Jetzt fällt es mir wieder ein. Vor zwei Nächten ein erinnerbarer Traum. Ich bin im Traum zeitgleich an zwei Orten. Zum einen bei einer privaten Einladung zuhause bei
Alban Nikolai Herbst, wahrscheinlich anlässlich seines Geburtstags. Die opulent mit vielen Bücherwänden und Trouvaillen ausgestattete Wohnung sieht größtenteils aus wie in der Realität, nur eine Wand ist anders und führt über eine erhöhte, dunkle Holzstufe zu einer kleinen ebenfalls dunkel holzgetäfelten Zimmer-Bühne, auf der sich ein demnächst lesender Schriftsteller positioniert hat.
Der Autor auf der Bühne gilt als sehr renommiert und schreibt anspruchsvolle Bücher mit philosophischem Einschlag. Altersmäßig circa Anfang bis Mitte Sechzig. Äußerlich sieht er aus wie eine Mischung aus Peter Handke und Peter Sloterdijk in etwas verjüngter Ausgabe (beide sind real älter, Sloterdijk Mitte Siebzig und Handke Anfang Achtzig).
Szenenwechsel. Der andere Ort ist eine andere Wohnung und das Schlafzimmer. Das Zimmer ähnelt keinem Raum, den ich je bewohnt hätte, es ist schlauchartig, ca. 6 Meter lang und drei Meter breit, sehr hell mit weißen Wänden und sonst in Pastellfarben eingerichtet. Hauptsächlich dominiert das eher schmale Bett mit einem gardinenartigen Überwurf mit Volants, der Stoff sieht aus wie preisgünstige rosa Kunstfaser, halb transparent. Ich nehme an Nylon. Qualität in etwa wie ein Frisier-Umhang aus den Siebziger Jahren. Die übrige Einrichtung geht in Richtung Schleiflack und romantisches Jungmädchenzimmer. Ein verschnörkelter weißer Vogelkäfig (ohne Vogel) baumelt als Deko herum.
Auf dem gesamten Bett sind Oberteile meiner Garderobe arrangiert, die ich an Freundinnen verkaufen möchte. Eigentlich so ziemlich alles an Oberteilen, was ich (im Traum) habe. Jedes ist auf seine Art extravagant und aufwändig in den Details. Überall finden sich Stickereien und Borten und ausgefallene Muster und Materialien. Lauter „It-pieces“ sozusagen, oder sagt man: „Statement-Teile“(?). Wenn man ein solches Oberteil anhat, braucht man keinen anderen Hingucker mehr.
Ich selbst trage für meine Verkaufs-Aktion auch eines der Teile, um zu zeigen, was das hermacht. Nämlich einen weißen, langärmligen Angora-Pullover, der ganz fluffig und flauschig aussieht, wie ein Federkleid von einem frischgeschlüpften Küken. Darauf sind in regelmäßigen Abständen Hunderte von weißen Zuchtperlen genäht. Obwohl ich träume, denke ich noch im Traum: „das ist ja gar nicht mein Geschmack, viel zu protzig, madamig und tussimäßig“.
Ich halte die verschiedenen Oberteile gegen das Licht und habe plötzlich Besuch von einer ersten Interessentin. Es handelt sich um eine Bestseller-Autorin, die Trivial-Literatur verfasst, wie man das so nennt. Die Dame sieht aus wie Gaby Hauptmann, trägt aber den Namen einer der beiden anderen bekannten Schreiberinnen dieses Fachs: entweder Sandra Paretti (†) oder Utta Danella.
Sie hat mir ein dickes Taschenbuch mitgebracht, das ich höflich entgegennehme und beschließe, als nächstes Buch zu lesen. Eigentlich ist mir das Genre zu trivial, aber ich habe alle Bücher gelesen, die mich jemals so richtig interessiert haben, mein Bücherstapel ist fertig gelesen und nun muss ich eben mit solchen Büchern weitermachen. Einzige Alternative wäre, gar nicht mehr zu lesen.
Szenenwechsel, wieder bei Alban. Wir sitzen bei ihm am Tisch, es gibt Wein und ich habe das Buch von Gaby Hauptmann-Paretti-Danella dabei, etwas verschämt. Peter Handke-Sloterdijk ist nun kurz davor, seine anspruchsvolle Lesung zu beginnen, wir schauen Richtung der kleinen Zimmerbühne.
Auf einmal Unruhe in Albans Wohnung, zur Tür kommt als weiterer Gast Gaby Hauptmann-Paretti-Danella, die mit Alban weder bekannt noch befreundet ist, und hält Ausschau nach einem freien Stuhl, um der Lesung von Peter Handke-Sloterdijk ebenfalls beizuwohnen. Während sie so suchend um sich schaut – sie trägt nun ein helles Oberteil, eventuell meinen Perlen-Pullover – erhascht Peter Handke-Sloterdijk ihren Blick und begrüßt sie über unsere Köpfe hinweg sehr vertraulich zunickend. Sie grüßt ihn ebenfalls und sie wechseln mit gesenkter Stimme einige Worte. Sie duzen sich und werfen sich tiefe, einvernehmliche Blicke zu. Es ist sofort klar, dass sich die beiden näher kennen. Nicht unbedingt als Liebespaar, aber dass sie allermindestens ganz dick und langjährig befreundet sind.
Ich bin sehr erleichtert, dass es dann ja doch nicht so peinlich ist, dass ich einen ihrer Romane bei mir habe, denn Peter Handke-Sloterdijk wird ja wohl nicht mit jemandem befreundet sein, der völlig unterirdische Lektüre verfasst. Das ist dann ja quasi von höchster intellektueller Stelle abgesegnet, Hauptmann-Paretti-Danella-Werke mangels anderer Bücher zu lesen.
Das inspiriert mich gleich, Alban den Vorschlag zu unterbreiten, er könnte sich doch auch mal in dem Genre ausprobieren, als Nebenverdienst. Das müsste er doch aus dem Ärmel schütteln, denke ich mir. Dann bin ich aufgewacht, ich konnte ihm die Geschäftsidee leider nicht mehr unterbreiten. Was aus dem Verkauf meiner Pullover geworden ist, weiß ich demzufolge auch nicht. Wahrscheinlich liegen sie immer noch auf dem Bett mit der rosa Nylondecke herum!