05. November 2015



Hatte lange keine Lust, das Haus zu verlassen, meine Wohnung. Bis Ina auf fb kurz fragte, ob wir uns sehen, sie würde sich darüber freuen. Samstag, 30. Oktober 2015. Oder war das Freitag. Ja. Ich glaube ja. Ja, das war Freitag. Ich zog mir etwas Unspektakuläres an. Schwarz von Kopf bis Fuß. Nur den Gürtel aus diesem recycelten Zahnrad und dem zugeschnittenen Fahrradschlauch. Schwarzweißer Mantel. Viertel vor zehn bei Carpentier. Ich sage zu Manfred, ich käme auf ein akademisches Viertelstündchen. Sah Ina gleich im Durchgang mit ihrem alten Verehrer, dem Frauenarzt. Ich solle mir einen Eindruck der Bilder verschaffen, und ihr sagen, was ich davon halte, sie sei gespannt. Ein Teil meiner Antwort lautete "irrelevant". Ich ging noch ein bißchen ins Detail. Das war mir alles zu tot, ausdruckslos. Inflationäre Spielerei mit analogen Effekten, Doppelbelichtungen, dekorative Schleier und Muster über und hinter Frauengesichtern, Close ups, aber trotzdem keine spürbare Nähe. Null. Am Reißbrett entwickelt und abgearbeitet. Nach tatsächlich nur einer Viertelstunde fragte Jan im Vorbeigehen, ob ich mit ihm und Ina mitkommen würde, sie wollten etwas essen, bei einem Thailänder. Ich mag thailändisches Essen. Und die Gesellschaft der beiden. Lieber als Herumstehen und trinken und feststellen, dass kein Wunder geschieht, was das Publikum angeht. Um diese spätere Zeit finden sich keine neuen Gäste mehr ein, sehr selten. Wir gingen zur Kantstraße, ein neueres Lokal, so zwischen Savignyplatz und Fasanenstr. Alles war irgendwie grün. Schilfgrün, lindgrün. Die loungeartig eingebauten, grün gepolsterten Sitzbänke. Stylish. Nur das thailändische Paar, das das Lokal betreibt war noch da. Auf der Tageskarte stand ganz oben "Grünes Curry". Warum nicht. Ina und Jan nahmen zwei unterschiedliche andere Gerichte. Wir waren die einzigen und auch die letzten Gäste, die bewirtet wurden. Das Essen kam sehr schnell und auch unsere Biere. Alles sehr gepflegt, sehr schönes Geschirr, in dem die Speisen serviert wurden, frei von jeder Folklore, formschön, weißes Porzellan in besonderen Formen, sehr schwungvoll aber doch schlicht gehalten. Mein Essen sah aus wie ein Haufen Salat mit ein bißchen Reis auf der Seite, ich war etwas enttäuscht. Ich dachte, da wäre Huhn drin und alles mögliche an Gemüse. Als ich zu essen begann, war ich mit jedem Bissen überraschter. Unter dem vermeintlichen Salathaufen waren so viele köstliche Stücke, auch Huhn und Gemüse in einer wunderbar schmeckenden sahnigen Soße, wahrscheinlich mit Kokosmilch. Es war ein einziger Genuß. Wir unterhielten uns beim Essen und unterbrachen uns zum Teil.



Jan sagte einmal, er fände es gut, wenn Ina und ich uns unterhielten, er würde das sehr interessant finden, was wir uns zu erzählen hätten. Dann erzählten wir und er hatte auch eine Anmerkung und kam ins Plaudern und wollte nicht unterbrochen werden. Ich fand es beinah komisch, weil er uns erst aufgefordert hatte, dass wir uns miteinander unterhalten sollten, Ina und ich, und als wir seinen Redefluss mit Anmerkungen und Einlassungen unterbrachen, wurde er ein bißchen zickig. Eigentlich fand ich es lustig, dass jeder so furchtbar dringend etwas erzählen wollte. Und tatsächlich fanden wir auch alle alles mehr oder weniger interessant genug. Es hat sich dann justiert. Jan erzählte, dass er Ai Weiwei treffen wird, weil eine Freundin, die Maskenbildnerin ist, ihn zu einer Aufzeichnung mitnimmt, wo sie ihn schminken muss, vor allem abpudern. Die thailändischen Gastgeber warfen uns freundlich raus, es war schon spät, sie wollten ihren Feierabend, sicher mehr als wohlverdient. Wir gingen ein paar Häuser weiter, nach rechts, zur Paris Bar, wo wir einen kleinen Tisch fanden und noch ein bißchen weitertranken. Angejahrtes Publikum. Ein bißchen unsexy, zu gesettelt, zu satt. Auf eine hochkultivierte Art ein bißchen spießig. Da fehlt die Schaufel Dreck. Aber immer wieder schön, die vielen Bilder an den Wänden. Ich erzählte Ina, dass ich an Silvester, das ich sonst nicht auswärts begehe, im Radialsystem sein werde, bei den Neubauten. Eine eher unkarnevaleske Art zu feiern. Nicht so hysterisch, nehme ich an. Ina fand es interessant und ich versprach ihr, noch in der Nacht ein Ticket für sie zu ordern. Was ich auch tat. Hat doch gut getan, sich aufzurappeln, vor die Tür zu gehen, am dreißigsten Oktober 2015

27. Oktober 2015

Vielleicht steckt in mir doch eine Medizinerin. Ich meine nicht Heilpraktikerin, sondern: Chefärztin. Leitende Position in der Berlin Ultrahigh Field Facility. B.U.F.F. Schon alleine die Abkürzung. Passt auch in eine der Sprechblasen im Inneren. An den Wänden des Kubus, auf allen Stockwerken, befinden sich riesige Cartoons, in der Tradition von Clark Kent. Alleine wegen dieses Comic Strips hat es sich gelohnt, sich als Probandin für eine Ganzkörper-Magnetresonanz-Tomographie der NaKo zur Verfügung zu stellen.



Aber eins nach dem andern, zum rekapitulieren. Die NaKo ("Nationale Kohorte") hatte mich und noch 9.999 andere Berliner/innen per Zufallsgenerator ausgewählt, um in einer Langzeitstudie, die vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben wurde, über einen Zeitraum von dreissig Jahren (oder auch länger) in fünfvier-Jahres-Abständen mit allen erdenklichen modernen Technologien und Tests und Befragungen, die körperliche und psychische Verfassung, Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu dokumentieren, zu untersuchen, und anhand der Datenfülle Rückschlüsse auf mögliche Ursachen von Volkskrankheiten oder eben Volksgesundheiten abzuleiten. Man hat mich zunächst Ende August sechs Stunden lang in der Charité einer Reihe von Tests unterzogen, alle möglichen Flüssigkeiten abgezapft, ich musste Denkspielchen machen, Gedächtnis- und Belastungstests, noch dazu an einem sehr heißen Hochsommertag in unklimatisierten Räumen. Und drei Tage später hatte ich einen Termin für ein Ganzkörper-MRT, das zweitausend der zehntausend Berliner bekommen, sogenannte Level-2-Probanden. Es kämen nicht alle zehntausend in Frage, da man diese Untersuchung nicht jedem zumuten kann. Man wurde befragt, ob man sich in der Lage sieht, eine ganze Stunde lang komplett regungslos in einer Liegeposition zu verharren. Da keine Stimmungsaufheller oder andere Psychopharmaka bei dieser Studie in Frage kommen, schieden Probanden mit Platzangst von vorneherein aus. Ebenso Personen mit Tätowierungen (wegen des unwägbaren Metallanteils in den Farbpigmenten), Piercings und metallhaltigen Prothesen. Außerdem war Glitzer-Make up ausdrücklich untersagt. Letzeres hätte in meinem Fall der einzige Hinderungsgrund sein können, aber ich dachte, es ist schon einmal machbar, im Dienste der Forschung für ein bis drei Stunden auf das übliche Glitzer-Make up zu verzichten. Selbst auf die Gefahr hin, dass mich keiner mehr auf den Fotos erkennt. Ich hatte natürlich geplant, ausführlichst zu fotografieren. Leider enthält meine Kamera aber Metall-Elemente und musste deswegen in der Umzieh-Kabine bleiben. Ich konnte den Kubus auch nicht so ohne weiteres durch eine offene Tür betreten. Überall waren Warnschilder, auf einem stand gefährlich MAGNETOM! Es war schon ein bißchen Science Fiction-mäßig.




Aber genau das hatte ich mir ja insgeheim erhofft. Ich hege aus einer Art allgemeiner Neugier Sympathie für futuristische Apparate und Hochtechnologie, die uns ja letzen Endes auch ermöglicht, hier im Internet herumzugurken. Ich klingelte an einer Metall-Säule bei "Nationale Kohorte" und eine Stimme meldete sich. Ich gab an, dass ich einen Termin als Level-2-Probandin habe, um 15:30 Uhr. Die weibliche Stimme sagte, ich werde abgeholt. Eine Assistentin kam aus dem Kubus und bat mich durch den Eingang, ihr zu folgen. Ich sah im Treppenaufgang als erstes den schwebenden Clark Kent und war schon sehr fasziniert. Wir fuhren ins Obergeschoss des Würfels und ich wurde ungefähr eine halbe Stunde lang aufgeklärt, was mit mir gemacht wird, und zu Erkrankungen und Operationen und Metallteilen und Tattoos befragt. Ich wiederum fragte nach Stimmungsaufhellern und dem Musikprogramm. Der Mitarbeiter war sehr amüsiert und eröffnete mir, dass er mich nach Hause schicken müsste, wenn ich der Meinung sei, ich bräuchte für diese Untersuchung im Dienste der Forschung Stimmungsaufheller, weil ich sonst unter Angstzuständen litte. Wenn dem so sei, käme ich nicht in Frage. Da ich aber offensichtlich gar nicht vorgab, ernsthafte Ängste zu haben, gab es keinen Grund für mich, das zu behaupten. Ich war ja auch viel zu neugierig auf den Apparat. Es entspann sich noch eine Diskussion darum, ob ich nicht doch ein kleines Foto machen könnte, von dem beeindruckenden Gerät, in dem ich verschwinden würde, bevor es losginge. Für mein Blog hier, ich hätte es doch meinen Lesern versprochen etc. pp. und wie stünde ich nun da, wenn ich mit leeren Händen zurückkäme, meine Glaubwürdigkeit wäre dahin. Aber er blieb knallhart. Im Übrigen hatte er zwei Piercings am Ohr. Ich wurde stutzig. Wird hier etwa mit zweierlei Maß gemessen? Angeblich keine Metallteile beim Magnetom und er darf doch so hinein? Das wären Aluminium-Piercings klärte er mich auf, Aluminium wäre kein Problem. Also ich kam nicht weiter in der Fotosache. Nun gut. Ich wurde mit einer weißen Kluft und weißen Schlappen in die Umziehkabine entlassen. Dort habe ich (allerdings erst danach) ein paar Fotos gemacht. Man sieht nur eine weiße Zelle mit einem Spiegel. In dem weißen Anzug sah ich eigentlich aus wie die Chefärztin, also auf jeden Fall professioneller als die Mitarbeiter der B.U.F.F, die nicht einmal weiß gekleidet waren. Ich sagte zu dem jungen Mann, der die Untersuchung steuern würde: "Ich finde, ich sehe aus, als würde ich hier arbeiten oder?" Er meinte in etwa "Ja, absolut, soll ich Frau Doktor sagen?".



"Ja, gerne!". Aber die ganzen Witzeleien nützten nichts. Ich fragte noch mal, ob ich nicht doch vielleicht ein Foto, nur so durch die offene Tür...? "Nein. Müssen Sie dann eben Ihren Lesern beschreiben!" Ich bekam Ohrstöpsel und einen Kopfhörer. Aber nicht für Musikberieselung, sondern für das Empfangen von Befehlen, die man mir geben würde. Atembefehle, um genau zu sein. Wenn Musik laufen würde, könnte ich die Kommandos überhören, daher, nicht wahr. Ich rechnete mit dem schlimmsten Krawall, denn meine Leser hatten mich ja bereits vorgewarnt und ich hatte zur Vorbereitung auch schon nervige youtube-Videos angeschaut und vor allem angehört. Fürchterliches Gehämmer und Gefiepe, ohne Unterlass. Damit rechnete ich nun. Aber es kam doch sehr viel anders. meine Gliedmaßen wurden noch einmal in Position gerückt, ich lag flach auf dem Rücken, unter den Kniekehlen waren Polster zur Positionierung. Dann wurden an der Brust und am Kopf irgendwelche Drähte und Sensoren angelegt und zuguterletzt so eine Art Gitterhelm über meinen Kopf gelegt. Das war schon recht Doktor-Frankenstein-mäßig futuristisch. Ab und zu hat es schon mal gesummt. Man teilte mir mit, dass ich die Augen schließen könnte oder auch sollte und dann wieder konnte ich es halten, wie ich wollte. Ich wurde rückwärts komplett in die Röhre gefahren und hatte die Augen mal so ein bißchen blinzelnd auf, als ich gerade wieder durfte, und sah ein Farbenspiel über mir in allen Spektralfarben, eine ganze Weile war es so rosa-pink, sehr hübsch. Wie man sich das bei Farbtherapie-Bestrahlung vorstellt. Dann sollte ich die Augen wieder schließen und die ersten Scan-Geräusche fingen an. Es waren ganz viele unterschiedliche Töne und die ersten fünf Minuten gab es noch keine Atemkommandos. Ich hatte weder Angst noch Beklemmungen, rechnete allerdings dauernd damit, dass noch ganz schlimmes Hämmern oder dergleichen käme, das war aber nur manchmal vereinzelt der Fall. Es gab ziemlich viele Pausen zwischen den Tönen, manchmal über einen Zeitraum von bis zu zehn, fünfzehn Sekunden überhaupt keine Geräusche. Es war also gut auszuhalten. Die Liegeposition war auch o.k. Noch. Dann begannen die Kommandos von einer Frauenstimme über Kopfhörer, ich wurde aufgefordert, einen möglichst langen, tiefen Atemzug zu nehmen, dann wieder möglichst lange auszuatmen, dann die Luft anzuhalten. Und so weiter und so fort. Dann wieder umgekehrt. Dann war wieder ein paar Minuten das Scan-Geräusch, dann wieder Kommandos. Der Rhythmus war recht unberechenbar, man wusste nicht, wann das nächste Kommando-Intervall kommt und wieviele. Also konnte ich nicht einfach wegdämmern und ein Nickerchen machen. Die Geräusche waren weiterhin sehr erträglich, überwiegend ganz leichtes Tackern und Summen, aber nichts, was so unangenehm gewesen wäre, wie ein Presslufthammergeräusch oder quietschende Tafel-Kreide oder eine Alarm-Sirene. Die Auto-Alarmanlagen, die manchmal bei mir mitten in der Nacht in der Nachbarschaft zu tröten anfangen, sind weitaus unangenehmer, als die Geräuschpalette von diesem MRT-Apparat. Aber da gibt es sicher auch Unterschiede. Ich war ja immerhin in der BERLIN ULTRAHIGH FIELD FACILITY! Mich beeindruckt der Name so dermaßen, ich kann ihn gar nicht oft genug tippen. Nach ungefähr einer halben Stunde sagte mir der Untersuchungsleiter über Kopfhörer, dass ich jetzt die Hälfte überstanden hätte und es sähe schon alles sehr gut aus, wir kämen gut voran! Von da an zählte ich schon ein bißchen die Minuten, aber ich musste weiter aufmerksam mitarbeiten. Es war schon auch Arbeit. Aber so in den letzten zwanzig Minuten war ich noch einmal besonders gefordert. Mir schlief nämlich mein linker Fuß, besonders im Bereich der Zehen ein, es bizzelte schon so komisch, wie kleine Stecknadeln, der Fuß wollte Bewegung, nur ein bißchen rotieren, nur ein ganz kleines bißchen. Aber ich durfte ja nicht. Dann hätte unterbrochen werden müssen, und an einer bestimmten Stelle wieder von vorne und dann hätte alles womöglich noch eine halbe Stunde länger gedauert. Ich wollte es nur zu Ende bringen und versuchte mit meinem Fuß und dem dort befindlichen Blutkreislauf zu kommunizieren. Nun gab auch ich Kommandos. Natürlich ohne Worte. Ich befahl meinen fünf Zehen und dem vorderen Fußballen bitte noch durchzuhalten, es wäre ja nun bald vorbei und dann könnten sie sich bewegen, wie nie zuvor in ihrem ganzen Leben. Ich versuchte innerlich eine Art Bewegung im Fuß zu simulieren, indem ich partielle Muskelanspannung in den Zehen betrieb und gleichzeitig Bewegung vermied. Ein Kraftakt. Unglaublich. Ich versuchte dann wieder an etwas ganz anderes zu denken. Schöne Erlebnisse aus der Vergangenheit. Aber dann gab es wieder ein Kommando. Aber so ein Kommando lenkt ja auch ein bißchen ab. Und dann endlich die Erlösung. "Sie haben es geschafft.". Alles bestens. Sehr gut geworden. Ich fuhr aus der Röhre und der Kopfkäfig und die Kabel und Sensoren wurden entfernt. Ich richtete mich langsam wieder auf und ließ die Zehen kreisen, bis wieder Gefühl zu spüren war. Ich erzählte dem Chef-Kommandeur, dass die letzte Viertelstunde echte Arbeit war, wirklich größte Anstrengung, aber ich wollte es nicht versauen. Er hat zugegeben, dass das schon eine außergewöhnlich lange Angelegenheit ist, aber dafür wären die Aufnahmen auch vollständig verwertbar geworden. Ich hatte ja vorher auch noch beklagt, dass ich nicht nur keine Fotos kriege, sondern auch keine DVD wie andere Patienten. Aber ich bin ja eben keine Patientin. Er hat mir das erklärt, dass diese DVDs nur für die weiter behandelnden Ärzte gemacht werden und es sich dabei niemals um ein Ganzkörper-MRT handelt, nur partielle Aufnahmen, eingegrenzte Regionen oder Organe. Bei mir wäre das durch die Ganzkörperdokumentation so eine riesige und komplexe Datenfülle, das könnte man nicht mal eben so brennen und mir mitgeben, abgesehen davon, dass es sich um internes Studienmaterial handelt, das nur für die NaKo bestimmt ist. Aber er könnte mir ausnahmsweise ein paar Einblicke auf seinem Monitor geben. Ich könnte mich einstweilen wieder umziehen und dann zeigt er mir ein paar Sachen. Ich bin doch leicht erschöpft in die Kabine und habe hinter verschlossener Tür ein paar Fotos geschossen, weil ich ja nun auch wusste, andere Aufnahmen dürfte ich gar nicht machen. Wenigstens meinen ultrahigh magnetisierten Zustand und diesen Anzug wollte ich festhalten.



Ich sah ein bißchen verwurstelt aus. Ich machte schnell ein paar Bilder, zog dann schnell meine Sachen an und ging in den Raum, wo er das Datenmaterial auf einem Rechner hatte, er hatte zwei große Monitore vor sich und führte mir meinen Schädel in 3-D vor. Ich fand ihn eigentlich sehr schön, vor allem das Kleinhirn gefiel mir ausnehmend gut, wie ein kleines Bäumchen. So auf den ersten Blick sah es nicht aus, also ob dort irgendein unheimlicher Fleck wäre, der auf irgendetwas zu Operierendes schließen ließe. Aber der technische Versuchsleiter klärte mich auf, dass die abschließenden Auswertungen von einem Ärzteteam gemacht werden, nicht von ihm, er kontrolliert nur die Aufnahme und die Datenverarbeitung, aber er meinte auch beschwichtigend, dass man das schon erkennen würde, wenn da jetzt etwas stark Abnormes wäre. Ich konnte mir dann noch ein paar Körperpartien aussuchen, die ich gucken durfte. Stark hat mich die Wirbelsäule beeindruckt, mit den Bandscheiben und den Fasern, und allem was da so ist, überhaupt, wie knackig so ein Skelett aussieht. Jedenfalls - in meinem Fall - bedeutend knackiger, als wenn ich dieselben Partien auf herkömmlichen Fotos sehe. Es ist schon ein Wunderwerk. Die Gebärmutter hat mich auch interessiert, weil die anders als bei anderen ausschaut und ich sie seit 1986 nicht mehr gesehen habe. Der Assistent war sofort im Bilde, ich hatte ihm aber auch vorher gesagt, dass ich einen Uterus duplex habe, und er meinte noch, angesichts der MRT-Bilder, dass der schon sehr gut ausgeprägt wäre, klar getrennt. Sieht ein bißchen wie ein Herz aus. Na gut, wie auch immer. Es war seltsam bewegend, sich aus dieser inneren Perspektive zu sehen. Diese hochkomplexe Körpermaschine aus Abermillionen Einzelteilen. Ich war dann doch ganz zufrieden, auch ohne Fotos und DVD. So eine MRT-DVD hätte ich ja auch nicht mal eben bei Fllickr oder youtube hochladen können. Ich weiß ja gar nicht, was das für ein Format ist. Als ich nun noch mehr Ecken der Etage gesehen hatte, weil ich unbedingt aufs Klo musste, und noch mehr der tollen Cartoons entdeckte, sprach ich den Mitarbeiter noch mal darauf an, ob ich nicht vielleicht wenigstens von einem der Bilder ein Foto machen könnte...? Nein, leider untersagt, überall, tut ihm ja auch leid. Er erzählte mir aber, dass es die Geschichte von einem Patienten ist, der von einem Magnetresonanz-Tomographen eingesogen und verschluckt wird und was er da dann alles erlebt. Ich versicherte wahrheitsgemäß, dass es mir (trotzdem) Spaß gemacht hat und sehr interessant war. Er verabschiedete mich sehr freundlich mit den Worten "Na, dann sehen wir uns ja wieder in vier Jahren! Bis dann!" Schon komisch, so eine Verabredung in vier Jahren zu haben. Nach unten habe ich dann die Treppe genommen und dann doch ganz schnell heimlich ein einziges Foto von dem fliegenden Clark Kent im Treppenhaus gemacht (ganz ohne Gewissensbisse!)



Und dann bin ich aus dem Würfel herausgegangen. Zur Bushaltestelle, Richtung S-Bahn Berlin Buch, wo ich dann den Spaziergang zwischen Gestrüpp und Pferdekoppel gemacht habe, der Eintrag vorher. Als ich daheim war, kam ich auf die Idee, im Internet zu schauen, ob der Wandcartoon nicht irgendwo dokumentiert ist, es ist ja keine beliebige Tapete. Und ich fand die Seite des Künstlers mit einer Dokumentation dieses ganzen Projektes mit sehr schönen Fotos. So gut hätte ich das auf die Schnelle gar nicht fotografieren können. Und natürlich gibt es auch Bilder von dem Apparat, wo ich drin war, auf verschiedenen Seiten der B.U.F.F mit vielen zusätzlichen Informationen. Ich hatte mich natürlich auch erkundigt, inwieweit ich eine Auswertung bekommen würde, bzw. ob überhaupt, von diesem Ganzkörper-MRT. Man hat mir gesagt, wenn bei der Auswertung, die unmittelbar in den darauffolgenden Tagen stattfindet, ein Befund zutage tritt, eine Unregelmäßigkeit, die näher untersucht werden sollte oder einer ärztlichen Behandlung bedürfte, würde man angerufen werden und den Befund auch per Post mitgeteilt bekommen. Das ist in einigen - selteneren - Fällen auch schon geschehen. In zwei hatten Level-2-Probanden unverzüglich, wenige Stunden nach dem MRT, eine jeweils lebensrettende Operation. Wenn alles normal aussieht, bekommt man keinen Anruf und keine Post. Wenn Post kommt, dann sehr bald, ca. drei Tage danach. Ich habe die drei Tage überstanden, kein Anruf. Und noch mehr Tage. Keine Post von der B.U.F.F. Nur die Gesamtauswertung mit allen möglichen Werten der Charité, von der Untersuchung davor, der sechsstündigen. Alles soweit in Ordnung. Die Details sind wohl eher für Mediziner interessant, die ganzen Fachausdrücke, da braucht man ja ein Lexikon. Ich habe ganz viel gegoogelt, weil ich nur die wenigstens Werte auf Anhieb verstanden habe. Die Leberwerte sind seltsamerweise sogar eher im unteren Bereich. Darauf einen Toast.

25. Oktober 2015








Dritter September 2015. Nach der Ganzkörper-Magnetresonanz-Tomographie. Ich kam aus einem Gebäude in Berlin Buch, einem Kubus mit starker magnetischer Strahlung, der "Berlin Ultrahigh Field Faciltiy" (ein paar wenige Aufnahmen davon ein andermal). Weil auf dieser Strecke am Rande von Berlin keine S-Bahn parallel Richtung Mitte unterwegs ist, muss man länger warten, als an Haltestellen in der Innenstadt. Ich erinnerte mich, dass Zucker erwähnt hatte, dass es eine Kuhwiese hinter der S-Bahn gibt. Ich mag Kühe sehr gerne und wollte Aussschau danach halten. Ich fand eine Pferdekoppel und wildes Gestrüpp in der Abendsonne.



Es war so gegen achtzehn Uhr. Ich fragte den Mann, der auf der Koppel zwischen ein paar Hühnern herumwirtschaftete, nach der Kuhwiese, er zeigte mir die Richtung, und meinte, dass es sicher noch ein Spaziergang von einer Viertelstunde wäre. Das war mir zu lang, bei dem schwindenden Licht. Ich freute mich an dem Szenario, verlor beim Stapfen durchs hohe Gras meine Sonnenbrille, als ich mich nach irgendetwas bückte... nach einer Blume vielleicht, einem blauen Natternkopf, die ich nur näher betrachten wollte. Ich entdeckte wilde, gelbe, reife Kürbisse und pflückte einen kleinen und einen kindskopfgroßen. Da fiel mir die fehlende Sonnenbrille auf. Ich ging genau den Weg zurück durch das hohe Gras, ich fand sie und ging zurück zur nahen S-Bahn, die auch gleich kam. Ich war ein bißchen ruhebedürftig, weil ich eine ganze Stunde lang völlig regungslos liegen musste und dabei Atemkommandos befolgen, was keine erholsame Angelegenheit war. Ich bekam danach keinen Anruf und keine Post von der Berlin Ultrahigh Field Facility. Was das nur erdenklich gute Ergebnis war.

22. Oktober 2015

Herrlich. Mag angehen, dass ich nicht mehr ganz nüchtern bin, aber nichtsdestoweniger:

herrlich

Ich sag mal so: Vicco von Bülow und Helmut Fischer. Und natürlich der Dings -

19. Oktober 2015

"(...) Ich schreibe nicht, um zu sagen, was ich denke, sondern um zu erfahren, was ich weiß" (Autor unbekannt). Jedes Wort stimmt. Denn der Akt des Schreibens ist wie Tiefseetauchen. Um in der Tiefe (des Unbewussten, des Intuitiven) auf Neuland zu stoßen: auf das, was - bisher - in einem verborgen war.

Andreas Altmann. Frauen.Geschichten

19. Oktober 2015





In der letzten Woche vom August lebte dieser mein Selbstvergewisserungs-Impuls wieder auf, der sich in den letzten zwei, drei Jahren beruhigt hat. (Nun auch wieder). Aber diese letzten Tage vor diesem runden, fünfzigsten Geburtstag schienen mir angemessen. Zeit hatte ich auch. Selten habe ich Muße, durchs Lafayette zu spazieren, in aller Ruhe, als gäbe es nichts Anderes, nichts Wichtigeres, nichts Interessanteres. Ich mag Luxuskaufhäuser, kostspielige Auslagen, mit viel Liebe zum kleinsten Detail ausstaffierte Schaufenster und Vitrinen. Ich hatte Lust ins Lafayette zu gehen, mit aller Zeit der Welt, mit Hingabe und Interesse und Respekt, wie man eine hochkarätige Kunstausstellung besucht. Ich sehe das auf gleicher Ebene. Für mich sind hochwertige Produkte, mit denen wir uns kleiden, einbalsamieren, schmücken, die wir uns einverleiben, eine Kunstform. Dinge, die eine starke emotionale Kraft haben, ich finde es sogar magisch, alchimistisch, in welche Zustände ein großartiger Wein einen versetzen kann. Das sind Seelenzustände, die durch Einwirkung auf unsere Materie manipuliert werden. Auf andere Ebenen katapultiert. Das vermag auch elektrisierend schöne Kleidung. Wenn wir uns erlesen kleiden, werden wir bildende Künstler an uns selbst. Ich weiß nicht, ob ich meine Kamera dabei hatte. Ich glaube es gar nicht. Ich wusste, dass ich Ausschau nach Blanquette de Limoux halten wollte, im Untergeschoss, einem Schaumwein aus dem Languedoc, der für meinen Geschmack mehr Potenzial in Richtung Champagner hat als Crémant. Ich muss das noch genauer eruieren, ich trinke mich da systematisch durch. Bislang spricht alles dafür. Zum Lafayette zu kommen, ist von mir aus am einfachsten, wenn ich mit der U-Bahn vom Oranienburger Tor bis Französische Straße fahre, und da ist es auch schon. Auf der Straßenebene, wo es Kosmetik und Parfum und Taschen und Schuhe und Gürtel und Tücher und Hüte und Schals gibt, ging ich, ohne etwas zu suchen, auch durch die Auslagen mit Schmuck, sehr schönem Modeschmuck. Sehr fein gearbeitete Preziosen, die nicht unbedingt aus hochkarätigem Gold oder Silber sind, aber dennoch als Kunsthandwerk einen eigenständigen hohen Wert besitzen. ich entdeckte Halsschmuck in einer Vitrine von langani. ich ließ die Vitrine mit dem Schlüssel öffnen und hielt mir eine Preziose vor einem Spiegel an den Hals und war schon entschieden. Und noch ein zweites Exemplar. Selten kaufe ich Schmuck, sehr selten. Alle Jubeljahre. Es war ja ein Jubeljahr. Ich beschloss, das wird ein Nachmittag, an dem ich mir Geburtstagsgeschenke schenke. Dann fuhr ich mit der Rolltreppe nach oben, wo es Kleidung gibt. Und ziemlich viel Personal im Vergleich zur Kundenfrequenz. Kaum war ich oben, fiel mir an der hintersten Wand eines Bereiches ein animalisches Muster an einem Mantel auf. Er hing zur Präsentation auf einem Bügel, es gab keine weiteren Exemplare. Ich hoffte sehr, dass mir die Größe passen würde, ich war sofort verliebt. Ganze Filme löste dieses Muster und die Silhouette in mir aus. Ich nahm ihn selbst von der Wand und veschwand in der Kabine, ganz aufgeregt. Der Preis war mir nachrangig. Ein Exponat, das ich in meiner Sammlung haben möchte, mein Leben lang. ich probierte ihn an. Und ich fand ihn für mich gemacht. Das ist keineswegs immer so, dass ich etwas auf dem Bügel sehe und anprobiere und es mir ebenso gefällt. Er war nicht heruntergesetzt, ein neues Modell offenbar, und doch nur eines da. Es war immerhin noch ein Preis im dreistelligen Bereich, nicht einmal fünfhundert Euro. Ich kaufe doch sowieso viel weniger als alle anderen. Das wäre mein kostspieligstes Geschenk, das ich mir mache. Es war eine Freude, Geld dafür auszugeben. Die Damen vom Verkauf überzeugten mich, dass die Kundenkarte vom Lafayette doch noch einen beträchtlichen Nachlass bringen würde, zwanzig Prozent, für diesen ersten Einkauf damit. Ich musste nicht einmal umständlich ein Formular ausfüllen, alles haben die Damen gemacht, sehr charmant und zuvorkommend. Mit der Karte habe ich dann im Untergeschoss zwei Sorten Blanquette de Limoux gekauft, die erhielt ich mit der Karte auch günstiger. Ich verließ das Lafayette durch das Untergeschoss, diese schöne Passage zum Quartier 206 mit dem Art Déco-inspirierten Bodenmosaik aus schwarzem und weißen Marmor, über das zu laufen, mir jedes mal ein sakrales Gefühl verursacht. Es ist erhebend, der Gang durch eine Kathedrale. Damit war das für mich ein Tag mit einem erfüllenden Erlebnis. Der Gottesdienst bestand nicht in profanem Konsum, sondern in hingebungsvoller Würdigung der Kunst, irdische Materialien in Vollendung in eine Form zu fassen, die einen göttlichen Aspekt mit irdischem Sensorium erlebbar macht.




Auf diesen Bildern trage ich nichts von den erstanden Dingen, denn sie entstanden ja davor. Aber ich verbinde auch mit diesen Dingen persönliche Geschichte und Erinnerungen. Die Tasche mit dem Leopardenfell(imitat) begleitete mich 1995 Tag für Tag, auch bei einer Reise nach Paris und sie ist fast auf jedem Foto dieser Reise zu sehen, ich habe sie seit vielen Jahren nicht mehr benutzt, hüte sie aber, und alle Erinnerungen, die damit verbunden sind. Bei dem massiven, goldenen Anhänger, den man für einen Thorshammer halten könnte, der jedoch die Replik eines aztekischen Opfermessers ist, handelt es sich um die Kopie eines Exponats aus dem Museo del Oro in Bogotá, das ich nie sah, doch in Jugendjahren war ich vom Gold der Azteken und Inkas fasziniert, und später hatte ich einen kolumbianischen Liebhaber, der mir diese Kultur noch auf andere Weise näher brachte. Er war sehr an den Mythologien unserer Welt interessiert, nicht nur seiner Herkunftskultur, eine seiner Bibeln war "Die weiße Göttin" von Ranke-Graves, die er mir auch zum Geburtstag mit einer sehr schönen Widmung überreichte. Wir waren gemeinsam in jener Ausstellung in Berlin auf der Museumsinsel, in der es viele Leihgaben aus dem großen Goldmuseum seiner Heimatstadt gab. Das ist sehr lange her. Etwa Anfang, Mitte der Neunziger Jahre.



Die Schuhe sind noch nicht annähernd so betagt, aber sie haben bereits einen besonderen Wert, weil sie eine besondere Anfertigung sind, da es im Handel solche Schuhe nicht so leicht zu finden gibt, zumal nicht für meine Größe. Es ist selten, dass ein italienischer Hersteller ein Modell für meine Maße produziert. Ich liebe Schuhe aus Lackleder, und diese Schnürschuhe mit der farblich abgesetzen Ledersohle sind besonders fein gearbeitet.



Es sind Dinge fürs Leben.

17. Oktober 2015

No. 8

(unerfragte Acht/7)

NUR ZUR ERINNERUNG

Quartär --- Tertiär --- Kreide --- Jura --- Trias --- Perm --- Karbon --- Devon --- Silur --- Ordovizium --- Kambrium --- Proterozoikum --- Archaikum

Hinter den Zähnen, zwischen den Lippen,
Die Zunge küsst hervor das Wort
Als Dreh-, Mittel-, Angelpunkt
Nur zur Erinnerung

Alles muss zurück auf Anfang
Nur zur Erinnerung
Alles muss zurück auf Anfang
Nur zur Erinnerung
Alles muss wieder haut- und haargenau porentief zurück
In die alte Ordnung
Die Ordnung vor der Ordnung
Die tobende warme Ordnung

Ich setz' mich zusammen aus Sekundärrohstoffen
Wiederverwertbarem Staub
Zusammengeklaubt aus den Zwischenräumen
Langgereister Staub

Ich setz mich zusammen aus zerstörten Sternen
Linke Hände und das Herz
Aus dem Gold geplatzter Sonnen
Interstellarem Erz

Ich singe das Wort, weit weit weg
Manchmal sogar unbemannt
Manchmal tritt es ein im spitzen Winkel
Verglüht nicht, landet unverbrannt

Alles muss zurück auf Anfang
Nur zur Erinnerung
Alles muss zurück auf Anfang
Nur zur Erinnerung
Alles muss wieder haut- und haargenau porentief zurück
In die alte Ordnung
Die Ordnung vor der Ordnung
Vor, vor, vor, der Ordnung

Ich setz mich neu zusammen
Aus intergalaktischem Müll
Aus verworfenen Ideen
Am billigem, teuren Make-Up
Meinetwegen neonfarbenem Tüll

Den Spiegel zerbrochen
Ohne Vorbild, ungestalt
Die Augen geschlossen
Kein Nachbild mehr
Kein Tod mehr an der Arbeit

Ja.

Blixa Bargeld 2013

17. Oktober 2015

Vielleicht doch häufiger Einträge. Ich mag das, wenn gute Schreiber in zeitlicher Dichte posten. Wenn das Potenzial da ist, nehme ich immer eine Zeile oder auch nur eine halbe mit, die mich inspiriert. Spielt keine Rolle, wieviel unveröffentlichtes Bildmaterial auf meiner Festplatte schlummert. Kann sowieso nicht in drei Tagen bewältigt werden. Hingabe ist entscheidend. Nicht etwas aufgreifen, zu dem man gerade nicht die große Liebe hat. Wobei die Liebe manchmal auch mit der Beschäftigung kommt, der Konzentration auf eine Sache. Ich lasse das noch ein bißchen ruhen. Es kommt, wie es kommt, wie es sich bemerkbar macht, nach vorne drängt. In den vergangenen vier Wochen traf ich zweimal auf Vera von Lehndorff. Dabei sind viele Aufnahmen entstanden. Die sie auch gesehen hat. Und mochte. Sogar sehr. Aber das erfuhr ich nicht von ihr selbst, sondern von Holger Trülzsch, ihrem Lebensfreund, der mir vor einer Woche erzählte, dass sie ihm davon erzählte. Freute mich sehr, natürlich. Zumal sie sehr umfangreich in der Reihe zu sehen ist und dafür bekannt ist, dass sie es zwar hinnimmt, bei öffentlichen Gelegenheiten abgelichtet zu werden, sich aber sehr bedeckt hält, wenn sie jemand exclusiv treffen möchte, um sie zu fotografieren. Was mich aber auch nicht so sehr wundert. Mir ginge es ähnlich. Ach was - mir geht es ähnlich. Nur dass ich keine vergleichbare legendäre Historie habe, von den größten Fotografen aller Zeiten eingefangen worden zu sein. Ich wollte gar nicht über Vera Lehndorff schreiben. Fange ich einmal an, gehen sie durch die Gedanken, die Inspirationsfragmente. Was einem so unterschwellig unterläuft. Der immerwährende Subtext des Gedankenstroms. Ich bin ein wenig scheu, jeden Gedankenfetzen, der ein bißchen schillert, zu posten. Oft sind sie auch flüchtig, diese Erscheinungen. So oft beobachte ich Kleinigkeiten in der S-Bahn oder beim Einkaufen. Ich neige zu einer etwas lakonischen Betrachtungsweise der Dinge. Und ich will eigentlich gar nicht so gerne Lakonisches lesen. Das nutzt sich auch ab. Es ist ein bißchen Mode geworden. Wahrscheinlich macht es die richtige Mischung. Ich bin nicht aus Kalkül lakonisch, es ist eher impulsiv. Charakterimmanent. Oder lebensalterbedingt? Ich weiß es nicht genau. Als Mode nutzt es sich jedenfalls ab. Man darf es nicht instrumentalisieren, dann droht Inflation und Langeweile. Mir ging ganz etwas anderes durch den Kopf, als ich gerade zu tippen anfing. Nämlich: ich erinnere ein paar deutliche Bilder aus einem Traum von gestern oder vorgestern. Und immer wenn Bilder sehr deutlich sind, sehr plastisch und gar nicht so sehr phantastisch, sondern nur ein bißchen, bleiben sie mir scheinbar eher haften. Ich habe hier zuhause von der Buchpremiere neulich, von Bov, noch zwei weitere Exemplare des Buches, außer meinem eigenen. Ich würde die gerne weitergeben, verschenken, an jemanden, den es interessiert, der neugierig ist. Ich mailte deshalb kid37 an die mir bekannte Mailadresse, über die wir uns seit Jahr und Tag zum Geburtstag gratulieren und manchmal ein paar persönlichere Zeilen wechseln, fragte ihn, ob er daran Interesse hätte. Ich schob noch eine Mail hinterher, dass es natürlich gratis wäre, also kein Verkaufsangebot, das hatte ich nicht so klar formuliert, in der ersten Mitteilung. Das war vor etwa vier Tagen. Schon sehr ungewöhnlich, über diesen Zeitraum so gar keine Reaktion zu erhalten. Ich begann ein wenig zu grübeln. Ob die Zeiten vorbei sind, wo er diese Mail-Adresse täglich nach Eingängen prüft? (Er hat noch eine andere) Oder ob ich im Spam-Filter gelandet bin? So existenziell wichtig ist es dann auch wieder nicht, dass ich deswegen in Hamburg anrufen würde. Wir telefonieren äußerst selten. Aber dann träumte ich vor etwa zwei Tagen, dass ich mit ihm kommunizierte, ich weiß nicht, ob wir sprachen oder mailten oder skypten (ich skype nicht, weiß aber was das ist). Jedenfalls gab ich ihm noch einmal zur Kenntnis, dass ich ein, zwei Exemplare zu vergeben hätte. Seine Antwort bestand darin, dass er mir die Möglichkeit eröffnete, über ein visuelles Fenster Einblick in seine Wohnung zu nehmen, und nicht nur IN die Wohnung, insbesondere das Wohnzimmer, sondern auch auf den Ausblick aus dem Fenster. Ich erinnerte mich im Traum, dass wir den ja teilweise schon kannten, und dass seine Wohnung in Hamburg am Fluss liegt, ganz nah am Wasser, wo er Boote sehen kann, Ufergestrüpp und etwas, das aussieht wie Schrebergärten. So meine ich es zu erinnern. Jedenfalls öffnete sich ein elliptisch geformter Fokus innerhalb des Bildes, mit weichgezeichneten Rändern, so ähnlich, wie wenn man durch ein Fernglas sieht, und im Fokus erschien eine Hütte, ein Häuschen. Mit Holz verkleidet, wettergegerbt, eine dunkle Hütte. Und kid37 meinte: "Siehst du das? Ich wohne hundert Meter Luftlinie davon entfernt, ich sehe es jeden Tag aus dem Wohnzimmer, warum soll ich da noch ein Buch darüber lesen? Ich habe es dauernd vor der Nase, jeden Tag, ständig!" Und ich: "Ach...! Da bei dir in Hamburg ist das Auerhaus? Das ist ja wirklich sehr nah." Kid37: "Eben!" Ich verstand natürlich sofort, dass er damit als Adresse für meine zu verschenkenden (übrigens signierten) Exemplare ausfiel. Die Traum-Kamera machte noch einen Schwenk durch sein Wohnzimmer, das mich sehr überraschte. Nicht weil es so durchgestylt war, sondern weil ich gewisse Arrangements so nicht erwartet hätte. Es war ein sehr großer Wohnraum, der etwas dachgeschossartiges hatte. Ich weiß nicht, ob dort schräge Wände sind, aber das Gefühl war so heimelig, wie ich es mit solchen Räumen verbinde. Ich wohne ja selber unter schrägen Wänden. Ich glaube, der Boden war mit Sisal bespannt und es gab kleine Inseln mit Bodenkissen und Tabletts. Besonders ein Tablett fiel mir auf. Ich überlegte, ob ich es ihm überlassen hätte, mir kam es so bekannt vor, aus Schilfblättern geflochten, rechteckig, darauf sehr schöne, sehr polierte Kristallgläser für Wein. Zwei. Sehr einladend. Alles sehr gepflegt. Man hätte sofort ein Fotoshooting machen können. Liebe zum Detail bei allen Gegenständen. Erlesene Gegenstände aus Silber, Kerzenhalter, Schatullen, kleine Preziosen. Dann wurde langsam abgeblendet, der Fokus verkleinerte sich, bis das Bild verschwand. Das war das Letzte, woran ich mich erinnere.

14. Oktober 2015





Das wird ein Eintrag über einen schönen Abend, aber keine Buchkritik. Ich will ehrlich sein: nicht Bücher treiben mich mit der Kamera vor die Tür. Menschen, Kontakte, Persönlichkeiten. Menschen, Tiere, Sensationen. Aber eines muss ich doch sagen. So kann man ein Buch auch vorstellen. In einem Club, in dem - na gut auch eine Lesebühne stattfndet - aber sonst eher musiziert wird. Und einen Musiker - nein, zwei - einladen. Ich meine gehört zu haben, dass der Musiker Robert Stadlober auch als Schauspieler tätig ist. Ja natürlich - ja - ich weiß es. Das ist eine Art durch die Blume zu sagen, ich nehme ihm den Musiker ab, ich habe ihn gesehen und gehört und es gibt Beweise. Ich finde sogar, dass man das auf den Fotos sehen kann, auch wenn die Tonspur fehlt. Dieser Mensch gibt sich total hin. Und gelesen hat er auch. Aus dem Buch, das ich da noch nicht kannte, nur auszugsweise. Ich sage es ganz unverblümt: ich bin nicht die Zielgruppe für solche Jugenderinnerungen, mich beschäftigen andere Dinge in meiner Gegenwart. Aber EGAL. Also dieser Stadlober. Mit seiner trotzigen Schnute. Ein bißchen arrogant sieht er aus. Könnte man denken.












Tatsächlich glaube ich, er ist hochkonzentriert und fokussiert. Auf Qualität. Hohe Professionalität. Dieser nicht so kleine Raum war in ein blaues Dunkel getaucht, als er gelesen hat, Auszüge - er hat den Text als Hörbuch eingesprochen. Er wurde unsichtbar. Der Text wurde nicht gelesen, er hat etwas erzählt, mit einem maximalen Verzicht auf Effekthascherei, so dass der Effekt auf mich kaum größer hätte sein können. Ich war sehr beeindruckt, wie alles, was er erzählte, in den Vordergrund rückte und ich nicht über die Person Stadlober nachdachte. Das passiert mir nämlich, wenn jemand beim Lesen mit kalkulierten Effekten arbeitet. Ich denke über den Effekt und den Impetus nach und der Text erhält kaum noch Aufmerksamkeit. Bov hat auch gelesen. Und auch das war gut - aber nicht das, was der geniale Sprecher Stadlober auf die Bühne gebracht hat. Wenn ich Bov höre, läuft bei mir ein anderer Film ab, ich denke an ihn als Blogger und als warmherzigen und scharfsinnigen Menschen, und dass wir derselbe Jahrgang sind.




So ein Zeug geht mir durch den Kopf. Dass wir beide seit langem in Berlin Heimat gefunden haben, ultimativ, lange schon. Ich wusste, dass Bovs Buchpremiere einige Blogger locken würde, die ich auch kenne und lange oder länger nicht mehr gesehen habe. Immer wieder gerne sehe. Oder sogar noch nie gesehen habe. Das war auch ein Highlight für mich. Und dass man sich gemeinsam daran freut, wenn jemand aus diesem Kreis sein Buch in den Händen hält. Nicht sein erstes, aber dennoch. Es ist so ein Sympathieding, dass ich da ganz unbedingt hinwollte und ihm ein paar Bilder als Erinnerung schenken. Weil man solche Abende ja nicht jedes Jahr seines Lebens erlebt. Und ich wollte ihn so sympathisch einfangen, wie ich ihn immer erlebe, so selten ich ihn sehe. Das habe ich - glaube ich - hingekriegt. Doch. Isa war extra aus Hamburg gekommen. Und Mek und Modeste waren da. Und Doro und Elvira. Und Katia und Wortschnittchen saßen da, und ruhepuls, die ich noch nie vorher live sah. Es gab gar keinen vorbereiteten Tisch für unseren Autor, um zu signieren, da habe ich kurzerhand einen abgeräumt, der in der Ecke mit Flyern und Postkarten bestückt war, neben den Büchertisch bugsiert und einen Stuhl dazu. Und darauf geachtet, dass er an einer Stelle steht, wo einigermaßen Licht ist, weil ich ja Fotos machen wollte. Und die sollten unbedingt brauchbar werden, denn ich wollte ja der schönen Widmung in meinem Buch gerecht werden. Ehrensache. Danach bin ich trunken heim gelaufen. Invalidenstraße. Gartenstraße. Tor. Kleine August, Joachim. Ich finde Lesungen sollten immer mit Signiertischen und Live-Musik sein. Und so sympathischen Autoren. Und bitte immer auch mit mir.

10. Oktober 2015

15-10-08 BOX. Lehndorff Trülzsch (31)

15-10-08 BOX. Lehndorff Trülzsch (82)

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Margarete 20. Dezember...
20.12.24, 17:28
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Saskia Rutner Sieht...
19.12.24, 20:57
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Saskia Rutner Tolles...
16.12.24, 22:50
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Margarete 16. Dezember...
16.12.24, 14:02
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16.12.24, 01:28
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Saskia Rutner Du hast...
15.12.24, 00:23
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ANH 14. Dezember 2024...
14.12.24, 14:08
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12.12.24, 21:33
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11.12.24, 12:44
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kid37
Als einer der 37 bin...
08.12.24, 23:03
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Kavi V. Dankeschön...
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