10. Mai 2012
Ich habe eigentlich nur einmal am Verstand der Kuratoren gezweifelt. Als ich vor dem einsamen Schaukästchen mit einer aufgebügelten lila Latzhose und einem Courage-Heftchen stand. Bis dahin hatte ich doch für möglich gehalten, dass auch die eine oder andere Frau an der Ausstellungskonzeption beteiligt gewesen sein könnte. Oh, oh. Schnell weiter. Ich kam ja nun gerade aus dem Dritten Reich und wollte mir nicht gleich wieder die soeben halbwegs erfolgreich von statten gegangene Erheiterung angesichts des ersten Quelle-Katalogs, des wohlbekannten Grundig-Tonbandgerätes (mein Vater hatte das auch) und der feschen Plakate, vermiesen lassen. Ah, da hinten fällt ja gerade die Mauer, nichts wie hin! So, Neunundachtzig, Wiedervereinigung bums fertig!
Nein. Nicht fertig. Bevor wir in die Gegenwart entlassen werden, müssen wir noch da durch. Durch diese Meter an dieser fast leeren, sehr stillen Wand vorbei. Mit den beiden grobkörnigen, verwischten Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Sie zeigen zwei einzelne Portraits. Das Gesicht von Sophie Scholl. Und das Gesicht ihres Bruders, Hans Scholl. Man kann da nicht einfach so vorbeihuschen. Weil die Gesichter den Blick bannen, so einsam wie sie an dieser großen Wand im Halbdunkel hängen. Gerade waren da doch noch die lustigen Elvis-Schallplatten, der Petticoat und "Das Deutsche Raumfahrtspiel" und alles war wieder bunt und lustig. Aber jetzt sind da wieder Sophie und ihr Bruder und erinnern uns. Und das ist gut. Und jetzt dürfen wir gehen. In eine neue, bessere Zeit. In unsere Zeit. Sie liegt an uns. An mir und an Dir.
g a g a - 10. Mai 2012, 22:49