27. Mai 2010

Freitag, der 14. Mai 2010. Die Fortsetzung meines kleinen Reisetagebuchs. Cosmic und ich sind gegen 14.00 Uhr - meinen wir uns zu erinnern - wir wissen es nicht mehr so genau - am Rückertdenkmal mit Dr. Kreutner verabredet, der eine Rückert-spezielle Stadtführung durch Schweinfurt machen will. Cosmic ist Mitglied der Rückert-Gesellschaft, die ihren Sitz in einem fantastisch schönen Turm hat, wie man sich den sprichwörtlichen Elfenbeinturm vorstellt. Es ist der sogenannte Schrotturm und ich habe versäumt, ihn zu fotografieren, weil ich jedesmal, wenn ich in der Nähe war, kein gutes Licht hatte und vor meinem inneren Auge den weißen Turm vor indigoblauem Himmel sah. Was auch in Schwarzweiß ganz hervorragend ausgesehen hätte, aber es hat nicht sollen sein! Gibt ja auch genug Bilder von dem putzigen Turm.



Vorher war noch ein bißchen Zeit, und wir nutzen den Weg zum Marktplatz, um die Altstadt ein wenig mit unseren Handzetteln und zwar kleinen aber doch anmutigen Plakaten zu verschönern. "UNSER DORF MUSS SCHÖNER WERDEN!" Im ersten Schreibwarengeschäft am Platze erstand Cosmic noch Tesafilm, damit die von ihm anzubringenden Plakate möglichst reinlich wieder entfernt werden könnten. Ich dagegen hatte meinen dicksten Klebestift dabei, der mir genau passend erschien, um meine Informationsdokumente möglichst nachhaltig anzubringen. An etwas Schönem möchte man sich schließlich länger erfreuen, auch wenn die angekündigte Feierlichkeit schon vorbei ist. Dann gerade! Man ist ja schließlich sentimental. Wir waren höchstens eine halbe Stunde unterwegs und die Stadt sah schon viel schöner aus. Jeder Laternenpfahl und jeder Pfosten war mir recht. Was für eine Wonne es war, die nackten traurigen Verkehrschilderstangen oder wie das heißt mit meinem Klebestift zu streicheln und unsere schönen Erinnerungsbilder aufzukleben. Eine Freude! Laternenpfahl oder Verkehrsschild, da bin ich nicht heikel! Alles muss schöner werden!



So! Geschafft! Und nun eine kleine Pause, ein wohlverdientes Tässchen Kaffee. Im Café Rialto am Marktplatz. Sogar Markt war heute! Gelegentlich liefen sogar Menschen über den Platz. Am Rückertdenkmal hatte eine Blumenfrau ihren Stand aufgebaut. Es gibt also doch Menschen in der kleinen Stadt! Wie schön.



Wir bestellen eine italienische Kaffeespezialität und gucken in die Luft. Noch ein Zigarettchen. Hach ja.



Auftritt Wachtmeister Dimpfelmoser und Geselle. Der Herr Schutzmann hat eines meiner schönen kleinen Schilder abgemacht und hält den Zettel mit detektivischem Blick ausgereckt in seiner linken Hand und uns vor die Nase. Ob die Zettel von uns sind, will der Herr Wachtmeister wissen und dass es sich in diesem Fall um eine Ordnungswidrigkeit handelt, die zur Anzeige gebracht wurde, falls wir dafür keine Genehmigung hätten und der Polizeipräsident wäre auch schon informiert worden. Hoppla!

Ob wir eine Genehmigung hätten? "Wir hätten gerne eine! Sie sind selbstverständlich auch herzlich eingeladen!" sage ich zum Herrn Wachtmeister. Der Herr Wachtmeister schaut mich eigentlich gar nicht unfreundlich an und meint beschwichtigend, dass es nicht gegen uns persönlich gemeint wäre oder so ähnlich, aber wenn so eine Anzeige gemacht wird, muss man dem eben nachgehen und weil wir keine Genehmigung haben ist es wildes Plakatieren und wird mit einem Bußgeld geahndet und jetzt müssen die Personalien aufgenommen werden. Ich sage zum Herrn Wachtmeister, dass es bestimmt schön wird am Samstag, also 20.00 Uhr, damit er es nicht vergisst. Die Strafe soll 30 Euro kosten, ich will wissen, ob ich das nicht einfach so bezahlen kann? Nein, die Personalien! Die Personalien müssen aufgenommen werden! Das muss alles seine Ordnung haben.

Cosmic begehrt auf (Rebellion und so), dass er den früheren Polizeipräsident kennt und auch den Bürgermeister, den Remelé. Ich will gerade den Perso zücken, als der Herr Wachtmeister plötzlich vorschlägt, man könnte sich ja eventuell darauf verständigen, dass es nur einer von uns beiden war. "Also sollen wir sagen ER WAR'S?" fragt er und guckt Cosmic und mich abwechselnd eindringlich an. Ich glaube, das nennt man dann suggestiv oder so. "Ja! Dann war's er!" pariere ich. Cosmic gibt seine Adresse in Berlin an, was den Herrn Wachtmeister mächtig irritiert. "Sie haben keinen Wohnsitz in Schweinfurt? Überhaupt keinen?" "Nein, ich bin nur in Berlin gemeldet." "Aber Sie kennen doch den Bürgermeister?" "Ja, das ist mein Freund bei facebook!" "Ja also, der Bürgemeister, der hat die Möglichkeit den Bußgeldbescheid aufzuheben, der kann das! Dann müssen Sie eben an ihn herantreten, der hätte eventuell die Möglichkeit!"

Um die Atmosphäre etwas aufzulockern, schlage ich vor, ein Erinnerungsfoto zu machen. Der Herr Wachtmeister ist auch gleich einverstanden, legt aber Wert darauf, dass sein Kopf nicht darauf kommt. Leider hält er unseren schönen weißen Informationszettel "Romantik Liebe Rebellion" falschrum, so dass man nur ein weißes Viereck sieht. Das beschäftigt mich ein paar Sekunden, als er selbst darauf kommt und mir behilflich ist: "Ach! Ich muss es bestimmt andersrum halten!" "Ja!" sag ich, "so ist es schön!". Das Bild ist im Kasten und ich bin recht zufrieden. Eine Begegnung, an die man sich gerne erinnert und noch seinen Enkeln davon erzählt!



Endlich kommt auch der wackere Geselle zum Zuge. Der bislang recht stille junge Mann erinnert sich, dass man in solchen Fällen ja auch noch ein Schuldbekenntnis abverlangen kann, so eine Art Protokoll über den Vorfall und die Einsicht und Reue des Täters. Sehr praktisch für Cosmic als eindeutigem Täter ist, dass der Geselle das Entschuldigungsprotokoll selber aufsetzt, auch sehr schön fomuliert! Das unterschreibt man dann auch gerne:



"Ich habe nicht gewusst, das "wildes" Plakatieren in der Innenstadt von SW verboten ist. Es tut mir leid. Ich mache es auch nie wieder."

Cosmic
(Unterschrift)

Auch dieses wichtige Protokoll konnte nur mit der tätigen Unterstützung des jungen Herrn Wachtmeisters fotografiert werden. Er hat den Zettel extra ruhig gehalten. Danke noch einmal dafür! Auch ich verspreche auf die Bibel, dass ich nie mehr an dieselben Stellen Sachen hinkleben werde, wo ich gerade Sachen hingeklebt habe. Großes Ehrenwort! Zum Abschied erinnere ich noch einmal an unseren Auftritt in der Disharmonie: "Also, 20 Uhr!" Bestimmt haben wir zum Abschied noch gewunken. Eine sehr schöne Urlaubsbegegnung!



Aber nun auf zur Führung! Der Stundenzeiger rückt auf Zwei und wir stehen pünktlich am Denkmal aber noch kein Dr. Kreutner zu sehen, dabei ist der doch immer sehr pünktlich. Nach weiteren fünf Minuten ist immer noch keiner da und wir beschließen, dass die Treffpunkt-Uhrzeit wohl doch erst um halbdrei war. Wir plakatieren noch ein bißchen weiter, immer mit Erlaubnis der Ladenbesitzer rund um den Marktplatz versteht sich und wieder einmal klingelt Cosmics Telefon. An seinem begeisterten Ausdruck in den Augen erkenne ich, dass es ein unerwarteter und freudiger Anruf zu sein scheint. Es ist der Hannes, sein früherer Bandkollege von Suzi Creamcheese, der offenbar vorschlägt, am Samstag ein bißchen mitzuspielen. Am Klavier. Freude!



Endlich Halbzwei und da kommt er auch schon, der Dr. Kreutner. Und so viele Leute! Es wird eine schöne Führung. So viele Ecken, die mit dem alten Rückert eine Geschichte haben.



Und so viele Parkplätze, wo früher Häuser gestanden haben, in denen er gewohnt hat. Kreutner meint, da gäbe es offensichtlich eine besondere Affinität, dass Parkplätze immer genau das geplant werden, wo früher ein Rückerthaus war. Interessant! Schon toll, die wissenschaftlichen Zusammenhänge, die einem so ein Geisteswissenschaftler näherbringen kann. Aber das wirklich Wichtige bei der Führung kam eher zufällig heraus. Ach was - zufällig. Schicksalshaft! Zwischen zwei Gässchen erzählt Dr. Kreutner, dass Rückert immer gerne einmal im Jahr zur Weinlese nach Schweinfurt zurückgekehrt ist, das war ihm wichtig.



Seine Eltern hatten da nämlich einen Weinberg. "Und wo da genau?" fragt Cosmic. "Da auf der Haardt" sagt Dr. Kreutner. Cosmic wirft mir einen visionsschwangeren Blick zu. Das ist der Ortsteil wo sein Elternhaus steht. "Und wo da genau?" hakt Cosmic merklich aufgedreht nach. "Na da, was heute die Paul Klee-Straße ist, da den Hang herunter, da war der Weinberg von Rückerts Eltern!" Wir schauen uns stumm an. Cosmics Elternhaus ist in der Paul Klee-Straße. Ja, das war eine wirklich schöne Führung mit Herrn Dr. Kreutner. Im Stadtarchiv durfte man sogar im Prachtband des Liebesfrühlings blättern. Und die Haarlocke von Friedrich Rückert hab ich auch gesehen und fotografiert. Richtig blond war er. Oder so graublond. Auf jeden Fall kräftige Haare!



Und danach ins Café. Ich esse eine serbische Bohnensuppe und trinke ein Bier und einen Cappuccino vorneweg. Cosmic isst Käsekuchen, ich helfe ihm, und Cappuccino hinterher. Dazwischen ein Zigarettchen vor der Tür. Wir sitzen auf der Eckbank für's Personal, wir dürfen! Ein schöner Tag. Danke Dr. Kreutner! Danke Schweinfurt!
g a g a - Do, 27. Mai, 02:53

P.S.

Das Rendezvous mit den netten Herren von der Polizei blieb natürlich nicht folgenlos.

cosmic - Do, 27. Mai, 12:00

...danke gaga. schönste erinnerungen!

g a g a - Do, 27. Mai, 20:54

Nie machte es mir mehr Freude, Ordnungswidrigkeiten anzuzetteln als mit Dir.
cosmic - Do, 27. Mai, 21:59

für

ordungswidrigkeiten hätte ich noch mehr ideen...kann man hier in Berlin auch mal probieren...

g a g a - Do, 27. Mai, 22:28

Ich denke, da müssen wir schwerere Geschütze auffahren, als postkartengroße Zettel, um die Hobby-Polizisten auf den Plan zu rufen. Ich würde mal sagen so ab Format 2 x 3 Meter aufwärts. Wobei es mir persönlich gar nicht vorrangig um den Kontakt mit der Polizei ginge ;-)
books and more - Fr, 28. Mai, 15:09

Dolle Geschichte! Vor allem mit dem Wachtmeister. Meinerseits: Kasperl und Seppel unterwegs in den Alpen. Alle Höhen und Tiefen! Berichte folgen in loser Folge! Jetzt erst mal Kaffeemühle.

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