25. oktober 2006

was ich dir sagen will
(, bruderherz)

vor ein paar nächten, zwei oder drei, kam die erinnerung. ich saß vor meinem rechner und spielte mit einer hand voll tonspuren von brian eno und david byrne. und ich dachte, wie gut eine gitarrenspur wäre. so kamen die gedanken zu dir. mir fiel ein, dass ich doch irgendwelche aufnahmen von dir haben muss. ich konnte es mir selbst nicht sicher beantworten, was ich genau von dir habe, weil ich es nie fertigbrachte, die kassetten nach deinem unfall zu hören. es war so schwer. zu schwer. unmachbar schwer, dich noch einmal zu hören, vielleicht sogar deine stimme, deine stratocaster und dir nicht mehr sagen zu können, was es mir bedeutet. es ist sogar jetzt noch schwer, das zu schreiben.

ich bin also aufgestanden und habe nachgeschaut, wo die kassetten überhaupt sind. als ich sie fand, war ich schon ziemlich aufgeregt. es sind vier stück. auf einer kassette ist eine aufnahme von deinem letzten auftritt mit deiner band. märz 1987. es ist unglaublich aber wahr. ich habe diese aufnahme nie gehört. in fast zwanzig jahren habe ich es nicht fertig gebracht und dann weggeschoben, ins vergessen. noch zwei kassetten mit aufnahmen von dir mit der gruppe. irgendeine davon hast du mir selbst gegeben, die habe ich natürlich damals schon gehört. sofort. aber seither nicht mehr. ich erinnere ganz dunkel eine liedzeile: „es ist 3:35 und ich liebe dich“. oder :33? vielleicht auch eine andere uhrzeit. aber es war irgendwas mit drei uhr.

und dann eine kassette ganz ohne cover, nur mit deiner schrägen handschrift. „tascam erster versuch“ steht drauf. weiter nichts. ich habe also wirklich eine cassette mit der allerersten aufnahme, die du jemals mit deiner tascam gemacht hast. dem vierspur-tonbandgerät, auf das du so stolz warst. und ich ging mit der kassette schlafen. machte das licht aus in meinem schlafzimmer, wo das einzige tapedeck in meiner wohnung steht. ich war so aufgeregt. war das vorgestern? vorvorgestern? ich lag wie aufgebahrt in meinem eigenen bett und suchte im dunkeln nervös mit der linken hand nach der playtaste, die ich nicht sofort fand, da ich sehr selten kassetten zuhause höre.

das band lief. es begann mit einer rhythmusspur. ein seltsam tackerndes geräusch wie sehr kurz aufeinanderfolgendes peitschenknallen. langatmig. dann seltsame stimmaufnahmen, die ganz gruselig rüberkamen, weil du offenbar mit dem pitch gespielt hast. unverständliche langgezogene laute, in verzerrter zeitlupe. was tue ich mir hier an, dachte ich, während ich stocksteif in meinem bett lag. elektrisiert und angespannt zugleich. endlich war diese aufnahme zu ende und die rückseite der cassette begann. wieder verschiedene rhythmusexperimente. dann ein zupfen, wie ein bass, ein paar minuten. ein anderer rhythmus, für mich nicht identifizierbarer herkunft.

dann ein paar minuten akustische rhythmusgitarre. man hört, dass es alles keine aufnahmen für die nachwelt sein sollten, nur versuche, um dich mit dem aufnahmegerät vertraut zu machen. ein paar überraschend bluesige akkorde gitarre, die wie eine dobro klingt. wohl nur eine fingerübung, so untypisch für dich. da hast du irgendwas gemacht mit einem effektgerät, du hattest ja keine dobro. dann plötzlich ein keyboard. du hattest ein keyboard? ich kann mich gar nicht erinnern. ein zartes geklimper, wie ein einschlaflied. ganz schön. und dann ein kurzer wah wah akkord. das habe ich so sehr geliebt, wenn du mit dem wah wah gespielt hast.

kleine pausen zwischen den einzelnen sequenzen. und dann ein warmer ton. so warm. ich bin zu doof im nachhinein zu identifizieren, ob ich da deine les paul oder die stratocaster höre. aber mir wurde plötzlich sehr sehr warm ums herz. und du spieltest länger. ein ton, der mich an neil youngs aufnahmen für dead man erinnert. ganz stark. jetzt konnte ich schlafen. dachte ich.

aber ich lag wach. lange wach. ich konnte nicht schlafen. immer wieder geisterte die idee durch meinen kopf, dass ich irgendetwas damit machen möchte. obwohl es doch nur unvollkommene aufnahmeexperimente sind. rhythmusverschiebungen noch und noch, mitten im spiel. und doch. ich konnte sowieso nicht einschlafen. ich schaute auf die uhr, es war halbsechs uhr morgens. in meinem schlafzimmer war es noch dunkel und um die dunkelheit zu bewahren, hatte ich den einzigen vorhang den ich habe, zugezogen.

ich stand auf und holte mein notebook mit dem aufnahmeprogramm und das mikrofon. bestimmt schütteln jetzt viele den kopf, weil man längst analoge kassettenaufnahmen professionell rippen kann, aber ich habe das noch nie gemacht und wollte jetzt und sofort eine tonspur deiner gitarre haben. es dämmerte hinter dem dunklen fenster, ich saß mit gekreuzten beinen auf dem teppich vor dem rechner und nur der monitor warf ein sanftes blaues licht. ich spulte das band zurück und packte das mikro auf den ständer in lautsprecherhöhe, setzte mich mucksmäuschenstill vor den rechner und drückte mit der maus auf record. ich sah der wachsenden tonspur zu und wusste, das ist genau das, was in diesem moment richtig ist. diesem heiligen pulsieren des diagramms zuzuschauen. und an dich zu denken. und zu fühlen, dass du das gut finden würdest, was ich da gerade mache, voller andacht.

dann ging ich schlafen. dann konnte ich schlafen.

und so entstand in den nächsten stunden und nächten dieses kleine stück, mit der über zwanzig jahre alten ersten aufnahme deiner gitarre und ein paar schrägen tonspuren deiner kleinen schwester. ich schrieb vor einigen jahren ein paar worte für dich, weil du mir im halbschlaf begegnet warst. und deswegen heißt es halb im schlaf.

hör es dir einfach an



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24. oktober 2006

gruß nach san diego

24. oktober 2006

manchmal wüsste ich spaßeshalber ganz gerne, wieviele von den stillen mitlesern mich im grunde nicht ausstehen können. vielleicht bin ich ja auch nur ganz normal paranoid.

und dann stehen ja sonne und mars ab heute im skorpion. und herr mond. jupiter sowieso. und merkur. und morgen auch noch die gute alte venus. da wirft man dann schon mal den blick auf die eine oder andere leiche im keller.

19. oktober 2006



sonnenbrillenunfug. und plötzlich die geschichten. die geschichte jeder sonnenbrille. man setzt sie auf und die geschichte ist da. manche haben keine besondere. manche eine sehr besondere. da ist diese pilotenbrille mit den braungetönten gläsern, die mir eigentlich viel zu groß ist. sie gehörte meinem großvater, dessen hand ich hielt, als er starb. er wurde einundachtzig jahre alt und war in seinen letzten lebensjahren sehr zugempfindlich im gesicht und an den augen. vielleicht habe ich das ja von ihm. bei mir tränen auch immer gleich die augen, wenn ein leichter wind weht oder es zu kalt draußen ist, besonders das rechte. wenn jemand stirbt, bleiben diese dinge zurück. sonnenbrillen.

eine brille mit riesigen insektengläsern, wie man sie von bildern der knef oder bardot aus den siebzigern kennt. die erste sonnenbrille, die ich mir selbst gekauft habe. irgendwann in den siebzigern. ich war wohl in der siebten klasse. ich müsste also dreizehn gewesen sein. achtundsiebzig könnte hinkommen.

und dann ist da die erste brille, die sich mein bruder gekauft hatte, auch eine pilotenbrille, auch siebziger. mit so komischen biegsamen drahtbügeln. sportbrille nannte man das damals. damit die brille beim rennen nicht runterfällt. dabei kann ich mich überhaupt nicht erinnern, dass mein bruder jemals großartig sport getrieben hätte. eher im gegenteil. er war genauso ein stubenhocker wie ich, wenn er nicht gerade auf seinem zündapp-mokick unterwegs zu einem freund oder in den übungsraum war.

verschiedene brillenmodelle, die man einfach mal so mitnimmt, weil einem die, die man schon hatte, plötzlich unmodern vorkamen. oder brillen, die man unterwegs gekauft hat, weil man unerwartet von heftiger sonne überrascht wurde. oder weil es einfach spaß macht, brillen aufzusetzen und auszuprobieren.

zwischen all den brillen eine schwarze augenklappe. ich trug sie vor zehn jahren zur hochzeit meiner freundin elena. ich hatte vor, ausgiebig zu filmen und wusste, dass es auf dauer sehr anstrengend werden würde, beim stundenlangen fokussieren das linke auge zuzukneifen, deshalb beschloss ich, mir die ganze sache mit einer verwegenen augenklappe zu erleichtern und machte aus der not eine tugend, indem ich passend zur augenklappe in dunklen nadelstreifen und schwarzen overkneestiefeln im vornehmen charlottenburger standes- amt einlief. erich von stroheim wäre stolz gewesen.

und dann diese porsche-sonnenbrille. dieses riesending. das gleiche modell, das yoko ono jahrelang nach dem tod von john lennon trug. sie gehörte auch meinem bruder. er hatte sie auf, als er gegen diesen baum fuhr. auf der rechten seite ist eine kleiner kratzer, drei der dreizehn kleinen schrauben fehlen, mehr nicht. und ich habe die ganzen brillen aufgesetzt und fotos gemacht, aus einer verspielten laune. und als ich die yoko-brille aufhatte, war er plötzlich ganz nah.

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16.09.25, 20:56
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