19. November 2014
Verabredung um Sieben im Museums-Quartier. Auf den Stufen vom Kunsthistorischen Museum (KHM) sitzt Victor und raucht eine. In der Hand unsere Karten, die er schon vor Monaten besorgt hat. Die Aufführung im Museum ist immer schnell ausverkauft, so beliebt ist sie, und so begehrt die Karten. Ganymed heißt die Inszenierung. Vor einem guten Dutzend berühmter Gemälde spielen Schauspieler und auch Musiker ein kleines Stück, das extra dafür geschrieben und inszeniert wurde. Ungefähr zehn, fünfzehn oder auch zwanzig Minuten dauert jede Aufführung. Es sind recht bekannte Schauspieler dabei, wie Nicole Heesters und Maria Bill, die zum Beispiel vor dem kleinen, aber umso erschreckenderen Gemälde von Peter Paul Rubens "Das Haupt der Medusa" die vernichtete, körperlose Kreatur darstellt. Ihr Kopf in einem Blutbett aus rotem Samt, spricht verzweifelte Sätze. Daneben schlängelt sich der der kopflose Rest, der nackte Körper einer jüngeren Frau.
In den prunkvollen Sälen des Museums stehen samtgepolsterte Rundbänke und inmitten Podeste, die zur Bühne werden. Man geht wie im Kreis, von einem Saal zum nächsten, hört eine Weile hin, bleibt. Oder geht nach ein paar Minuten weiter, irgendetwas fängt gerade wieder an. Die Bilder werden nicht so sehr beachtet, sie stehen oder hängen zwar oft ganz nah, aber das ist eine Kunst für sich, diese alte Malerei. Der zornige Monolog der Medusa war recht eindrucksvoll. Und dann zwei Säle weiter, hör ich leise Musik. Ein Wienerlied. Keines, das ich schon einmal gehört hätte. Zu einem Bild vom "Heiligen Hieronymus" Zwei jüngere Männer im Saal, einer spielt Harmonium, weiter nichts. Die Strottern. Der Klang des Instruments geht mir durch und durch. Ich bin ganz aufgewühlt von dem Klang und davon, dass mich das dermaßen anrührt. Ich habe nur einmal in meinem Leben ein Harmonium live gehört. Neunzehnhundertfünfundachtzig bei einem Konzert von Nico. Ich stand ganz vorn. Und Duke war auch da. Aber wir hatten uns dort nur getroffen, nicht verabredet. Jetzt ist er auch wieder da, als ich zum zweiten mal, fast dreißig Jahre später, wieder ein Harmonium höre. Dann fängt der eine an zu singen. Wienerisch. Ganz leicht zu verstehen. Der Text ist so simpel, ich bin geradezu erschüttert. Man wundert sich, warum jemand überhaupt noch komplizierte Sachen schreibt, wenn doch so einfache Worte derart bewegen können. Ich bin ewig dankbar, dass ich jene Aufnahme dieses Liedes entdeckt habe. Jemand von der Crew hat Filmaufnahmen gemacht und zusammengeschnitten. Und genau das Lied darunter gelegt. Man muss gar nichts weiter dazu sagen.
Ich hatte den schwarzen Mantel mit den großen weißen Blumen an. Der hat ganz kleine Taschen, fast alles was man hineinsteckt, fällt bald heraus. Aber das Papiertaschentuch, das ich immer mitnehme, war noch drin. Ich habe es gebraucht. Da waren auch noch andere beeindruckende Dinge, wie das andere musikalische Stück mit der Violine und dem Plattenspieler und dem jungen Mann im goldenen Rock. Und das Prachtcafé unter der Kuppel, wo ich mir einen Kaffee bestellt habe und Duke etwas Kaltes, und der Ober hat was Anderes verstanden und ihm einen gespritzten Apfelsaft gebracht. Das war ein bißchen unglamourös, als abendliches Getränk. Aber das Drumherum dafür das Gegenteil. Ganz und gar feudal. Den Louvre habe ich nicht so prächtig in Erinnerung, wie das Kunsthistorische Museum. Und der Fußboden mit dem schwarzweißen Marmor-Mosaik ist unvergleichlich beeindruckend. Semper war einer der Baumeister. Der Fußboden und das Wienerlied. Das war das Schönste. Ich glaube, außer mir hat keiner geweint. Aber vielleicht habe ich es auch nur nicht bemerkt. Es war halt ein bisserl viel. Ich habe mich ja auch bemüht, es mir nicht zu arg anmerken zu lassen. Und wenn - - eh wurscht.
Der Mensch muss was essen.
Er braucht recht viel Schlaf.
Wenn er einmal hinfällt, dann weint er.
Wenn einmal was geht,
dann bläst er sich auf.
Allein wird er wurlert.
Zu zweit ist er schwach.
Willen hat er eh keinen.
Wird's eng, na dann
gibt er halt nach.
Sei ja schön.
Aber tu nicht eitel.
Sei ja gescheit.
Aber tu nicht groß
Wünsch dir nichts.
Und red' nicht zu viel.
Nimm Alles wie's ist.
Anstandslos.
Sei ja fleißig.
Aber schaff dir nichts.
Wenn es wo glitzert,
dann halt dich fern.
Nutz die Zeit.
Lies nicht zu viele Bücher.
Bleib gesund.
Denk jeden Tag ans Sterben.
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst nicht. (Ich soll nicht)
Du sollst nicht. (Ich soll nicht)
Du sollst nicht. (nicht)
Du sollst nicht. (soll nicht)
Du sollst nicht. (soll nicht)
Du sollst nicht.
Die Strottern. Ein bisserl viel
: : alle Wiener Geschichten : :
g a g a - 19. November 2014, 23:27