09. Dezember 2012

Vor wenigen Einträgen habe ich noch geschrieben, es fiele mir derzeit schwer, mich für fiktive Geschichten zu erwärmen. Seit ungefähr einer Woche verstricke ich mich in einen Roman, der seit Mitte der Neunziger ungelesen unter meinen Büchern schlummerte. Ich war fertig mit der Autobiographie von Keith Richards und ich überlegte, irgendetwas Neues zum Lesen zu kaufen und es kam mir in den Sinn, dass da ja noch dieses eine, ungelesene Buch wäre. Man könnte es ja zumindest versuchen. Ich weiß gar nicht, wie ich dazu gekommen bin, ob es ein Geschenk war, aber es hat keine Widmung, oder ob in einem Weihnachtspaket - oder etwa doch von mir selbst gekauft, vielleicht weil ich den Titel und den Umschlag interessant fand? Ich kriege es nicht mehr zusammen. Das Buch heißt Kurakin und ist von einer österreichischen Autorin und Übersetzerin. Eine Liebesgeschichte, ausgerechnet. Geschichten aus dem All. Nein, nur eine. Ich bin ganz gefesselt. Spielt in Budapest, dann in Wien und später in Paris. Eine junge Wienerin verliebt sich in einen sehr viel älteren Mann, einen sehr virilen russischen Journalisten, der ihr die große Welt, aber vor allem sich selbst näherbringt. Dieser dauerelektrisierten Vorstufe von erotischer Entladung, diesem Erwarten und Phantasieren und Sehnen wird die Verfasserin sehr gerecht. Ach ja, Hanna Molden heißt die Autorin. Sie ist mit dem Widerstandskämpfer, Journalist, Autor und Verleger Fritz Molden verheiratet. Das Ganze spielt Anfang der Sechziger Jahre an detailgenau benannten, realen, sehr eleganten Schauplätzen. Hotels, Restaurants, feudalen Plätzen, Bars. Das Wunderbare ist, dass man das alles jetzt parallel umfassend im Internet anschauen kann, dieses eine Palais in Wien hat eine furiose 3-D-Animation. Geradezu phantastisch, das Palais Pallavicini am Josephsplatz. Wo sie sich bei einem Empfang, durch ihn initiiert zum zweiten Mal begegneten und zum ersten mal wirklich nahe kamen. Vor allem später in der Roten Bar im Hotel Sacher und anschließend in der legendären Eden Bar. Eine schöne kleine Städtereise ist das auch. Ich sehe das schwarze raschelnde Cocktailkleid vor mir, dessen Reißverschluss er im Taxi wieder schließen muss, nachdem sie dreimal um den Ring gefahren sind, sie wohnt noch bei ihren Eltern, obwohl schon Anfang Zwanzig. Was studiert sie eigentlich - ah ja, Jura. Jus wie sie immer schreibt. Er scheint einen obsessiven Charakter zu haben, ist hochcharismatisch und natürlich auch noch anderweitig gebunden. Ein Charakterschädel ohne Haare, hochgewachsen und kräftig. Ich lese noch ein paar Seiten. Zum Einschlafen. Kurakin ist übrigens sein Nachname. Und er raucht sehr viel. Pall Mall. Trinkfest und intellektuell. Bestens gekleidet. Tiefe Stimmlage, virtuose, heftige Bewegungen. Unberechenbar. Gut, dass dieser Mann nur in meinem Buch lebt.
zuckerwattewolkenmond - Mo, 17. Dez, 21:53

"noch dieses eine, ungelesene Buch"

Du hast es gut - bei mir lagern bestimmt an die Hundert ungelesene Bücher. Darunter auch Romane und Klassiker, die ich unbedingt lesen wollte. Aber zu fiktiver Literatur bekomme ich gerade ebenfalls nur schwer Zugang, weshalb ich dann doch häufiger Sachbücher und Biographien lese.

g a g a - Mo, 17. Dez, 21:59

Vielleicht war der Kurakin-Roman ein Glücksfall. Ich brüte, wie ich herausfinden kann, wo die anderen Romane versteckt sein könnten, die mich bewegen. Was ich gar nicht mag, sind Romane, die in Rüschenkleider-Epochen spielen. Der Kurakin-Roman spielte Anfang der Sechziger, das konnte ich mir plastisch vorstellen. Ich mag diese Epoche, diese Zeit des Aufbruchs und Aufbegehrens. Ich glaube, ich mache mich jetzt mal schlau, demnächst, indem ich nach langer Zeit wieder einmal in einen Buchladen gehe. Zuletzt hat mich davor - weil ich auch selten Romane lese - Friedrich Hollaenders Roman Menschliches Treibgut bewegt. Sehr dicht und detailliert, über den Weg ins Exil von Berliner Künstlern zur Nazizeit. Und eben nicht zusammengesponnen, sondern real erinnert, dennoch in eine fiktive Geschichte verpackt. Bzw., wenn man weiß, wer gemeint ist, weiß man von wem jeweils die Rede ist. Ich mag es, wenn sehr detailverliebt beschrieben wird, Kleidung, Möbel, Restaurants, Gefühle... Und unbedingt schonungslos, abgründig. So wie man in Blogeinträgen nie schreibt. Um sich zu schützen. Die eigene kleine, fragile Existenz.

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