03. Juli 2012
Gegen Abend trieb mich der Klang eines Akkordeons von der Straße zum Fenster. Ein alter, sehr fröhlich dreinschauender Akkordeonspieler mit einer Schiebermütze stand seitlich am Straßenrand auf dem Kopfsteinpflaster. Halb an ein grüngraues Auto gelehnt. Das Auto war auch ein älteres Modell. Sie haben russisch gesungen. Ihm gegenüber stand eine, vielleicht seine Frau, auch schon älter glaube ich, ich sah das Ganze nur von oben, ihn von vorne und sie von hinten. Wie sie da so halb am Auto lehnten und gesungen haben, links und rechts die Kaffeetische und Stühle vom Hackbarths und die neuen Klapptische und Barhocker vom neuen Al Contadino. Die neue Bottega scheint gut anzulaufen, was mich sehr freut. Ich war ja neulich, Samstag letzte Woche bei der Einweihung, nach langer Zeit wieder einmal mit Jan unterwegs. Die Auguststraße rauf und runter und bis zum Tacheles. In der Mädchenschule, so schön ist die geworden. Und dann im Al Contadino diese vielleicht überkandidelte Auswahl von Mozzarella-Sorten aus irgendwelchen seltenen Bergregionen, die aber schmecken, wie man sich vorstellt, wie man weiß, daß die Sünde schmeckt. Und diese große, familiäre Geste, einfach so ein Tellerchen hingestellt zu bekommen und immer das Glas voll. Dabei konnte man auf den bedruckten Papieruntersetzern lesen, was der Zauber im Ernstfall kosten würde, bestimmt angemessen. Jedenfalls war diese Szenerie vorhin mit dem Akkordeonspieler und seiner Frau, als es noch heller Abend war und die ganze Atmosphäre nach einem eher wie Herbst aussehendem Julitag unerwartet so sommerabendlau, aus allen drei Fenstern, aus der Küche und aus den beiden Fenstern über Eck zur Auguststraße so schön, dass ich gar nicht mehr wegschauen konnte und die Fenster weit aufmachte, um es besser zu hören. Und die ganze Zeit dachte, man müsste es filmen, es ist beinah irreal, wie in einem Traum. Die Farbe seiner Schiebermütze und seiner Anzugweste zum Kopfsteinpflaster und die wie verblichen scheinende Farbe des Autos und dazu diese heitere Melancholie von seinen mir ganz und gar fremden Liedern. War das inszeniert? Hat das der liebe Gott inszeniert, damit ich mich meines Lebens erfreue, an einem unspektakulären Dienstag Abend? Bestimmt. Ich habe die Kamera nicht geholt, sondern alles direkt in mein eingebautes Bildarchiv gespeichert. Und ordentlich beschriftet.
g a g a - 3. Juli 2012, 23:39
PS: Oh, sie waren schon drin in der Mädchenschule! (Ist es da auch so lecker?)
P.S. ich sehe gerade auf der Seite der Mädchenschule, dass die dort abgebildeten Fotografien der Atmosphäre der gastronomischen Räumlichkeiten nicht gerecht werden. Dieser Ort strahlt in allen Winkeln Wärme und Heimeligkeit aus. Und besonders "The Kosher Classroom", das reinste Wohnzimmer. Ich war am Abend da, im milden Abendlicht. Die Möbel scheinen zum Teil aus den Dreißiger, Vierziger Jahren zu sein. Es wirkt alles wie gewachsen, mit viel Liebe zum Detail. Und ich war nicht betrunken, als ich da war, den Wein gab es erst später im Al Contadino!
(Ich bin daheim wo Brad Pitt und Heike Makatsch essen gehen, das Bild mag ich auch.)
Man könnte denken, ich bin eine kleine Angeberin, was wahrscheinlich mitunter auch nicht ganz falsch ist, aber ich mache solche Anmerkungen mit Brad und Frau Makatsch auch um eine qualitative Liga identifizierbar zu machen. Das ist ja hier schließlich auch ein Heimatkunde- und Bildungsblog. Ich finde beide auch ganz sympathisch. Sie noch mehr als ihn. Außerdem ist Promiklatsch aus der Nachbarschaft immer von Interesse. Man ist sozusagen auf Augenhöhe! Außerdem habe ich natürlich Heimvorteil.
Promis im Hintergarten, im Blick das Ave Maria und dazwischen anmutige Garçons? Hoh! Wobei mir ja irgendwie meist eher die Damen denn die Herrschaften auffallen, warum auch immer, insofern danke für's Blickschärfen. Ihren Heimvorteil würde ich gerne mal genießen: Darf ich Sie um eine Kiezführung bitten?
Und schön sitzt man auch im vietnamesischen Teehaus chén chè, hier um die Ecke in der Rosenthaler Str., im hinteren Hofgarten mit kleinem Springbrunnen und schwimmenden Rosenblättern und Lotusblüten und ganz wunderbaren Kleinigkeiten zum Essen.