10. November 2012
Ich nehme an, ich wollte das Fenster öffnen oder kippen, um frische Luft hereinzulassen und sah, wie man so sagt, wie vom Donner gerührt, zartvioletten Himmel und den tieforangen Reflex in der Scheibe vom obersten Stockwerk des renovierten Hauses, in dem unten das Al Contadino ist. Und dazu den Fernsehturm in einem femininen, lachsrosa Abendkleid, obwohl es doch gar kein Festival of Lights im April gibt. Die Kamera geholt, schnell Weißabgleich, damit die Farben nicht verfälscht werden, kein Stativ, denn bei so seltenen, überraschenden Himmelseindrücken gilt es, keine Minute Zeit zu verlieren. Ich fotografiere nicht mehr so oft aus dem Fenster. Man sieht hier ja eigentlich nichts, was man unter einem klassichen Sunset, Sonnuntergang versteht. Keinen direkten Sonnenball, der versinkt. Das habe ich oft genug fotografiert, mit der Silhouette der Synagogenkuppel im Westen. Das hier ist der Blick gen Osten, Südost und Norden, genau die Seite, die beim Sonnenuntergang als uninteressant gilt, die eigentlich Unspektakuläre. Aber diese Reflexe und Farben wollte ich festhalten. So einen zart violetten Himmel mit so tieforangen Reflexen in der Spiegelung habe ich in den dreizehn Jahren aus dem Fenster noch nie gesehen. Im Zeitalter von Instagram-Filtern, die über jeden noch so simplen Schnappschuss mit Zauberhand ein fast immer künstlerisch virtuos wirkendes, oft sogar subtiles, hochattraktives Farbspektrum legen, mögen solche ungefilterten Aufnahmen nicht mehr sonderlich beeindrucken. Aber ich weiß, dass die Welt aus meinem Fenster am sechsundzwanzigsten April genau so ausgesehen hat, ungefiltert. Auch wenn ich hastig unterwegs bin, gerade bei meinen Daily Shots, aber auch sonst, lege ich bei den Farbaufnahmen immer Wert auf den Weißabgleich, das naturgetreue Farbspektrum. Die einzige Filterspielerei, die ich mir erlaube, sind Schwarzweiß-Versionen. Ich bewundere oft die Ergebnisse, wenn jemand sehr subtil - subtil wohlgemerkt - mit Filtern arbeitet oder photoshoppt, das ist sehr, sehr zeitaufwändig, das weiß ich von Jan, der darin ein Meister ist. Wenn ich meine Bilder derart bearbeiten würde, gäbe es wahrscheinlich nur noch fünf bis zehn Bilder pro Woche hier zu sehen. Die Vielzahl, die ich hochlade, wäre nicht im Entferntesten machbar. Man wird wahnsinnig, wenn man ein Bild eine Stunde bearbeitet. Ich jedenfalls. Für andere, als meine privaten Zwecke war das ab und zu erforderlich. No fun. Ich hoffe natürlich, dass meine bis auf Helligkeit und Kontrast ungepimpten Bilder trotzdem Anklang finden. Mir ist der Flow-Charakter des Bilderflusses viel wert. Die fließenden Eindrücke, die vielen Standbilder meiner Tage.
g a g a - 10. November 2012, 16:17