Was macht man nicht alles für die ferne Freundin. "Los, ich will ein Foto sehen!". "Ja, ja... wenn ich in Stimmung bin". War ich dann wohl, vor einer Woche. Es ging um mein autodidaktisches Haarexperiment, dessen Fortschritt ich allabendlich am Telefon berichtete. Okay, ein Foto also. Ah - was nehme ich als Hintergrund? Weiße Wand ist langweilig. Ah...! Da ist ja noch dieses Plakat, das seit dem Winter eingerollt in der Ecke schläft. Ich hätte es so gerne einmal aufgehängt, aber keinen Platz dafür. Es ist so groß.
Kurz vor Weihnachten im letzten Jahr hatte ich ein Kärtchen im Briefkasten, bei der Nachbarin sei ein Päckchen abzuholen. Also in die zweite Etage, wo die sehr nette Nachbarin eine komische lange Papprolle aus der Ecke holt. Ich kriege einen Schreck - oh je, oh je - womöglich ein Bild, das mir ein dankbarer Blogleser zu Weihnachten schenken will... oh Gott oh Gott. Als ich in den Fahrstuhl einsteige, lese ich den Absender "Théâtre du Capitole, Toulouse, Sofiane Bouhassel, Dramaturge" und es schnackelt. Ja, da war doch was. Vor vielen Monaten stellte ich dem Dramaturgen der Oper von Toulouse für eine Inszenierung von Francis Poulencs
Dialogues des Carmélites eine Aufnahme zur Verfügung. Es war eine Fotografie von Rosen im Regen auf einem Gedenkstein für Dietrich Bonhoeffer. Und nun rolle ich das Plakat aus, dessen Größe mich überrascht und stelle mir vor, wo es überall hing, all die Monate in Toulouse... und ich habe es nicht gesehen. Aber jetzt habe ich es ja bei mir.
Es ist sehr schön geworden, mein Name steht auch drauf. Und es ist genau der richtige Hintergrund für das Foto für die Freundin. Aus dem einen Foto wurden dann
hundertdreiundvierzig, wie das immer so ist bei Frau Nielsen, wenn sie in Stimmung ist und der Bordeaux wirkt. Nun ist es also alles verewigt. Die Haare und das Plakat. Alles vergänglich. Aber man muss manchmal auch ein bißchen auf den Pudding hauen, in diesem kurzen Erdendasein. Stimmt's?
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