15. Juni 2015

ach... Wannsee










































08. Juni 2015






Ich kann mich nicht entsinnen, je so lang mit einem Eintrag herumgetan zu haben. Vor lauter Respekt und dem Bedürfnis, Max Liebermann so viel Ehre zu erweisen, wie überhaupt nur möglich, habe ich viele Tage damit verbracht, immer wieder die Reihenfolge der Bilder zu ändern. Das Ganze ruhen zu lassen. Wieder angefangen, wieder umsortiert. Damit die Reihenfolge wie der Film wird, den ich empfunden habe, als ich da war. Es ist nicht egal, welches Bild einem anderen folgt. Nichts ist egal. Alles ist wichtig. Alles hat Bedeutung. Und als ich durch seinen Garten lief, mit diesem großem Respekt, mit Ehrfurcht und Gedenken - war ich mir keineswegs sicher, dass er meine Schritte nicht bemerkt. Meine Schritte in seinem Reich, seinem liebgewonnenen Refugium am Großen Wannsee. Keiner kann das wissen. Man muss davon ausgehen, dass die ewigen Seelen ein Auge auf ihre irdischen Herzensdinge haben. Nicht nur ihre Nachkommen. Warum nicht auf einen Ort, der zu Lebzeiten so große Bedeutung hatte? Ich kann diesen Ort nicht vereinnahmen, als beliebigen Ausflugsort banalisieren, umdeuten, ohne auf seinen Erschaffer, Schöpfer Max Liebermann hinzuweisen und mich vor ihm zu verneigen. Und sehr dafür Danke zu sagen, dass ich da herumlaufen darf. So ist das. Deshalb brauche ich so lange, um diese Bilder hier zu zeigen. Weil ich viele Texte recherchiert habe, in denen die Geschichte dieses Ortes gewürdigt wird. Und Max Liebermann. Glücklicherweise fand ich Schriftverkehr von Max Liebermann, in dem er über Details zum Bau der Villa spricht. Alle diese folgenden kursiven Absätze rühren aus diesen Fundstücken. Es sind viele. Und das ist angemessen. Denn Max Liebermann war ein ganz Großer. Mit jeder Lektüre jedes Fundstückes ist er mir mehr ans Herz gewachsen. Sehr.






Im Alter von 62 Jahren legte sich Max Liebermann einen Sommersitz im damals vornehmsten Villenviertel Berlins zu. 1909 erwarb er in der Villenkolonie Alsen eines der letzten freien Wassergrundstücke am Wannsee, ein lang gestrecktes, etwa 7000 Quadratmeter umfassendes Grundstück an der Seestraße 42, heute Colomierstr. 3. Die zum Wannsee gelegene Ostfassade der Villa wird durch einen zentralen zweigeschossigen Mittelrisaliten mit dreieckigem Giebel und Oculus gegliedert. Auf dieser Seite der Villa gelangt man durch Terrassentüren von allen Räumen des Erdgeschosses auf die breite Terrasse und kann den Blick über die Blumenterrasse, die große Wiese, Heckengärten und Birkenallee im seeseitigen Garten schweifen lassen. Die Familie Liebermann bezog das Haus im Juli 1910 und verbrachte bis kurz vor Max Liebermanns Tod 1935 jährlich die Sommermonate am Wannsee.





In der Folgezeit unterlag das Haus einer wechselvollen Nutzung: 1940 wurde Martha Liebermann von den Nationalsozialisten gezwungen, das Grundstück an die Deutsche Reichspost zu verkaufen, die in der Villa ein »Schulungslager« für ihre »weibliche Gefolgschaft« einrichtete. Gegen Ende des Krieges diente das Haus als Lazarett. Nach 1945 wurde die Liebermann-Villa gemeinsam mit der benachbarten Villa Hamspohn zur Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Wannsee. Max Liebermanns Atelier fungierte als Operationssaal.





Liebermanns in den USA lebende Tochter Käthe Riezler erhielt die Villa 1951 zurück. Sie schloss mit dem Wannsee-Krankenhaus einen Mietvertrag. Ihre Tochter Maria White, die als Kind auf vielen Bildern Max Liebermanns zu sehen ist, verkaufte die Villa schließlich 1958 an das Land Berlin. Der verwaltende Bezirk Steglitz-Zehlendorf verpachtete die Villa dann im Herbst 1971 nach zweijährigem Leerstand für 30 Jahre an den Deutschen Unterwasser-Club (DUC). Dieser richtete dort ein Vereinsheim mit einer Aus- und Fortbildungsstätte für Taucher ein, was bauliche Veränderungen im Inneren des Hauses zur Folge hatte. Zwar erreichte die Max-Liebermann-Gesellschaft 1995, dass die Villa unter Denkmalschutz gestellt wurde, der Bezirk verlängerte aber im gleichen Jahr den Pachtvertrag mit den Tauchsportlern vorzeitig um weitere zwanzig Jahre. Zum 150. Geburtstag Max Liebermanns im Jahr 1997 erwirkte die Max-Liebermann-Gesellschaft, dass der Berliner Senat die museale Nutzung der Villa beschloss. Er stellt allerdings keine finanziellen Mittel zur Verfügung. Nachdem 2002 ein gleichwertiges Ausweichgrundstück für den DUC gefunden werden konnte, begann die Max-Liebermann-Gesellschaft mit privaten Mitteln die Villa zu restaurieren und für die Nutzung als Museum umzuwandeln. Seit Ende April Zweitausendsechs sind Haus und der Garten originalgetreu wiederhergestellt und für die Öffentlichkeit als Künstlerhaus, Museum und Garten dauerhaft zugänglich. Die Heckengärten allerdings mussten bei der Eröffnung 2006 noch Fragment bleiben, da ein viereinhalb Meter breiter Streifen vom Grundstück abgetrennt und in der Nutzung eines benachbarten Sportvereines blieb. Erst nach Jahren unermüdlichen Ringens gelang es im Jahr 2013, diesen Grundstückstreifen dem Garten wieder einzugliedern und die Heckengärten zu vollenden. Im Mai 2014 konnten die Bauarbeiten in den Heckengärten von Max Liebermann abgeschlossen werden. Den Abschluss bildete die Ergänzung der Ufermauer und Rekonstruktion des historischen Liebermann-Steges, der zehn Meter aufs Wasser hinausführt und in einer Aussichtsplattform endet. Heute erstrahlen das Haus und der Garten in altem Glanz.











Lange hatte der Berliner Maler von einem solchen Ort geträumt, mit großem Garten und Bäumen. 1910 verwirklichte er schließlich diesen Traum am Wannsee. »Von allen Ländern lächelt jenes Eckchen der Erde mich an« zitierte Liebermann Hölderlin, um Freunden sein neues Domizil zu beschreiben. Künstlerisches Sehen heißt nicht nur optisches Sehen, sondern auch Erschauen der Natur. Nur wer den Odem Gottes in der Natur spürt, wird in Wirklichkeit lebendig gestalten können, nur der Pantheist... (...)«













Liebermann entschloss sich vergleichsweise spät, sich neben seinem ererbten Stadtquartier am Pariser Platz, einen Sommersitz im damals nobelstem Villenvorort Berlins zuzulegen. Im Sommer 1909 erwarb er eines der letzten freien Doppelgrundstücke mit Wasserzugang zum Großen Wannsee und beauftragte Paul Otto Baumgarten mit dem Bau seines Hauses. Baumgarten hatte sich als Villen- und Landhausbauer einen Namen gemacht. Während die Planung des Gartens in der umfangreichen Korrespondenz zwischen Liebermann und Alfred Lichtwark gut dokumentiert ist, konnte die Entstehungsgeschichte des Hauses nur anhand von Bauakten und einigen wenigen Kommentaren in Briefen Liebermanns rekonstruiert werden. Das wenige aber vermittelt einen lebendigen Eindruck vom Planungs- und Bauablauf, von der Zusammenarbeit zwischen dem Bauherr und seinem Architekten.





Liebermann plante ein Gesamtkunstwerk von Haus und Garten und die erste wichtige Voraussetzung war die Entscheidung, den Standort des Hauses in die Mitte des langgestreckten Grundstückes zu legen. "Wenn ich hier am Ufer stehe, so will ich durch das Haus hindurch auf den Teil des Gartens sehen können, der dahinter liegt. Vor dem Haus soll eine einfache Wiese angelegt werden, so dass ich von den Zimmern aus ohne Hindernis auf den See sehen kann. Und links und rechts vom Rasen will ich gerade Wege. Das ist die Hauptsache. Noch etwas: das Zimmer, das in der Achse liegt, soll der Essraum sein. So... - Und nun bauen Sie!"






Baumgartens erste Pläne sahen auf der Westfassade u.a. eine mittig angeordnete, zweigeschossige Loggia vor, die Fassade zum Wannsee hin hat ein heruntergezogenes Mansardwalmdach und in der Mitte ein wuchtiges, glockenähnliches Kuppeldach über einem sich aus der Fassade vorwölbenden zweigeschossigen Vorbau, vor dem wiederum zwei Säulen stehen, die einen Balkon tragen. Liebermann war jedenfalls nicht zufrieden, als Baumgarten ihm am 25. Juli 1909 die fertigen Pläne zur Unterschrift vorlegte. An seinen Freund und Berater bei der Gartengestaltung Alfred Lichtwark schreibt er einen Tag später: „Gestern habe ich den ganzen Tag gebaut u. über den Grundriß sind wir so ziemlich klar (ich bringe die Pläne mit). Nicht so über die Fassade, die zu sehr nach einem Bauernhause aussieht: ich möchte ein Landhaus, das sich ein Städter gebaut hat. Wie überall ist das Einfachste das Schwerste." Die Bleistiftskizze eines Giebels auf einem Plan der Wannseefassade, die möglicherweise bei der zitierten Besprechung mit Baumgarten entstand, lässt erahnen, was Liebermann sich unter einem „Landhaus eines Städters" vorstellte. Am nächsten Tag reichte Baumgarten die Pläne beim Bauamt Wannsee ein, wo sie zügig, Ende August 1909 genehmigt wurden.




Mitte September begann das Baugeschäft mit der Ausführung. Bereits Ende Oktober war der Bau soweit fortgeschritten, daß Liebermann Lichtwark berichten konnte: „Meine Sommerresidenz kömmt in nächster Zeit unter Dach, dann muß das Haus nach polizeilicher Vorschrift sechs Wochen stehn bleiben, ohne daß daran gearbeitet werden darf. Anfangs nächsten Jahres kann es inwendig verputzt werden u. im Mai von außen, sodaß wir Anfang Juli etwa es beziehen können. So meint wenigstens der Architekt, ob sein Optimismus berechtigt ist, weiß ich freilich nicht. Bis jetzt freuen wir uns und haben noch keine Fehler entdeckt." Der endgültige Entwurf sah ein kubisch reduziertes Gebäude mit einer begradigten Fassade und einem einfachen Walmdach vor. Die Räume im Inneren sind symmetrisch um die Mittelachse herum angeordnet. Im Erdgeschoss befindet sich ein großes, durch eine mittige Tür mit dem Esszimmer auf der Wannseeseite verbundenes Kaminzimmer, mit dem von Liebermann gewünschten Durchblick von Osten nach Westen, Im Obergeschoss liegen die Schlafräume der Familie, mit Blick auf den Großen Wannsee und das Atelier.





Ende März 1910 berichtete Liebermann seinem Freund Lichtwark: „Vorigen Sonnabend waren wir wieder in Wannsee und bis jetzt haben wir weder am Bau wie am Garten etwas entdeckt, was wir anders gewünscht hätten ... In 14 Tagen wird die Villa fertig sein, sodaß wir an die innre Einrichtung gehen können." Am 6. April, genervt von den Querelen bei den Vorbereitungen der zehnten Jahresausstellung der Secession, - "am liebsten schmeiße ich ihnen den ganzen Kram vor die Füße" -, konnte Liebermann Lichtwark von weiteren Fortschritten in Wannsee berichten. Nach seinem Einzug stellte Liebermann fest, dass er mit dem Gärtnerhaus nicht zufrieden war. Es störte ihn beim Blick aus seinem Atelierfenster und darüber hinaus beeinträchtigte es - von der Straße aus betrachtet - die repräsentative Hauptfront des Hauses und damit die Gesamtwirkung erheblich. Es folgte die schrittweise Neuplanung diverser Nebenanlagen: des Pförtnerhauses, der Abortanlage, der Garten- und Terrassenmauern und eines Teepavillons am Ufer des Wannsees, die sich teilweise noch bis Ende des Jahres 1911 hinzogen Im Frühjahr 1910 hatten die Arbeiten am Haus Fortschritte gemacht. Am 4. Mai 2010 schrieb Liebermann an Alfred Lichtwark: „Wir waren vorgestern wieder in Wannsee: bis auf die Inneneinrichtung ists fertig und auch der Garten fängt schon an. So weit wirs bis jetzt beurtheilen können, finden wir es durchaus gelungen. Die Terrassen sind fertig, jetzt wird das sechs Meter breite Stück in den See geschüttet und im Juli können wir hoffentlich die Villa beziehen. Bis dahin kommen Sie hoffentlich noch her, um Ihr Urtheil abzugeben." Am 26. Juli 1910 war es dann endlich so weit.




Liebermann bezog mit seiner Frau Martha, seiner Tochter Käthe und dem Dackel Männe seine Villa am Wannsee. Am 31. Juli berichtete er Lichtwark "Seit 5 Tagen leben wir nun hier und ich empfinde zum ersten Male in meinem Leben das Gefühl, auf der eigenen Scholle zu sitzen. Hier kann ich meine Ellenbogen wenigstens nach beiden Seiten ausstrecken, ohne - anzustoßen. Auch habe ich bis jetzt nichts bemerkt, was ich hätte anders machen sollen: die vorhandenen Fehler waren nicht zu umgehn, höchstens vermittelst viel größerer Geldaufwendungen. Aber, wie mir Arnhold, der mich eben besuchte, sagte, aus der Situation bezug auf die Gartenanlage, die wir Ihnen verdanken: die ist nach einstimigen Urtheilen eminent gelungen. Lichtwark kam im Oktober zu Besuch und stellte fest, dass Haus und Garten fertig seien. In seinem Bericht für die Verwaltung der Hamburger Kunsthalle notierte er, Liebermann sei sehr stolz: „Sehen Sie, diese zehn Finger haben alles in zwei Jahren ermalt, Grundstück, Haus, Gartenanlage und Einrichtung. Wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, daß es einmal so kommen würde, hätte ich gelacht."





Fern des Großstadtlärms fand Liebermanns Flucht vor der Industriekultur, der seine Familie ihren Reichtum verdankte, ihr beschauliches Ende. Denn im Unterschied zu seinen Nachbarn, die allesamt größere Villen bewohnten und Gärten im englischen Stil angelegt hatten, legte Liebermann Wert auf den bürgerlichen Charakter seines Hauses und mehr noch auf die "bürgerliche Architektur" seines Gartens. Auf seinem eigenen Anwesen kam es schließlich zum harmonischen Nebeneinander von ländlicher Idylle und bürgerlicher Kommodität. 1922 schrieb Max Liebermann an Fritz Stahl, einen Redakteur beim Berliner Tageblatt: "Schade, dass Sie nicht zu meinem Geburtstage hier waren. Es war sehr nett und auf Augenblicke vergaß man der fürchterlichen Zeitläufe. Sehn Sie sich doch mal mein 'Schloß' am See an, übermütig sieht's nicht aus, aber ich glaube, dass es nach mir aussieht."




Scherzhaft nannte Max Liebermann seine Sommervilla »Klein-Versailles«. Liebermann repräsentierte eine Position, mit der sich ein Bürgertum identifizierte, das sich dem Bildungshumanismus des 19. Jahrhunderts verpflichtet fühlte und liberal gesinnt war. »In Liebermann bewundere ich Berlin«, schrieb Thomas Mann, der den toleranten Geist der Stadt von keinem anderen besser repräsentiert fühlte. Und: »Ich finde es königlich, daß er den geweckt schnoddrigen Berliner Jargon spricht, frank und unverfälscht, und wenn ich bei ihm bin, in seinem Haus am Pariser Platz, fühle ich mich im Brenn- und Sammelpunkt erheiternder und mächtiger Charakterköpfe, an repräsentativ symbolischem Ort, in der Residenz des genius loci: eine Empfindung, zu der das Fluidum von Freiheit, Kühnheit, Größe, Souveränität nicht wenig beiträgt, das die rassig-feine und ritterliche, im strengsten Sinne liebenswürdige Person des Hausherrn umwittert.« Auch in Wannsee fanden diese Kreise zueinander. Das passende Naturkorrelat zum Künstlersubjekt Liebermann war zu dieser Zeit längst sein Garten am Wannsee. In den Jahren des Krieges, in denen er nicht mehr verreisen konnte, fand er dort seine wichtigsten Motive und investierte den Großteil seiner verbleibenden Arbeitskraft in den Wannseegarten. Die Colonie Alsen an den Ufern des Großen Wannsees war mehr als nur das sommerliche Zentrum des Berliner Geistes- und Kulturlebens. Hier lebten viele der bedeutendsten Mäzene, die Kunstsammlerin Margarete Oppenheim, Eduard Arnhold, Robert und Franz von Mendelsohn, die ihre van Goghs und Manets zum großen Teil ebenso der Nationalgalerie vermachten wie die Bankiersfamilie von der Heydt. Hier lebten die Verleger Ferdinand Springer und Gustav Langenscheidt und der gefeierte Operateur Sauerbruch, und hier ging auch Albert Einstein als Freund vieler Familien ein und aus.





Zum letzten offiziellen Höhepunkt im Leben Max Liebermanns geriet die Feier zu seinem 85. Geburtstag. Im Sommer 1932 fand am Wannsee ein großes Fest statt, in dessen Verlauf dem Maler die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin verliehen wurde. Doch nur ein halbes Jahr später marschierten schon die braunen Horden unter den Fenstern von Liebermanns Stadtwohnung durchs Brandenburger Tor. "Ick kann jar nich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!" flucht Liebermann beim Betrachten des Fackelzugs zu Adolf Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933. Als schließlich auch die Bücher brannten, trat Liebermann aus der Akademie der Künste aus und verriet der jüdischen Central-Vereins-Zeitung seine Motive: "Ich habe während meines langen Lebens mit allen meinen Kräften der deutschen Kunst zu dienen gesucht. Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied ich seit mehr als 30 Jahren und deren Präsident ich zwölf Jahre gewesen bin, nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat." Liebermann, Berliner Ehrenbürger und Präsident der Preußischen Akademie der Künste, legte am Tag nach der Bücherverbrennung im Mai 1933 alle öffentlichen Ämter nieder.




Am 8. Februar 1935 starb Max Liebermann, 87-jährig, eines natürlichen Todes. Vorher war er schon zwei Jahre lang totgeschwiegen worden. Ihm, der immer ein offenes Haus für Freunde und Gäste gepflegt hatte, wurde auf dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee nur von wenigen Getreuen das letzte Geleit gegeben. Am 20. Januar 1942 fand in der Nachbarschaft seines Gartens die Wannseekonferenz statt, um die Auslöschung der Juden bis ins kleinste Detail zu regeln. Sein Haus am Großen Wannsee sowie sein Stadthaus am Brandenburger Tor wurden der Familie durch »Arisierung« geraubt. Einigen Angehörigen der großen Liebermann-Familie war es gelungen, ins Ausland zu flüchten, andere endeten in den Vernichtungslagern der Nazis. 1943 sollte auch Liebermanns 86-jährige Frau Martha nach Theresienstadt deportiert werden. Bevor es dazu kam, nahm sie sich das Leben. Liebermanns Ehefrau Martha vergiftete sich am 10. März 1943, unmittelbar vor der Deportation. Aus ihrem im Museum ausgestellten letzten Brief spricht ihre fatale Verzweiflung.







»Das Höchste, wozu es der Mensch bringen kann, ist: sich zur Freiheit durchzukämpfen, seiner Intuition folgen zu dürfen. Die Freiheit wird einem nicht geschenkt, sondern sie muss erobert werden, und dieser Kampf heißt das Leben.« Max Liebermann, 1931


Quellen
Luise Berlin
Rückzug ins Refugium
Paradies am Wannsee
Wikipedia Colonie Alsen
Wikipedia Max Liebermann
Max Liebermann-Gesellschaft
Projekt Gutenberg Max Liebermann
Baugeschichte der Liebermann-Villa

30. Mai 2015



Ein bißchen mit den Augen spazierengehen. Ich habe gerade die Bilder der letzten zehn Jahre aus der Ecke Grunewald, Havel und Wannsee in eine Sammlung gepackt. Damit es hier ein bißchen weitergeht. So ein Blog ist wie ein Tamagotchi, wenn man es nicht füttert, geht es ein wie eine Primel. Ich muss aber auch ein Gleichgewicht finden. Nicht hauptsächlich Zeit damit verbringen, am Computer Zeug zu verarbeiten, anstatt etwas zu erleben, gerade, wenn die Sonne scheint. Das kommt mir vor wie eine Versündigung an der Frühlingsschöpfung. Es kommen ja wieder genug bewölkte Tage, wo man dann wirklich nichts Besseres zu tun hat. Aber immerhin habe ich schon alle Bilder bis fünfzehnten Mai hochgeladen, wenn auch noch keine Einträge dazu gepostet. Jetzt muss ich aufhören mit Tippen, sonst wird das nichts.

30. Mai 2015

Stadtkloster Segen



Segen (althochdeutsch segan, auch segon, segin, segen, entlehnt aus lateinisch signum „Zeichen, Abzeichen, Kennzeichen“, ab dem späten 2. Jahrhundert auch Kreuzzeichen) bezeichnet in vielen Religionen ein Gebet oder einen Ritus, wodurch Personen oder Sachen Anteil an göttlicher Kraft oder Gnade bekommen sollen. Der christliche Begriff Segen entspricht dem lateinischen Wort benedictio, abgeleitet von benedicere aus bene („gut“) und dicere („sagen“), also eigentlich von jemandem gut sprechen, jemanden loben, preisen. Durch das Latein der Kirche bedeutet benedicere ab dem 3. Jahrhundert auch „segnen, benedeien, den Segen ausprechen über usw.“ Wikipedia



Segenskirche, Schönhauser Allee, Berlin Prenzlauer Berg











16. Mai 2015





Wenn ich Bilder zeige, die erst am Vortag entstanden sind, grenzt das beinah an Live-Berichterstattung, ein seltenes Ereignis! So ein Ausflug beginnt - wie immer - mit sorgfältiger Auswahl der Anziehsachen: was passt zum Ausflugsziel? Damit ist selbstverständlich nicht gemeint, wie strapazierfähig oder wetterfest die Kleidung ist, sondern ob der Schnitt und das Stoffmuster mit dem Thema der Ausstellung, oder was es eben zu sehen geben wird, korrespondiert. Da ich mir den Garten von Max Liebermann und seine Sommervilla am Wannsee anschauen wollte, dachte ich mir, mein Mantel mit den großen schwarz-weißen Sonnenblumen, könnte im Sinne von Max Liebermann sein. Dazu flache schwarze Schnürschuhe aus feinem Leder mit Lack und weißen Schleifen. Da auf dem Mantel schon ziemlich viel los war, habe ich keinen weiteren Schmuck angelegt. Mir kam die Kombination passend vor und ich muss sagen, ich fühlte mich fast ein bißchen feierlich, so adrett und artig mit meinem Blumenmäntelchen und den Schleifenschuhen. Mir war direkt wie Sonntag, als ich frohgemut, zehn vor elf aus dem Haus trat, um zur S-Bahn zu laufen. Die Sonne schien schon ein kleines bißchen mehr und wechselte sich nur noch mit ein paar kleinen Wolken ab.



Als die S 7, die bis nach Potsdam fährt, in Wannsee hielt, bin ich ausgestiegen und nach oben, über die Straße zur Bushaltestelle gegangen. Dort fährt der Bus Nummer 114 los, zur Endhaltestelle Heckeshorn. Aber ich fuhr nur kurze vier Stationen mit, bis zur Haltestelle "Liebermann-Villa". Viele sehr kultiviert wirkende Senioren waren im Bus und einige stiegen mit mir aus. Gut, dass ich nicht zu salopp gekleidet war, das wäre mir sehr unangenehm gewesen! Mir fiel auf, als ich in Wannsee auf den Bus wartete, dass sich dort in den letzten fast dreißig Jahren scheinbar rein gar nichts verändert hat. Die schöne Weite von dem Hügel, wo eine Treppe zur Anlegestelle herunterführt. Ich bin fast ein bißchen sentimental geworden, weil ich genau dasselbe Empfinden von einem Ort spürte, an dem Zufriedenheit, Ausflugsstimmung und Fröhlichkeit herrscht, wie damals. Ach Wannsee. Nun war mir gleich noch mehr wie Sonntag. Aber wenn in Wannsee die Sonne scheint, ist immer Sonntag. Jetzt muss ich mich um die anderen Fotos kümmern, damit die Bildergeschichte recht bald weitergeht.

14. Mai 2015



Schon wieder ein Jahr her. Genau heute vor einem Jahr war ich in der Wiener Secession. Unvergesslich. Nicht nur das eingemeißelte Credo "Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit."

13. März 2015




Anfang letzer Woche, als auch die berühmte re:publica wieder vor der Tür stand, kriegte ich zufällig mit, dass man sich - mit dem Zusatz "TO WHOM IT MAY CONCERN" unter dem Motto "Steinzeitbloggertreffen" in einem Lokal treffen wollte. Ich wurde zwar nicht namentlich zum Kommen aufgefordert, aber als ich sah, dass auch Blogger damit angesprochen wurden, die nach mir damit angefangen hatten, und ich einige auch schon einmal in den letzten zehn Jahren getroffen hatte, und Bov dann auch noch twitterte, dass "auch Bronze- und Eiszeitpeople willkommen sind", hatte ich die Zuversicht, dass es sich um eine für Interessierte offen gehaltene Veranstaltung handeln könnte, wo man nicht das Gefühl haben müsste, sich einer Gruppe von Bloggern aufzudrängen, die lieber unter sich bleiben will. Das hat mir gut gepasst, weil ich gerne Zusammenkünfte mag, wo nicht von vorneherein zementiert ist, wer dabei ist. Ich hatte die Hoffnung, dass vielleicht jemand dabei wäre, den ich lese und noch nie getroffen habe. Auch Neugier auf alte Bekannte spielte eine Rolle, denn es waren schon wieder einige Jahre ins Land gegangen, wo ich den einen oder die andere persönlich getroffen habe. Als ich dann los bin, wusste ich nur sehr grob, dass sicher auf jeden Fall Bov und Ronsens da wären und elfengleich, die ich nicht kannte, nur vom Blognamen, weil die drei sich darum gekümmert hatten, die Einladung zu twittern und auf facebook zu verteilen. Ich habe ja keinen twitter account, aber gerade in der Zeit der re:publica, wo ich auch gedanklich immer mal damit spiele, hier oder da hinzugehen, zu vereinzelten Events vielleicht, wird ja in dem Ausmaß über twitter kommuniziert, wie es früher in den Blogs der Fall war. Meines Wissens gab es kein einziges Blog, in dem von dem Treffen die Rede war, sicher nicht aus Geheimniskrämerei, sondern weil es allen in Fleisch und Blut übergegangen ist, so etwas zu twittern oder über facebook zu verteilen. Ich wollte das auch nicht schreiben, weil ich mir zum einen nicht anmaßen wollte, mich als Nicht-Initiatorin in vielleicht unerwünschte Einladungsgesten zu versteigen, und zum anderen hatte ich den Eindruck, dass diejenigen, für die das relevant war und die außerdem in Berlin waren, ohnehin noch mehr Kontakte und Informationsflow als ich in dieser Hinsicht hatten. Es fand in einem mexikanischen Lokal in der Raumerstraße statt, im Girasol. Da war ich auch noch nie. Ich kam ungefähr um halbneun an, wo im hinteren Raum an einem längeren Tisch schon einige bekannte Gesichter waren. Man ist dann doch froh, wenn zwei, drei Leute da sind, die einen nach Jahren noch erinnern. Bei Wortschnittchen war das einigermaßen sicher gestellt, weil wir uns letztes Jahr bei der re:publica gesehen hatten. Dann konnte ich gegenüber noch Melle erkennen, ich weiß aber nicht, ob er mich erkannt hat. Und Bov erinnerte sich zum Glück noch, was mich beruhigt hat. Wir sind mal 2007 bei einem Bloggertreffen in einem Lokal namens Walden gewesen, an den Namen der Kneipe konnte ich mich gar nicht mehr erinnern, aber Bov wusste es noch genau, und dass ich fotografiert hatte. Dafür erinnerte ich mich an ein sehr heikles Gesprächsthema von damals. Direkt mir gegenüber saß ein - darf man sagen - älterer Mann? Bei dem ich mir eine ganze Weile unsicher war, ob es sich um Don Dahlmann handeln könnte, den ich früher weiß Gott öfter getroffen habe, d. h. ich erinnere mich an seine Mimik und die Stimme usw. Der Mann mir gegenüber hatte schlohweißes Haar und auch so einen Bart wie Don, also wirklich einige Ähnlichkeit, aber als er dann zu sprechen anfing, beschloss ich, dass es jemand anders sein muss. Ich war auch ein bißchen beruhigt, weil er schon sehr viel älter aussah, als was dem ungefähren Alter von Don entsprechen müsste. Rechts von Bov saß ein anderer bärtiger Mann und nach einer ganzen Weile fiel mir ein, dass es sich um Praschl handeln müsste. Er sah für meine Begriffe auch nahezu unverändert aus, ich hatte ihn aber auch damals nie getroffen, kannte ihn nur von wenigen Fotos. Ah, der Praschl! Er hat mir auch bestätigt, dass er es ist, also keine Verwechslung. Links von dem vermeintlichen Don war elfengleich, die die Idee hatte und neben ihr Melle und dann ein Blogger, den ich überhaupt nicht kannte, ein ganz hübscher Blonder und neben ihm - was mich unheimlich gefreut hat - Mequito. Mek! Total unverändert. Und immer noch dieser wunderbare Südtiroler Akzent, nur ganz leicht. Ich war gleich wieder verliebt. Er hatte ein Ringelshirt und ein schwarzes Sakko darüber an und immer noch so schöne lange Wimpern. Weil er so hübsch anzusehen ist, habe ich mich noch viel weniger getraut, ihn zu fotografieren als die anderen. Ich war richtig gehemmt. Ich bin ohnehin schon gehemmt, eine private Gesellschaft mit dem Fotoapparat zu belästigen, denn so könnte man es bei dem weltweiten 24-Stunden overflow von instagram-Geknipse vom Aufstehen bis zum Schlafengehen schon empfinden. Ihm gegenüber saß Casino, Frau Casino, mit der ich vor sechs Jahren und gemeinsam mit Mek einmal einen schönen Abend verbracht habe. Als erstes ist mir eingefallen, dass wir beide derselbe Jahrgang sind und dieses Jahr Fünfzig werden. Mir war, als hätten wir uns erst letzte Woche getroffen, das war auch sehr schön. Manche hatten Essen bestellt, das kam aber alles so nach und nach, Wortschnittchen war noch dabei, ihren Teller leer zu essen, ich habe inzwischen ein Jever bestellt und ein Rumpsteak mit Ofenkartoffeln und Gemüse. Ziemlich gleichzeitig mit meinem Essen kam zu meiner Freude eine weitere Bloggerin, die ich von früher kannte und auch immer noch fleißig lese, Modeste. Sie hatte ein wahnsinnig elegantes graues Kleid an, mit so Viertelärmeln, ja eine Art Etuikleid mit kurzen Ärmeln aus einem ganz edlen Stoff. Sie war schon immer eine der elegantesten Bloggerinnen, da gibt es nichts zu diskutieren. Ihre ebenfalls sehr elegante Handtasche, so eine Art Kelly Bag - oder war es womöglich sogar eine - stellte sie auf einen der Stühle und da fiel mir ein, dass sie eigentlich doch eine Super-Zielgruppe für so einen Handtaschenhalter wäre, wie ich ihn neulich aus reiner Kauflust gekauft habe. Die Königin von England hat auch so ein Ding. Man klemmt den Haken an die Tischplatte, wenn man Essen geht und hängt die Tasche dran. Jetzt muss ich nur noch öfter essen gehen, damit sich das Ding amortisiert. Ich fürchte, ich habe nur so lange ich mein Steak mit dem Berg Kartoffeln verputzt habe, den Mund gehalten. Ein Bier nach dem anderen habe ich mir bestellt, es hat mir wirklich geschmeckt und dann war ich irgendwann so angetrunken, dass ich ohne Punkt und Komma Zeug erzählt habe, ich hoffe, die anderen waren nicht zu genervt, vor allem Wortschnittchen und Modeste mussten eventuell darunter leiden. Es ging von Klatsch und Tratsch über andere Blogger und re:publica-Hype, über Botox, Judy Winter & Peter Zadek, bis Treffen früherer Liebhaber (u. deren Lebensgefährtinnen), Versöhnung, Erbrecht und Testament.




Durch die Trunkenheit ermutigt, habe ich dann doch einmal die Kamera angemacht und irgendwie herumgeknipst, aber doch sehr verhalten. Inzwischen war noch Jens Scholz gekommen, der kam direkt von der re:publica und hatte auch einiges zu erzählen. Er wird auch nicht älter! Überhaupt kann man sagen: Bloggen scheint jung zu halten. Ronsens saß mal hier und mal da und zweimal war er vor meinem Objektiv. Ich habe wirklich gehofft, dass die wenigen Bilder irgendwie historisch interessant sein könnten. Aber man kann sich irren, besonders wenn man im fortgeschrittenen Zustand der Trunkenheit die Fähigkeit überschätzt, die Kamera richtig einzustellen und ruhig zu halten. Nach und nach mussten dann einige wieder aufbrechen, es war ja auch schon nach Mitternacht und der harte Kern wurde auch vom Service-Personal freundlich gebeten, langsam zum Ende zu kommen. Ich habe den Rest bezahlt, was noch offen war, es war mir auch schon wurscht und unter der Laterne vor der Tür haben sich die letzten Mohikaner, Bov und Ronsens und Casino und ich verabschiedet. Frau Casino und ich sind dann noch zu ihr um die Ecke, um den Hund für ein Gassi abzuholen und sie hat mich Richtung Taxi-Stand begleitet und ich habe bestimmt noch mehr unsinniges Zeug geplappert, aber mir ist es lustig vorgekommen. Ich hoffe, ihr auch ein bißchen.






Daheim habe ich dann noch die Bilder von der Kamera geladen und war völlig perplex, dass ich so einen Schrott fotografiert habe. Das sind so ungefähr die schlechtesten, unbrauchbarsten Bilder, die ich in den letzten zehn Jahren fabriziert habe. Ein paar von dem Schrott habe ich aber zum steten Gedenken aufgehoben und in die Strecke genommen, als Mahnmal. Und ein bißchen auch als quasi künstlerisch interpretierbares Dokument materialisierter Trunkenheit. Während ich das schreibe, fällt mir ein, dass es mit Sicherheit der einzige Erlebnisbericht von diesem Bloggertreffen ist. Früher hätten alle ein, zwei Tage danach feinsäuberlich berichtet, dass man sich getroffen hat, und alle Namen schön verlinkt. Aber heute sind die Zeiten nun einmal anders. Nur Ronsens hat einen kleinen Tweet dazu geschrieben: "Steinzeitbloggers are nice bloggers (um nicht zu sagen the nicest)". Es waren auch noch ein oder zwei andere Blogger/innen da, die ich leider namentlich nicht parat habe, das tut mir leid. Jedenfalls war es wieder einmal schön und interessant, nach längerer Zeit aufeinanderzutreffen. Viele haben wir auch vermisst, aber die hatten auch mitgeteilt, dass sie verhindert waren, es war ja auch eine superkurzfristige Idee, nur zwei Tage vor dem Treffen geboren. Felix zum Beispiel wollte ursprünglich mit seiner Frau Katia kommen, aber er hatte dann wohl Torschlusspanik, weil er seine re:publica-Rede noch überhaupt nicht vorbereitet hatte und deswegen Schularbeiten machen musste. Da hat man natürlich Verständnis. Obwohl er so ein begnadeter Vortragskünstler ist, dass er wahrscheinlich auch bei kompletter Improvisation - aber das ist ein anderes Thema. Wortschnittchen hat etwas dazu geschrieben, warum sie nicht zur re:publica in diesem Jahr gegangen ist. Manches davon kann ich sehr gut verstehen, einiges. Das habe ich ja auch in dem Kommentar darunter geschrieben. Jedenfalls wollte ich meine lieben Leserinnen und Leser irgendwie daran teilhaben lassen, dass wieder einmal so eine Art Mini-Blogmich war und ich auch dabeisein durfte. Es war nicht die Sensationsparty des Jahres, wie man ja auch einfach mal so, dreist, in Blogger-Übertreibungs-Tradition, behaupten könnte, weil ja die Daheimgebliebenen es nicht widerlegen können. Aber mir gehen solche Übertreibungen gegen den Strich, man braucht auch noch ein bißchen Luft nach oben, sonst gehen einem die Superlative aus, wenn sie dann einmal angemessen sind. Aber ein sehr angenehmer Abend mit sehr geistreichen Bloggern war es. Und als solchen wollte ich ihn hiermit einfach festgehalten haben.

12. Mai 2015




Vierter März 2015, Mittwoch. Peter Lindbergh bei CO. Ich bin hin, weil ich etwas verifizieren wollte. Ob wir auf einer Wellenlänge sind. Das mit dem Signieren war nur ein Vorwand, der mir ganz recht war. Ich hatte nichts zum Signieren, so kaufte ich eines der Bücher, den soeben erschienenen neuen Bildband Images of Women II, 2005 - 2014. Nicht, weil ich ihn unbedingt besitzen wollte, sondern um nicht mit leeren Händen dazustehen, ein einfaches Blatt Papier oder eine Serviette wäre mir zu schäbig gewesen. Und jedes gekaufte Buch ist ja ein unwiderlegbares Kompliment. Er hätte ein bißchen zu tun und währenddessen macht man ein bißchen Konversation. Viele Menschen waren da. Sehr viele. Um nicht zu sagen: sehr, sehr viele. Und das bedeutete: sehr viel Warten. Ich hatte das Buch noch nicht und überlegte, ob mir die kurze Begegnung die Warterei wert wäre, schaute ein bißchen durch die übrigen Bildbände und ließ meinen Blick über das Publikum schweifen. Viele attraktive, eher jüngere Menschen zwischen zwanzig und Mitte dreißig, die oft mehr als ein Buch zum Signieren mitgebracht hatten. Nun war ich schon einmal da und etwas Besseres hatte ich auch nicht vor. Ich kaufte mir das neue Buch und suchte das Ende der Schlange, die sich wie eine Schnecke bis in die Büchernische wand, wo das große Panoramafenster ist, von dem aus man direkt auf den Bahnhof Zoo schauen kann. In derselben Ecke wo ich nun war, stand zufällig Jim Rakete rum und unterhielt sich mit einem älteren Herrn, der etwas Lustiges an sich hatte. Den Mann hatte ich noch nie gesehen, mir fiel seine elegante Kleidung auf und dass er nicht den Eindruck machte, anzustehen. Genauso wenig wie Jim Rakete.






Das wäre ja auch zu lustig gewesen. Ich wurde neugierig und fand, dass ich für die Warterei zumindest eine interessante Ecke erwischt hatte. Der lustige Mann richtete nun die Frage an mich, ob ich wüsste, was der Unterschied zwischen der Bibel und Aldi sei? "Nein", pariere ich artig, "nämlich?" Antwort: "In der Bibel steht die Schlange am Anfang." "Hm. ja." Ich lächelte milde. In der Hand hatte er einen ganz kleinen Bildband von Jim Rakete, wo irgendwas vom Wiener Burgtheater draufstand. Ich weiß leider nicht mehr, was er als nächstes zu mir gesagt hat, jedenfalls merkte man, dass er sich gerne selber reden hört und in keiner Hinsicht ein Blatt vor den Mund nimmt. Wegen des Büchleins ging es auf einmal um Wien und ich war noch ganz im Wien-Erinnerungsrausch, weil ich gerade die Bilder verarbeitet hatte und sagte in etwa - "Burgtheater? Da hat er also auch fotografiert?" (Seitenblick zu Rakete) und "Hach ja, ich liebe Wien! Darauf er mit schulmeisternd gedehntem, bedrohlichem Unterton: "Hitler hat Wien auch geliebt!" Ich: "Hm na ja." Was soll man dazu sagen. Der kauzige Herr merkt, dass ich nicht ganz so leicht zu amüsieren bin, wie er das sonst scheinbar gewohnt ist und guckt ein wenig irritiert. In dem Moment registriere ich, dass der Direktor von CO auch in die Nische kommt und den Mann und Rakete mit viel Hallo und Handschlag begrüßt, aber ich habe nicht belauscht, was sonst noch geplänkelt wurde. Eine ältere Dame gesellte sich dazu, die sehr starkes Make up trug, was ihr etwas Fellinihaftes verlieh, mir gefiel es. Ein expressionistischer Typ mit dunklen Haaren, lockig, halblang und sehr viel Eyeliner und sehr rotem Lippenstift. Und elegantem Kostüm. Gut und gerne von Chanel. Sie gehörte zu dem Mann, und ab und zu stand sie auch ein bißchen rum und beteiligte sich am Small talk. Also nicht mit mir, aber sie lächelte mich sehr sympathisierend an. Nun kam auch noch Gero von Boehm, den man ja auch schon mal im Fernsehen gesehen hat und von seinen Interviews kennt und es wurde sich abermals mit großem Hallo äußerst familiär begrüßt.



Da war ich ja in einer hochinteressanten Ecke gelandet. Mal gingen sie wieder weg, dann kamen sie wieder, ein Glas Wein in der Hand. Wenn Rakete schon so direkt neben mir stand, konnte ich ihn auch gleich mal fotografieren, dachte ich mir. Man sieht ihn ja öfter mal in Berlin bei derlei Gelegenheiten. Aber er steht nicht immer so schön still. Also habe ich ihm eröffnet, dass ich ihn nun paparazzen würde, nicht dass er sich dann beklagt, ich hätte es nicht angekündigt. So schön mit Riefenstahlscher Untersicht, wie Vivian Maier! Darauf erwähnte er die schöne Rolleiflex von ihr, ich weiß nicht mehr im Detail, was er dazu angemerkt hat, aber ich meinte daraufhin, dass das ja nun auch digital funktioniert, nicht wahr. Ich hatte den Eindruck, dass er noch darüber nachdachte, worauf ich hinauswill, da hatte ich ihn schon fotografiert und ich bin mir nicht sicher, ob er es in dem Moment realisiert hat. In einer Dokumentation vor einigen Jahren über ihn, als es schon üblich war, digital zu arbeiten, pflegte er noch ausdrücklich und ausschließlich analoge Fotografie. Aber ich gehe davon aus, dass das heute anders ist, wenigstens nicht mehr ausschließlich. Ich merkte noch an, dass es schon geschehen sei. Er hat so eine gewisse Art in sich hineinzuschmunzeln, die ihn ziemlich sympathisch wirken lässt. In Zeitlupe ging es vorwärts und ich knipste ein bißchen rundherum, unter anderem den sehr putzigen Hund mit der kranken, mit CO-Klebeband eingewickelten Pfote.




Leute kamen und gingen. Einmal stand Florian Langenscheidt schwer irritiert in der Meute und konnte wohl nicht fassen, dass sich diese von ihm vielleicht erhoffte, vermeintliche Insider-Veranstaltung als Massenattraktion gestaltet. Er schien ein wenig hin- und herzuüberlegen, in seinem wohlfrisierten Lockenkopf, und beschloss dann wohl, dass so eine Warterei nicht seine Sache ist. Ich hörte noch, dass der ältere lustige Mann mit Rakete darüber sprach, wo man anschließend hier noch hingehen könnte, demzufolge kein Einheimischer. Aha. Rakete antwortete, was ich ihm auch als für ihn passend auf den Kopf zugesagt hätte, am besten in die Paris Bar, die ist auch nah, da kann man nichts verkehrt machen. Inzwischen hatte ich mir gedanklich zurechtgelegt, dass es wahrscheinlich irgendeinen gemeinsamen Umtrunk mit Lindbergh und seiner Truppe geben wird, wo die Herren, die sich wahrscheinlich seit Gott-weiß-wann kennen, den Abend ausklingen lassen und ihre alten Anekdoten austauschen.



Ungefähr zwei Stunden später war ich dann endlich innerhalb der Schlange beim Café, wo Lindbergh ganz hinten saß und signierte. Mittlerweile gab es eine Ansage, dass bitte nicht mehr als zwei Sachen zum Signieren vorgelegt werden sollen, sonst werden wir heute nicht mehr fertig! Ich hatte ja nur das eine Buch und dachte aber, als zweites wäre die weiße CO-Tüte auch noch sehr hübsch, mit so einer Lindbergh-Signatur, wenn schon, denn schon. Um es kurz zu machen: ich stellte mich schon psychologisch darauf ein, dass ich ein freundliches Lächeln, Guten Tag und Auf Wiedersehen empfangen werde, und fertig ist die Laube. Die interessant geschminkte Lady ging immer mal wieder an mir mit ihrem Mann an der Schlange vorbei, meistens mit einem frischen Glas Weißwein in der Hand, und erkundigte sich bei mir besorgt, ob ich immer noch nicht dran wäre, was ich sehr warmherzig fand, denn die anderen fragte sie nicht. Bei dem Hin und Her war ich nun schon langsam wirklich neugierig geworden, warum die beiden so einfach mir nichts, dir nichts, an den Ordnern vorbei, hin und herlaufen können und warum sie sich überhaupt so ausdauernd dort aufhalten. So konnte ich mir nicht verkneifen, ihm zu sagen "Ich möchte ja mal zu gerne wissen, was man für einen Namen haben muss, um hier einfach so durchgehen zu können!" Er: "Phh - ich will ja kein Buch signieren lassen, wie die alle." Das war mir nun schon klar, mittlerweile. Auf einmal sehe ich, wie er zehn Meter von mir entfernt von einem Reporter mit Fernsehkamera interviewt wird und ich ärgere mich langsam fast schon, dass ich keine noch so kleine Ahnung habe, wer der komische Kauz mit der kostspielig aussehenden Retro-Brille und dem Einstecktuch ist.



Vielleicht ein Kunstkritiker, den ich nicht kenne? Irgendwer vom Feuilleton? Da weiß man ja auch nicht, wie die aussehen. Auf jeden Fall scheint man sich für seine Meinung zu interessieren. Na toll. Hm. Immerhin sehe ich Lindbergh schon, er sitzt, ganz hinten auf der Bank, es geht nun plötzlich zügig voran. Mir wird mein Buch von einem Assistenten aus der Tüte genommen und mein Name wird ihm mitgeteilt. Die Audienz kann beginnen. Ich hatte ja diesen Kuhfellmantel an, der aber kein echtes Kuhfell ist, sondern so ein Webpelz aus einem Baumwolle- und Viskose-Gemisch. Peter Lindbergh begrüßt mich mit einem Blick, als wäre er gerade aufgewacht und einem sehr freundlichen "Hallo!" und "Na - was haben wir denn hier? Das ist ja mal ein Mantel, ist das eine Kuh?"




Ich kläre ihn auf, worauf er meint, da hätte ich aber noch mal Glück gehabt. Und dass er mir jetzt etwas in das Buch schreiben würde, wo ich was zum Nachdenken hätte. Aber ich dürfte es erst zuhause durchlesen. Und dann würde ich mir wahrscheinlich denken: "Der blöde Hund!" Er grinst mich über seine Brillenränder an, auf eine Art, dass man keinen Zweifel haben kann, dass er es faustdick hinter den Ohren hat. Er scheint sich sehr über sich und auch mich zu amüsieren und ermahnt mich noch ein weiteres mal, es erst zuhause zu lesen. Das finde ich blöd und sage "Na toll, möchte ja mal wissen, was da jetzt nun drin steht! Zur Strafe wird jetzt aber noch die Tüte signiert, hier, los! Auf gehts!" Er signiert die CO-Tüte und ich gucke ihn extra böse dabei an. Er muss lachen und ich sage "Danke" und "Tschüs" und drehe mich um. Und als ich schon fast zur Tür raus bin, ruft er mir laut hinterher: "hey - - - ! Ganz toll - ganz toller Mantel, ganz, ganz toll, WIRK-LICH!!!"



Und zwinkert mir ein letztes Mal zu. Das war natürlich keine weltbewegende Konversation, aber im Vergleich zu denen vor mir, war das doch für seine Verhältnisse ein beträchtlicher Palaver und ich hatte Gewissheit, dass es bestimmt sehr lustig und kommunikativ wäre, mit ihm zu arbeiten. So wie ich es mir eigentlich gedacht habe. Nun bin ich ja nicht in der Verlegenheit mit ihm zu arbeiten, aber ich habe verifiziert, dass er in etwa so tickt, wie ich es mir immer schon dachte. Ganz unkompliziert.






Bevor ich die Klinke in die Hand nahm, mit meiner signierten Tüte mit dem Buch, kam ich noch ein letztes mal an dem lustigen Mann vorbei und ich hatte nach den vielen Begegnungen inzwischen das Bedürfnis, mich von ihm zu verabschieden, obwohl ich immer noch nicht wusste, wer er ist. Ich sagte zu ihm. "Sie halten es aber auch ganz schön lange hier aus, obwohl Sie doch gar nichts signiert haben wollen, wie kommt das?" Er: "ich bin der Herausgeber. Ich habe noch nie irgendwo einen derartigen Andrang für ein Buch gesehen. Das schlägt alles, was ich bis jetzt gesehen habe. Aber ist natürlich erfreulich. Schönen Abend noch! Auf Wiedersehen!" "Verstehe. Danke, Ihnen auch. "Herausgeber" ist er also, mal daheim in Ruhe nachschauen, steht ja vielleicht im Buch drin.





Zuhause habe ich dann überhaupt das Buch erst einmal in Ruhe angeschaut - aber vorher schon in der S-Bahn die Widmung gelesen. Er hat mich ein bißchen auf den Arm genommen, der gute Peter Lindbergh, denn es steht nichts drin, was mir Anlass geben würde, ihn als blöden Hund in Erinnerung zu behalten. Im Impressum vom Buch stand dann aber nicht Herausgeber mit Vor- und Nachname, nur der Grafiker, der das Layout gemacht hat und wer die Texte geschrieben hat, u. a. Wim Wenders und Peter Handke. Im Schirmer-Mosel-Verlag erschienen. Ein nicht unbekannter Verlag, von dem wohl so ziemlich jeder den einen oder anderen Bildband im Regal haben dürfte. Ja, wer ist aber denn der Herausgeber? Wenn man also Schirmer und Mosel und Herausgeber googelt, kommen immer nur so Suchergebnisse, wo es um den Verlagsinhaber geht, der Lothar Schirmer heißt. Hm. Grübel, grübel. Mal Bildersuche machen, wie der ausschaut. Manchmal stehe ich ein bißchen auf der Leitung. War jedenfalls trotz der Warterei ein amüsanter Abend. Nichtzuletzt auch wegen Herrn Schirmer, dem lustigen Mann mit der Retrobrille und dem Einstecktuch, und seiner nett mitfühlenden Frau mit dem Lidstrich.






10. Mai 2015













































"Arbeit am Mythos". Das muss Vera von Lehndorff sicher nicht mehr tun, mehr Mythos zu Lebzeiten geht nicht. Es war nicht das erste mal, dass ich sie leibhaftig erleben durfte, und ich glaube, hoffe, auch nicht das letzte mal. Sechs Jahre ist es her, dass ich sie sah. Am vierzehnten Mai wird sie sechsundsiebzig. Dass CO dieses Symposium veranstaltet hat, bei freiem Eintritt, war eine wunderbare Idee. Sie erzählte von den Dreharbeiten zu Blow up, wie detailverliebt Antonioni mit der Ausstattung und den Requisiten war, wie er jeden Aschenbecher millimetergenau vor einer Aufnahme auf einem Tisch in Position rückte, farblich unpassende Häuserfronten bei einer Aufnahme durch ein Fenster umstreichen ließ. Und andererseits völlig gleichgültig, wenn es um Dialoge oder Befindlichkeiten der Schauspieler ging, dem brachte er kaum Interesse entgegen und wollte damit in Ruhe gelassen werden. Veruschka hatte das originale Kleid aus einer der Partyszenen dabei, dieses Ding, dass sie sich vorhält. Inzwischen eine Reliquie, die mit Beifall bedacht wurde. Ich hatte das Glück, einen Platz ganz vorne, in der Mitte der ersten Reihe zu bekommen. Jan war auch da und saß zu meiner Linken. Ich habe ein Foto gemacht, wo er sich mit Veruschka unterhält. Sie erzählt sehr unterhaltsam und hat viel Humor. Ich mag sie von Herzen gerne und empfinde sie als unverändert inspirierend. Sie ist meine erklärte Lieblings-Ikone.

08. Mai 2015

Heute vor siebzig Jahren. 8. Mai 45. Berlin im Sommer 1945

"Berlin als Stadt, meint ein britischer Besucher, ist völlig zerstört. Die Ruinen des einstigen Berlin sollten als modernes Babylon oder Karthago bewahrt werden, als Denkmal für den preußischen Militarismus und die Schrecken des Nazi-Regimes. Die Stadt ist völlig tot. Man fährt Kilometer auf Kilometer durch verlassene Ruinen und findet nichts Bewohnbares. Berlin kann niemals wieder aufgebaut werden."

"Der erste Eindruck von Berlin aus der Luft war so, dass ich zu Mitfliegenden sagte, ich glaube Berlin kann man vergessen, wahrscheinlich muss man die Stadt an anderer Stelle wieder aufbauen. (...)"

"Ein anderer Besucher des verwüsteten Berlin ist der Meinung, dass nur sehr wenige Menschen das Verschwinden dieses unliebenswürdigen Parvenus unter den europäischen Hauptstädten bedauern würden."

"Ein Journalist der New York Times hofft im Sommer 1945, dass die Auslöschung Berlins den Beginn einer erneuten Zivilisierung Deutschlands einleiten könne."

"Ein Begriff der von den Soldaten häufig benutzt wurde, war: 'Dies ist eine Mondlandschaft.' Für die damaligen Zeitgenossen war dieser Anblick etwas Unvorstellbares. Ich habe einen sehr interessanten Bericht von einem amerikanischen Soldaten, der in Berlin groß geworden ist, gelesen, und der sich gut in der Stadt auskannte. Als Jugendlicher läuft man ja überall herum und erläuft sich ja auch eine Stadt. Und der konnte - sagt er - sich teilweise nicht mehr in der Stadt orientieren und musste die Sonne zu Hilfe nehmen, weil die Straßenzüge ja nicht mehr da waren. Und durch diese Unmengen von Schutt natürlich ja auch völlig aus der Ordnung geraten waren, das heißt, es gab fast keine Orientierungspunkte mehr."


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