17. juli 2004



in den wüsten fühle ich mich zuhause, wo die erde aufbricht und die naturgewalten die gedanken verjagen. ich habe gehört, es wäre in der nähe der tosenden wasserfälle nicht mehr möglich, sich mit sprache zu verständigen. wenn ich an einen geysir denke, ist mir, als träumte ich von einem geliebten. ich reise in zwei wochen nach island.

als ich in arizona und utah die farbe der erde und felsen sah, war mir, als wären meine knochen aus derselben substanz, als wäre die resonanz der runden felsen mit mir gleich, identisch, als erinnerten sich meine knochen, meine sinne, meine organe. das war nicht das gefühl von zugeneigter bewunderung schöner landschaft, es war körperlich spürbarer gleichklang.

als ich später zurückkehrte, mich zwischen frankfurt und berlin in einem ICE fand, auf der letzten etappe nach drei flügen, alle gehirn- und herzenswindungen mit rotem sand durchspült, im schlafsack noch die spuren vom monument valley, sah ich durch das zug-panoramafenster grüne wiesen und hügel, der neue frühling war plötzlich da, doch ich spürte nichts davon. ich sah dieses freundlich nette gleichförmige, saftige grün und fühlte nichts. nur fremdheit. mein herz suchte die vertrauten farben. das tiefe orange der felsen und den indigoblauen himmel. aber der himmel war hellblau verwaschen und es gab keine roten felsen. ich versuchte mich daran zu erinnern, dass ich grüne wiesen lieben kann. da waren zwischen dem grün die bekannten frühlingsblumen. ich konnte mich nur noch daran erinnern, wie an eine weit zurückliegende information. ich wusste noch, dass man das normalerweise bezaubernd findet, dass ich es sogar immer sehr mochte. da war er, der frühling und es war mir gleichgültig. ich fühlte mich mit diesem satten grün nicht verwandt.

ich fühle mich eher wie wüste, in mir gibt es steine und geröll, endlosen horizont, zerrissene erde, sengende hitze, eisige winde, hunger und durst. gewaltige felsen mit schattigen nischen. und ein paar oasen, die mich durchhalten lassen.

aber in wüsten gibt es auch frühling. man kann keine maienkränze flechten aus den seltenen blüten, aber ihre farben sind voller kraft und leuchten. wenn ich in eine wüste gehe, geh ich nach hause.

13. juli 2004

gestern hatte ich lust früh schlafen zu gehen und konnte dann ewig nicht einschlafen. bin irgendwann zum kühlschrank und hab mir aus dem eisfach ein minieis geholt. das sind kleinere ausgaben von eis am stil geschmacksrichtung magnum-ähnlich (no name-billig-marke) zu zehn oder zwölf stück in einer schachtel. das eis ist immer das gleiche vanilleeis, nur in verschiedene überzüge eingepackt. es gibt vanille, milchschoko mit krokant und hellere und dunkle schokolade.

ich hab mir eins mit vanille geholt. dann bin ich im dunkeln im bett gesessen und hab das kleine eis gegessen. das war völlig neuartig. das kleine eis hat so einen kindergeburtstag-appeal und man fühlt sich wie fünf. aber fünfjährige dürfen meistens eher nicht nackig im dunkeln zur schlafenszeit im bett sitzen und eis essen.

da dämmerte mir, dass es einem viel zu selten dämmert, dass man eigentlich jeden scheiss machen kann und keiner macht das licht an und schickt einen zum zähneputzen. ich hab mir dann noch zwei geholt. hat gut geschmeckt. zähne hab ich nicht geputzt.

10. juli 2004

vorhin bei globetrotter hab ich mir die hauspostille zum schmökern in der u-bahn mitgenommen. es war eine schöne kurzweilige fahrt, als ich in einem interview mit dem mittlerweile 69jährigen rüdiger nehberg, der letztes jahr versucht hat, sich nur mit brille, badehose und sandalen durch den brasilianischen dschungel zu schlagen las, wie er vorher versucht hat sich bei den yanomami auf den trip vorzubereiten:

(...) das wissen und können der yanomami wird ein weißer im wald nie erreichen. ich war daher kein sehr begehrter jagdgefährte. in zeichensprache bedeutete mir der häuptling: du kannst nicht schleichen, kannst keine tierstimmen nachmachen, kannst dies nicht, kannst das nicht. um doch mit auf die pirsch zu dürfen, bot ich meine ganze überzeugungskraft auf. dann schlich ich hinter den jägern her, mäuschenstill, stundenlang, kreuz und quer durch den dschungel. dann endlich ein zeichen: zwei affen auf einem baum! der häuptling machte sich schussklar. ein wahnsinnsbild dachte ich, zückte die kamera, bekam aber nicht alles in die optik. also trat ich zurück – auf einen ast. knack! die affen rasten davon. der häuptling schoss daneben. stinksauer schickte er mich zurück.

du musstest zurück ins dorf?

ja. aber ich hatte überhaupt keine ahnung, wie ich zurückkommen sollte. als ich mein problem signalisiert hatte, starrte mich die ganze truppe fassungslos an. die blicke waren eindeutig: der ist ja noch blöder, als wir gedacht haben! schließlich kommandierte der häuptling seinen sohn ab, um mich zu führen. der sohn war vier jahre alt, unglaublich! der marschierte vorneweg, schaute weder nach rechts noch nach links – und nach sechs stunden waren wir plötzlich da. als der kleine den frauen erzählte, was passiert war, kriegten die sich gar nicht mehr ein. ab da war ich der dorfdepp. immer wieder wurde die neue rüdiger-geschichte als theaterstück aufgeführt: vorneweg die genialen indianer, leiser als nebelschwaden; hinten der deutsche glatzkopf, tolpatschig wie ein besoffenes tapir. und der häuptling zählte wieder an den fingern ab, was ich alles nicht konnte: nicht schleichen, nicht heim finden und so weiter. weil die liste so lang war, sprangen ab dem elften punkt immer assistenten herbei und stellten weitere finger zur verfügung. ich war 31 einheiten blöde. die indianer haben sich köstlich amüsiert. aber gelernt habe ich dort auch sehr viel.


der rest der geschichte

09. juli 2004

ich denke darüber nach, weshalb es menschen gibt, die sich auf ihren internetseiten in komplexen worten darstellen, jedoch auf fotografien von sich selbst verzichten. sobald ich aufgrund irgendwelcher links auf eine neue seite stoße, in der sich jemand persönlich beschreibt, suche ich zuerst nach einem bild, einer fotografie von diesem menschen. wenn ich nichts finde, bin ich enttäuscht, oft desinteressiert. mir ist zufällig bekannt, dass das viele tun - nach dem foto suchen. wenn ich mehr als ein spärliches bild finde, bin ich umso neugieriger.

für mich sind das wunderbar unberechenbare mosaiksteine. auch worte könnten das sein - ja - manchmal. könnten. aber wer, von all den sich offenbarenden schreibt schon wirklich unberechenbar, womöglich schonungslos...? eine fotografie, die einen blick zeigt, erzählt mir mehr als biographische daten und adjektive. selbst, wenn das bild im bewußtsein, fotografiert zu werden, entstanden ist. selbst, wenn es nur ein seltener, vermeintlich untypischer moment gewesen sein sollte. auch in jeder pose zeigt sich wahrheit. ich liebe es zu sehen, was jemand sein könnte - oder meint, sein zu können. ich finde das ungeheuer spannend.

unsere blicke atmen. sie können treffen, berühren. oder langweilen. spontane aggression auslösen. hass. zuneigung, erregung, vertrautheit, verachtung, ablehnung, liebe, krieg.

die art, wie jemand den kopf hält, eine hand, schreibt ein buch darüber, welcher natur die energien sind, die in ihm wohnen, pulsieren. und - ob wir uns vorstellen könnten, diesen menschen zu mögen oder nicht.

ob es häufiger die ablehnung der eigenen verkörperten wahrheit ist oder eher eine form von diskretion, darauf zu verzichten?

ich wünschte mir, dass all die selbstverständlichen digicams viel öfter dazu benutzt würden, dass wir uns gegenseitig bilder von uns zeigen, ohne die befürchtung, unanständig eitel dabei zu wirken. das sind wir ohnehin. es gibt beweise.

und übrigens: das macht nichts.

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