02. August 2013

Ein Nachmittag, den ich nie vergessen werde.
Heute, gegen vierzehn Uhr dreißig habe ich durch einen Anruf meines Neffen Valerian erfahren, dass sein großer Bruder ertrunken ist. Ich bin selbst erstaunt, wie gefasst ich in der Lage bin, das noch am selben Tag in dieses Fenster zu schreiben, in dem man Blogeinträge erstellt. Mein Neffe Richard Keita, ist zum Schwimmen an einen Fluß gegangen und nicht wiedergekehrt. Man fand ihn. Da war er schon im ewigen Meer der Gezeiten. Ganz bestimmt bei meinem lieben Bruder, der ihn, seinen erstgeborenen Sohn liebte, wie man ein Kind nur lieben kann. Mein Bruder saß auf dem Teppich, mit gekreuzten Beinen und spielte Gitarre, aber in der Kuhle, in seinem Schoß, saß sein neugeborener Sohn, so habe ich die beiden oft gesehen. Richard Keita hatte seinen Vater nur gute zwei Jahre, dann geschah der blöde Unfall. Aber er hat das dickste, fetteste Paket Liebe mitbekommen, das man sich vorstellen kann. Und das hat man immer gespürt. Er war ein sensibler junger Mann, voller Liebe und Sanftheit. Und er spielte Gitarre, wie sein Vater. Die Stratocaster kam abhanden, aber seine Les Paul hat er über alles geliebt und gespielt. Ich glaube, ich werde die Kommentare bei diesem Eintrag deaktivieren, nicht weil ich es nicht ertragen würde, sondern weil ich fürchte, dass sich Leser unbekannterweise genötigt fühlen, die dann üblichen Beileidskommentare zu hinterlassen. Obwohl, das wäre eigentich auch nicht wirklich schlimm. Ich will nur sagen, ich weiß, dass er zuhause ist, da wo er endlich mit seinem Vater Gitarre spielen kann. Und das gibt mir großen Frieden. Ich bin nicht verzweifelt, denn alles war gut. Wir hatten immer ein schönes, wenn auch unregelmäßiges Neffe-Tante-Verhältnis. Zuletzt sprachen wir ungefähr im Februar am Telefon miteinander. Er wollte mit seinem Bruder Valerian nach Berlin kommen und ich bot an, sie könnten in meinem Atelier übernachten, eine große Matratze organisieren und alles prima. Aber erst wenn es schön ist in Berlin, warm. Ja, das machen wir, wenn es wärmer ist, dann ist Berlin erst richtig schön. Jetzt musst du dir das alles von der Wolke da oben angucken, mein kleiner Fisch. Es hat mir viel bedeutet, dich vor achtundzwanzig Jahren in den Armen zu halten, neugeboren, selig blinzelnd. Du hast mir mein eigenes Kind mit einem Blick zurückgeschenkt. Und dafür danke ich dir. Für immer und ewig.

P.S. ich wollte dir noch sagen, du hast auf deinem Facebook-Profil unter einem Foto, das ich von dir gemacht habe, geschrieben: Photograph: Valerian Seethaler. Das Bild war aber von mir. Ich verzeihe dir, du hast den Kommentar erst letztes Jahr druntergeschrieben, unter das Bild von 2010. Im Mai war das. Das sind die Bilder. Du mochtest sie sehr. Das weiß ich noch. Ich denke, es ist okay für dich, wenn ich hier den Link einklebe. Du musst dich übrigens daran gewöhnen, dass ich jetzt, wo du dich da oben bei Jimi und deinem Vater rumtreibst, direkt anspreche. Ich bin das so gewohnt. Mein Bruder, also dein Vater, und ich machen das auch immer so. Weißt du Bescheid. Ich lasse die Kommentare doch offen. Alles ist gut. Schlaf gut, mein kleiner Fisch.

Deine Tante
Gaga
kid37 - Fr, 2. Aug, 23:10

Das ist ja schrecklich. Viel Kraft wünsche ich Ihnen allen da. Passen Sie gut auf sich auf.

g a g a - Sa, 3. Aug, 01:21

Danke, das ist lieb und aufmerksam. Ich habe Kraft. Mehr denn je. Im Laufe dieses langen Nachmittags und Abends, an dem ich einige Begegnungen hatte, volller Mitgefühl, wofür ich tief dankbar bin, gab es immer wieder Momente, wo ich dachte, ich müsste den Kondolierenden Trost geben. Ja wirklich. Ich empfinde einen tiefen Frieden. Ich weiß so sehr, dass er aufgehoben ist, im ewigen Universum. Niemand wird ihn mehr angreifen oder zur Ordnung rufen, weil er wieder zuviel träumt. Das ist sein Testament für mich und für alle und für meine Familienangehörigen. Träumt, so lange es geht, träumt, so viel ihr könnt, verfolgt eure Träume, denn die Realität muss man nicht verfolgen, sie holt einen sowieso ein. Ich habe das verrückte Gefühl, dass mir Keita die ganze Zeit zulächelt, während ich das tippe. Es war eine Verbundenheit auf einer traumhaften Ebene, die ich gar nicht benennen kann. Aber ich denke, es ist mir heute gelungen, seinen Großeltern, meinen Eltern, damit Trost zu spenden. Dass ich weiß, und er wusste es sowieso immer - die letzten Themen waren ihm immer nah, in Fleisch und Blut - durch den frühen Verlust seiner Eltern, und weil er eh so ein zutiefst gefühlvoller und empathischer Mensch war, dass er - ja, was ich sagen will - nur in Frieden gehen konnte, alles andere ist mir unvorstellbar. Ich weiß es einfach. Stimmt's, Keita? Du schaust mir über die Schulter. Ich phantasiere nicht. Hey, das ist großartig. Und ich habe keine Drogen genommen. Bitte glauben Sie mir. Außer natürlich einem oder zwei Gläschen Silvaner. Und das ungefähr drei Stunden lange Telefonat mit Jan über das große Thema Versöhnung und, wie wichtig es ist, Frieden zu schließen, ohne Ressentiments unter den Teppich zu kehren (ein Thema mit meinen Eltern), hatte auch berauschende Qualität. Ich tippe das nicht unter Tränen. Die Botschaft ist und bleibt: den Tod umarmen. Und ich habe sogar meinen armen alten Vater, der sehr an Richard hing, damit ein bißchen zum Lachen gebracht. Mein Vater ist letzten September Achtzig geworden und hat ihn geliebt wie den verlorenen Sohn (oder mehr), und meinte über den Tod vorhin: "na, mich will er wohl noch nicht umarmen, hat mich anscheinend vergessen". Das tat so gut, ihn angesichts dieser für ihn größeren Katastrophe als für mich (weil ich Keita ja gar icht verlieren kann) erleichtert kurz auflachen zu hören, weil ich ihm meine Perspektive wirklich näher bingen konnte. Und die von seinem Enkel. Denn der hatte keine Todesangst. Der Tod war dieser alte bekannte Kumpel, der erst seinen Vater und dann seine Mama abgeholt hat, und mit dem man sich anfreunden muss. Wie souverän er in diesen Dingen war, unfassbar. Wie schön, ihm begegnet zu sein. Danke Keita.
maphisti - Sa, 3. Aug, 23:19

Was wird, wird still ...
Ich bin in Gedanken bei Ihnen ...

g a g a - So, 4. Aug, 00:09

Danke
kaltmamsell - So, 4. Aug, 14:18

Die Geschichte des Bruders gehörte zu den ersten Dingen, die ich über Gaga Nielsen wusste. Ich sehe ihn auf den meisten der vielen Gaga-Selbstportraits. Und nun lerne ich dessen Söhne kennen, weil einer gestorben ist. Mal sehen, ob er ebenfalls in den Gaga-Portraits auftaucht.

g a g a - So, 4. Aug, 22:39

ja
vielleicht
als Glitzern, ein Glanz
(es regnet gerade, was für eine Musik)

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