien, ist doch jetzt wurscht, wo der liegt. Wir wollen auf den letzten Metern nicht kleinlich werden. Ah, da rechts vom Gate ist ja ein Pfeil zu einer Treppe nach unten und das bekannte Piktogramm für "Händewaschen". Die Frau mit dem Rock. Immer einen Rock anziehen zum Händewaschen! Nicht, dass sich Männer neben Frauen Hände waschen und es zu Verwechslungen kommt. Es ist eine Wissenschaft. Habe ich eigentlich schon einmal erzählt, dass ich gerne auch mal - also natürlich nur im Notfall - durch die Tür mit dem anderen Piktogramm mit den Hosenbeinen gehe, wenn ich ganz dringend Hände waschen muss, und gerade alle Waschbecken hinter der Tür mit dem Damenpiktogramm besetzt sind? Ich würde ja sonst ewig nicht an den Seifenspender kommen. Und die Papierhandtücher wären dann ja womöglich auch schon vergriffen. Hände waschen ohne Abtrocknen ist meine Sache nicht! Auch da bin ich gewissermaßen Perfektionistin. Aber um wieder auf Schwechat bzw. den Flughafen Wien zurückzukommen: hier war es in keinster Weise erforderlich, heimlich durch die Tür mit dem Hosenpiktogramm zu schlüpfen, weil keinerlei Andrang herrschte. Ich hatte das ganze kleine Reich für mich und habe noch ein paar Minuten mit der Dokumentation des Handwaschbeckens zugebracht. Dem zentralen Möbelstück. Auch das könnte Menschen, die noch nie in Wien waren, interessieren: wie schauen sämtliche Waschbecken in den Handwaschräumen aus? Bitte sehr.




Mein Urteil: summsummarum ausreichend modern. So. Fertig mit Händewaschen. Ich gehe dann mal langsam wieder nach oben zu meinem Gate C 40. Da müsste doch jetzt in den nächsten Minuten eigentlich der ersehnte Schriftzug mit dem aufgeregt blinkenden boarding auf dem Monitor erscheinen. Hey! Ich kenne mich da aus.



Nun wird es also langsam ernst. Es ist schon ein bißchen über die Zeit, aber das soll uns nicht aus der Ruhe bringen. Ich setze mich jetzt lieber auch noch mal hin, bevor kein Platz mehr frei ist. Es werden doch immer mehr Leute jetzt, die scheinbar alle in meinen Flieger nach Berlin wollen. Ab halbdrei fängt das Volk ein bißchen an zu grummeln, weil das Boarding-Wort nicht nur nicht auf dem Monitor erscheint, sondern auch keinerlei Bodenpersonal hinter unserem C 40-Gate. Das wäre erfahrungsgemäß dann doch von Nutzen. Einer muss ja auch die Tür zur Brücke, der Röhre da aufsperren, die zum Flugfeld geht. Ich stehe wieder auf und schaue auf die Hängeterminals in der Halle. Da blinkt tatsächlich "Boarding" neben unserer Fluganzeige. Für ein paar Sekunden. Überall sogar. Dann hört es wieder auf. Die Meute wird nervös! Ein paar hektisch wirkende Flugbegleiterinnen von flyniki, der Niki Lauda-Fluglinie schwirren an unserem Gate herum und wirken ein bißchen peinlich berührt. Warum nur? Also kein Boarding. Jetzt ist es schon fünf nach drei. Was man schon geahnt hat: es gibt wohl eine kleine Verspätung. Nach mehrmaligem, weiteren Boarding-Geblinke hört es wieder auf und endlich hat der für die Anzeige zuständige Flughafen-Mitarbeiter die richtigen Tasten gefunden, mit denen man das Wörtchen "delayed" einblenden kann. Und die Zeit. Die neue Abflugzeit 16:50 Uhr. Also noch mal knapp zwei Stunden Zeit zum Händewaschen. Picobello werde ich in Berlin eintreffen.



So sauber werden meine Fingernägel schon lange nicht mehr gewesen sein. Immerhin habe ich jetzt Zeit, mir die schönsten Ecken der Abflughalle noch einmal in Ruhe anzuschauen und auch von jedem einzelnen Barhocker Abschied zu nehmen. Ich könnte mir sogar noch einen richtigen Kaffee von der Kaffeebar holen. Mit Schlagobers wird es nicht geben, das können die modernen Automaten ja nicht. Aber mit so einer schaumigen Milch. Ich will in dieser Situation auch nicht päpstlicher als der Papst sein. Man muss eben Abstriche machen! Ich könnte mich auch mit dem Kaffeebecher noch einmal still gedenkend, also zu einer Abschiedsmeditation vor das Mannerschild setzten. Vielleicht ist sogar die Kronen-Zeitung noch auf dem Müllschlucker. Von der könnte ich mich dann auch verabschieden. In aller Ruhe. Jetzt, wo ich Zeit habe, eröffnen sich so viele Möglichkeiten! Herrlich. Vielleicht lese ich auch noch einmal meinen Kaffeehausführer von vorn bis hinten gründlich durch. Nicht nur so husch husch, wie die letzten Tage, wo man hektisch vor Aufbruch nach einem bestimmten Lokal geblättert hat. Oder ich könnte schauen, ob ich eine Steckdose für meinen Klapprechner finde, ich habe ja nur den Netzadapter mitgenommen und keinen Akku zusätzlich, der ist mir zu schwer fürs Gepäck. Ich bin ja nicht so der Typ, der jede freie halbe Stunde ins Internet schauen muss oder auf der Tastatur herumspielen. Aber wenn ich noch über anderthalb Stunden Zeit habe, könnte es sich direkt lohnen. Vielleicht hat mir sogar wer eine Mail geschrieben! Aber zuallererst noch einmal in aller Ruhe die Architektur der Abflughalle auf mich wirken lassen. Jetzt, wo endlich Zeit dafür ist. Vor lauter Eier pellen und Kronen-Zeitung lesen bin ich ja noch gar nicht dazu gekommen. Man kommt ja zu nichts. Im Grunde, direkt ein Gottesgeschenk, so eine Verspätung.

: : alle Wiener Geschichten : :

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