09. August 2016

Ein Eintrag vom 20. Januar 2016, den ich nie veröffentlichte, weil ich wohl dachte, ich sollte noch etwas über das Buch, aus dem Alban Nikolai Herbst las, Traumschiff, dazuschreiben. Ich tat es nie, ich mochte das Buch, es beeindruckte mich teilweise tief, aber ich sehe mich nicht zur Rezensentin berufen. Ich wünschte, es würde so oft gekauft werden, wie manche anderen Romane in deutschen Bestsellerlisten, die mich nicht im Ansatz berühren konnten. Überaus sensitiv, eine einzige Liebeserklärung an das irdische Leben. Es gibt ja durchaus eine Reihe von Besprechungen im deutschen Feuilleton. Wie auch immer, ich sichte gerade, was ich an Beiträgen im offline-Status habe, und da stieß ich eben auf diesen Eintrag, der auch in seinem vormals als unvollständig erachteten Bearbeitungsstatus endlich online gehört.





Keine tote Wasserglaslesung. Jörg Meyer hat es schön beschrieben: "Nichts dergleichen. Herbst lässt das Wasserglas unberührt, schenkt sich (mehrmals und zum Lesefluss dramaturgisch passend) Wein ein – weißen wie der Seeschwalben Federkleid, nicht sterbensblutroten. Hängt das Jackett schwungkunstvoll über die Lehne, befreit seinen Hals von der knebelnden Krawatte, knöpft das Hemd auf, krempelt die Ärmel hoch … Und beginnt (...)" Was will man mehr? Zumal das Gelesene und anderweitig Vorgetragene gleichermaßen Körper, Säfte und Dynamik in sich trägt. Gehen Sie ruhig zu diesen Lesungen hin, wenn Sie ein bißchen Unruhe brauchen könnten.






Wenn man bei solchen Gelegenheiten fotografiert, rechnet man am wenigsten damit, dass sich ein Autor durch den Raum bewegt. Zumindest nicht derart frei. Und doch ohne eine Grenze zu überschreiten, die einem anderen etwas von seinem Raum nehmen würde. Das hat schon eine tänzerische Virtuosität, die man sich gut anschauen kann. Alban Nikolai Herbst lebt den Rhythmus seiner schönen Worte, da gibt es keinen Zweifel.




Schade nur, dass ich die Strümpfe und die Schuhe nicht richtig eingefangen habe. Ein bißchen dachte ich auch an Luis Trenker. (Natürlich in seinen allerbesten Jahren.) Derbe, wetterfeste Wanderschuhe, grobgestrickte wollweiße Strümpfe über der braunen Cordhose. Das hat alles wunderbar gepasst. Wir hatten gerade den ersten richtigen Schnee in diesem Winter in Berlin.

08. August 2016

Gypsy Punk am Märchenbrunnen

07. August 2016



Rückzugsbedürfnis. Badewanne. Am schönsten gerade, die erste Sonate für Solovioline von Bach, gespielt von Shlomo Mintz, 1985 in Salzburg. Hat mir Alban Nikolai Herbst dankenswerterweise vor einiger Zeit zukommen lassen, nachdem ich die Aufnahme von Gidon Kremer erwähnt hatte. Die Violinsonate kam by random, von der Liste mit Kammermusik. Ich ließ heißes Wasser nachlaufen. Es war noch nicht dunkel, dämmerte. Das Stück war mir, in seiner kristallenen Klarheit, als könnte es meine Gedanken und die Atmosphäre bereinigen, die ganze Luft und Wirrnis. Die perfekte Entsprechung zum reinigenden Ritual des Körpers. Obgleich der keiner Reinigung bedurfte. Ich wollte vor allem das Gefühl des Eintauchens in das warme, nasse Element spüren. Mich ein wenig auflösen. Dabei an eine Passage im Buch von Alma Mahler-Werfel gedacht, in dem man nie weiß, was sie davon tatsächlich irgendwann geschrieben hat und was der Ghostwriter fabulierte. Denn fabuliert wird in jedem Fall. Sie selbst neigte ohnehin zu starker Übertreibung und Ausschmückung und Verdrehung der Tatsachen zu ihren Gunsten, insofern sind auch die Fragmente in dem Buch, die auf ihren ureigenen Quellen beruhen, immer zu hinterfragen und im besten Fall als nette Anekdoten zu nehmen, ungeachtet des Wahrheitsgehalts. Die Passage, an die ich in der Badewanne dachte, handelt von einem geselligen Abend, irgendwann 1927, ein illustrer Kreis von Künstlern, vorwiegend Schriftstellern, hatte sich versammelt, die auch musikzugetan waren, Alma ohnehin, sie spielte ja bis zu ihrem Lebensende fleißig Klavier. Dass sie in Jugendjahren eine Handvoll Lieder komponierte, vor Ihrer Verbindung mit Gustav Mahler, sei nur am Rande erwähnt. Die Passage ist folgende:

»Gestern waren wir zum vierten Male bei Gerhart Hauptmann. Jedesmal ist man einander näher, die Stimmung freier. Zum Überfluß waren gestern auch Herbert Eulenberg und d'Albert da. Des Saufens und Lachens war kein Ende. Das Stammeln Gerhart Hauptmanns, wenn er ein wenig zuviel getrunken hat, ist zu reizend. "...ja,ja, wenn man es bedenkt, sollte man doch ... Sie verstehen mich ja ... nicht wahr?" Und alle hatten ihn verstanden. Er hat einen göttlichen Gleichmut. Seine blauen Augen sind tief wie der Himmel in einer Berglache. Er sagte gestern zu mir: »Es ist ein Jammer, daß wir beide kein Kind miteinander haben! Das wäre etwas gewesen ...« (...) D' Albert war sternhagelvoll. Er schrie, nachdem Franz Werfel ahnungslos das Wort »Hollywood« in das Gespräch geworfen hatte: »Eine Fratze der Menschheit!«, hieb mit der Faust auf den Tisch und rief ein über das andere Mal aus: »In Gegenwart Hauptmanns hat niemand das Wort Hollywood auszusprechen, das ist eine Entweihung!« Er tobte, er war nicht zu beruhigen, und alle waren ja seiner Meinung, aber das zu begreifen, war er zu betrunken. Endlich sprang er auf und ließ die deutsche Kunst leben! Mit wutflammenden Augen ... auf jeden von uns zornig, die wir doch alle seiner Meinung waren. Im Anfang hatte er schön brav mit Franz Werfel diskutiert. ...Verdi, Wagner, Beethoven. Der ›undramatische‹ Beethoven, die mangelnde ›Ökonomie‹ Wagners, die Impotenz der Atonalen, die ›Musikfabrik‹ Bachs, der sich zum Beispiel in einem Brief über das Abnehmen der Pest in Leipzig beklagt hatte, weil es weniger Tote gebe, er also weniger Bestellungen für Kantaten und so ein geringeres Einkommen habe. Kurz, alles mußte herhalten, und der kleine Gnom d'Albert kicherte in sich hinein, blinzelte mit seinen müde schlauen Äuglein, rieb sich die Hände und war ganz von sich hingerissen. Franz Werfel war auch etwas betrunken, aber schwungvoll, paradox und dann wieder voll offener Wahrheit. Gerhart Hauptmann hatte sichtbar Freude an ihm. «



Usw. usf. Die Erwähnung vom Brief Bachs ließ mich danach suchen, mich interessierte der originale Wortlaut dieser bizarren Äußerung. Ich fand den Brief auch, die Stelle liest sich aber in den Zeilen von Johann Sebastian Bach nicht ganz so zynisch, wie man befürchten könnte. Bach war damals fünfundvierzig Jahre alt und hatte Frau und sieben Kinder zu versorgen und sich auf eine Anstellung als Musiklehrer in einem Gymnasium in Leipzig eingelassen, was aber hinten und vorne nicht reichte, so verdiente er sich ein Zubrot mit Auftragskompositionen. Am 28. Oktober 1730 schrieb Bach an seinen Freund Georg Erdmann:

»(...) so fügte es Gott, daß zu hiesigem Directore Musices u. Cantore an der Thomas Schule vociret wurde. Ob es mir nun zwar anfänglich gar nicht anständig seyn wolte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden, weßwegen auch meine resolution auf ein vierthel Jahr trainirete, jedoch wurde mir diese station dermaßen favorible beschrieben, daß endlich (zumahln da meine Söhne denen studiis zu incliniren schienen) es in des Höchsten Nahmen wagete, u mich nacher Leipzig begabe, meine Probe ablegete, u. so dann die Mutation vornahm. Hieselbst bin nun nach Gottes Willen annoch beständig. Da aber nun finde, daß dieser Dienst bey weitem nicht so erklecklich als mann mir Ihn beschrieben, viele accidentia dieser station entgangen, ein sehr theürer Orth ist u. eine wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit ist, mithin fast in stetem Verdruß, Neid und Verfolgung leben muß, als werde genöthiget werden mit des Höchsten Beystand meine Fortun anderweitig zu suchen.

Solten Eu: Hochwohlgebohren vor einen alten treüen Diener dasiges Ohrtes eine convenable station wißen oder finden, so ersuche gantz gehorsamst vor mich eine hochgeneigte recommendation einzulegen; an mir soll es nicht manquieren, daß dem hochgeneigten Vorspruch und interceßion einige satisfaction zu geben, mich bestens beflißen seyn werde. Meine itzige station belaufet sich etwa auf 700 rthl. , und wenn es mehrere, als ordinairement Leichen gibt, so steigen auch nach proportion die accidentia; ist aber eine gesunde Lufft, so fallen hingegen auch solche, wie denn voriges jahr an ordinairen Leichen accidentien über 100 rthl. Einbuße gehabt. In Thüringen kan ich mit 400 rthl. weiter kommen als hiesigen Ohrtes mit noch einmahl so vielen hunderten, wegen der exceßiven kostbahren Lebensahrt.

Nunmehro muß doch auch mit noch wenigen von meinem häußlichen Zustande etwas erwehnen. Ich bin zum 2ten Mahl verheurathet und ist meine erstere Frau seelig in Cöthen gestorben. Aus ersterer Ehe sind am Leben 3 Söhne und eine Tochter, wie solche Eu: Hochwohlgebohren annoch in Weimar gesehen zu haben, sich hochgeneigt erinnern werden. Aus 2ter Ehe sind am Leben 1 Sohn u. 2 Töchter. Mein ältester Sohn ist ein Studiosus Juris, die anderen beyden frequentieren noch, einer primam, der andere 2dam Classem, und die älteste Tochter ist auch noch unverheurathet. Die Kinder anderer Ehe sind noch klein, u. der Knabe als erstegebohrener 6 Jahre alt. Insgesamt aber sind sie gebohrene musici, u. kan versichern, daß schon ein Concert Vocaliter u. Instrumentaliter mit meiner Famillie formieren kan
(... usw. usf.)

Eu: Hochwohlgebohren
gantz gehorsamst«


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