03. Oktober 2011



Kann eigentlich nicht sein. Aber kennt jeder Berliner. Oder auch Hamburger. Oder Kölner oder Münchner. Oder oder. Man verbringt den größten Teil seines Lebens in einer Stadt und schaut sich die größten, spektakulärsten Bauwerke ewig nicht an, jedenfalls nicht planvoll, ganz genau, wie man es als Tourist täte. Ja ja, jeder kennt das. Aber nun kommt man ja langsam dahinter, dass nicht nur das eigene Land ein mögliches Reiseland mit eigener Küste, einem richtigen Meer ist, Wäldern und Bergen und großem Himmel und schönem Klima. Ich schaue mir jetzt alles an, was ich vor der Nase habe, weniger wie eine flüchtige Reisende, eher wie ein Schmetterlingsforscher. Ich gehe noch etwas weiter. Nichts wird schnell abgehakt, ich will es verinnerlichen und ausloten. Nun soll keiner denken, ich wäre noch nie im Olympiastadion gewesen. Jeder Berliner war schon mal im Olympiastadion. Ob als Konzertbesucher oder als Herthafan oder Besucher der Pyronale oder weiß der Kuckuck. Ich erinnere mich, dass ich vor achtzehn Jahren mit einer Freundin bei einem Stones-Konzert dort war und wir beide vorzeitig gegangen sind, weil die Darbietung so abgedroschen war und die Bühne so weit weg. Dazu muss man aber erwähnen, dass ich zwei Jahre vorher ein sehr gutes Konzert der damals schon alten Haudegen gesehen hatte, 1991 in Weißensee, wo echte Begeisterung, nicht nur vor der Bühne zu spüren war. Inmitten von lauter Ostberliner Fans, die kaum fassen konnten, dass es ihnen in ihrem Leben tatsächlich noch vergönnt war, Mick Jagger und Keith Richards leibhaftig zu erleben. Wer glaubte schon ernsthaft an den Mauerfall. Keiner. Kein Mensch.



Das ist also der Hintergrund. Dass ich auch mit der Faszination für den Olympiafilm im Hinterkopf in das Stadion ging, muss ich nicht erwähnen. Ich habe mir einen Tag ausgesucht, an dem ich ziemlich sicher sein konnte, kaum jemanden anzutreffen. Ein Dienstagnachmittag. Wie ich es erhofft hatte, war das Stadion und das ganze Areal beinah leer, hin und wieder ein, zwei Besucher außer mir. Ein bißchen bedauere ich, dass das große Amphitheater des Stadions nun zum Teil überdacht wurde, um die Besucher vor Wind und Wetter zu schützen. Aber was für eine Konstruktion. Es ist gut gelungen, das alte Stadion noch erfahrbar zu machen. Die Substanz ist immer noch die alte Steinkonstruktion. Und was für ein schöner Stein. Das ist also der Ort, wo Jesse Owens den Triumph seines Lebens erlebte. Wo trotz der dunklen Mächte die im Land wirkten, alle Kontinente einschließende Völkerfreundschaft gefeiert wurde. Ich verließ das Stadion beim Marathontor zur Südseite und ging weiter zum Schwimmstadion, wo die großartigen Filmbilder der Turmspringer von Riefenstahls Kameramännern, allen voran Hans Ertl und Guzzi Lantschner, eingefangen wurden. Dann weiter an den großen Statuen vorbei, am Maifeld, zur Langemarckhalle mit dem Glockenturm. Die Bilder zeige ich später in eigenen Folgen. Das ist angemessen. Über den kleinen Marchhof verließ ich das Areal Richtung Ausgang. Da ging die Sonne schon fast unter. Ich dachte so etwas Ähnliches wie, gut, dass ich es mir endlich angesehen habe und wieso kam es mir vorher nie in den Sinn. Was für ein bemerkenswerter Ort. Nur wenige Schritte bis zur S-Bahn "Olympiastadion". Wie oft bin ich mit der U-Bahn zur Haltestelle Olympiastadion um von dort zur Waldbühne zu laufen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich dort war, so viele Konzerte. Jetzt ist ein dicker Fußabdruck in meiner Erinnerung dazugekommen. Er hat ganz deutlich die Form des Ovals vom Olympiastadion. Tief eingeprägt.

27. September 2011



Genau hinschauen. Das Leben ist kurz. Man kann da ganz schnell durchgehen. Durch jede Tür, durch jedes Tor. Aber das mache ich nicht. Weil es ganz besonders dadurch wird, dass man es als besonders versteht. Ein Privileg. Es zu etwas Besonderem macht. Wahrscheinlich funktioniert das mit jedem Ort und jedem Zeitpunkt. Noch dazu, wenn der Ort tatsächlich sehr besonders ist, herausragend, warum sollte man beiläufig durchgehen. Unter einem solchen Himmel. Das wäre doch nicht angemessen. Im Grunde kann man jeden Augenblick in einer Weise erhöhen, dass man von Pathos sprechen kann. Den Augenblick und den Ort aus der Gleichgültigkeit, der Beiläufigkeit heben. Das ist gar nicht schwer.



Wenn man eine Kamera auf sich gerichtet sieht, egal ob gefilmt oder fotografiert wird, erhöht sich die Selbstwahrnehmung. Man bekommt eine Idee davon, dass es auf jeden Augenblick ankommt. Wie man ist, wie man fühlt, in genau diesem Augenblick, der dann für immer festgehalten sein wird. Der zur teilbaren Erinnerung wird. Und das wird das Leben gewesen sein. Auch das. Die inneren Bilder kann man nur selbst erinnern. Die äußeren erinnern auch die anderen. Von den inneren Bildern erzählen die Geschichten, die geschrieben sind. Wenn die innere Geschichte auf die äußere Geschichte trifft, die zu Bildern materalisiert ist, kann man das Ganze erahnen, dann. All das, was wesentlich gewesen sein wird.

25. September 2011



Je länger ich mich beobachte, umso theatralischer komme ich mir vor. Dieser Selbstdarstellungsdrang. Nicht einmal gespielt oder verstellt, aber dieser Drang, sich darzustellen. Wenn ich das sachlich diagnostiziere, frage ich mich, ob das einfach von Hause aus stärker in meinem Charakter angelegt ist, oder ob es sich um eine eigenmächtige Wiedergutmachung aufgrund zu geringen Zuspruchs in prägenden Kindheits- und Jugendjahren handelt. Wie auch immer - irgend etwas daran scheint heilsam zu sein. Man sagt das auch Menschen nach, die ins Schauspielfach streben, ohne den vordringlichen Ansatz, Menschen unterhaltsam beglücken zu wollen. Sie wollen gesehen werden. Angeschaut werden. Liebende, zugewandte Blicke in hoher Dosis empfangen. Diese Energie von Blicken ist keineswegs zu unterschätzen. Lebenselixier. Was richten strenge oder argwöhnische Mütter- und Väterblicke an. Oh Gott. Ich will das Thema gar nicht weiter ausführen. Absatz.

Chronologisch ordentlich wie ich bin, beginnt auch die nächste Entdeckungsreise, zu einem mir überraschend wichtig gewordenen Ort in Berlin, zuhause. Ich überlege, was ich anziehe, wenn ich einen Ort aufsuche. Was ist atmosphärisch angemessen. Bequem soll es sein. Denn meine Ausflüge dauern immer ein paar Stunden. Wenn man sich nicht rundherum wohl fühlt, sieht man auch auf den Bildern ein bißchen verklemmt aus. Eingeklemmte Taille und eingezwängte Füße ist nach Adam Riese eingeklemmtes Lächeln, eingezwängte Psyche. Zu Riefenstahls Drehzeiten dort, wo ich mich auf den Weg hinmachen würde, trug man in jenem heißen Sommer 1936 auch Brillen gegen die blendende Sonne. Aber die Fassungen waren doch eher aus Metall als aus Kunststoff. Filigrane Modelle. Ein bißchen wie meine Kenzo-Brille mit den blau verspiegelten Gläsern. Derlei Extravaganz hat es da freilich nicht gegeben. Als ich ebendort in einem Ausstellungsraum war, sah ich Leni Riefenstahl zufällig auf einem alten Foto mit einer Schirmmütze. Hatte ich gar nicht erinnert. Na ja. Ich habe mein Bestes gegeben um keinen unangemessenen ästhetischen Bruch vor Ort zu verursachen. Und das ist mir auch gelungen. Morgen oder übermorgen geht es weiter. Das Bild da oben ist schon kurz vor dem Ziel. Es stammt aus der S-Bahn. Irgendwo zwischen Hackeschem Markt, Berliner Hauptbahnhof und Olympiastadion. Da ging es nämlich hin. Aber das kommt dann morgen. Oder übermorgen. Oder Überübermorgen. Eins nach dem anderen.



Jetzt muss ich schlafen gehen, weil ich viel um die Ohren habe, in diesen Tagen. So viel, dass ich seit Freitag sogar das Telefon ausgestöpselt habe, weil ich so erholungsbedürftig bin. Man vergebe mir und gewähre mir ein paar geruhsame Stunden daheim.

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Ina Weisse Oh da muss...
19.09.25, 22:41
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Ina Weisse Heißt es...
19.09.25, 22:33
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Imke Arntjen Sylt...
19.09.25, 15:56
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Mehr Historie über...
16.09.25, 20:56
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Jan Sobottka Sieht...
12.09.25, 18:22

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