04. januar 2005

grießbrei. ich muß jetzt schreiben, warum ich mir schon wieder grießbrei gemacht habe. nie, zu keinem erinnerbaren zeitpunkt hat mir grießbrei in den letzten drei jahrzehnten irgendetwas bedeutet. ich muss den letzten teller davon in meiner kindheit, vielleicht ende der sechziger jahre gegessen haben. ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich brei besonders gerne gemocht hätte. ich erinnere mich dunkel an das gefüttert werden. den löffel in den mund geschoben kriegen. von mama. und daran, dass sie den beim essen ver- kleckerten brei aus dem mundwinkel gewischt hat.

1987 musste ich mich einige tage um meine auf einmal halb- verwaisten kleinen neffen kümmern, einer davon war noch im kleinkindalter, zwei jahre. ich erinnere mich, dass ich ihm brei angerührt habe, den er besonders mochte. irgendein fertigprodukt, pulver, das man mit heißem wasser anrührt. nur um die genießbarkeit zu prüfen, probierte ich vor dem füttern immer ein löffelchen davon.

siebzehn jahre später in amerika. ich sitze am frühstückstisch und bin zu gast bei einer navajo-familie im südwesten der usa, dem größten reservat in nordamerika, das sich auf arizona, utah, colorado und new mexico erstreckt. wir sind gerade in utah, der blick aus dem küchenfenster geht nach arizona. weite, stille. frei lebende pferde frühstücken in der morgensonne wüstengras, von keinem zentimeter asphalt am wachsen gehindert.

sara, mobile krankenschwester im reservat, und mutter von fünf kindern, hat das frühstück zubereitet. das, was sie fast jeden morgen für ihre familie, die auf dem rainbow-plateau, der höchsten ansiedlung des reservats lebt, kocht. es gibt bratkartoffeln mit rührei, viel kaffee, navajo fry bread - ein fladenbrot aus weizenmehl, in der pfanne mit öl gebacken. alle erdenklichen sorten von kellogg’s knusperflocken sind im wandschrank griffbereit. joghurt, früchte, milch, eier, käse, honig, orangensaft. eine große flasche tabasco steht immer auf dem tisch. und neben der pfanne mit den kartoffeln steht ein großer hoher topf mit deckel.

in dem topf ist brei. es ist maisbrei. die farbe ist grau mit einem hauch blau. warmer brei. das ist der traditionellste teil des frühstücks. jeder nimmt davon. nicht jeder nimmt von all dem anderen (abgesehen von dem unwiderstehlichen, immer frisch gebackenen fladenbrot), aber jeder der familie nimmt sich ein kleines schüsselchen ‚blue corn mush’. manche rühren zucker hinein. ich bin nicht begeistert vom anblick des blaugrauen breis. er sieht schleimig aus, nicht wirklich lecker. kosten will ich aber schon.

die überraschung ist groß. ich nehme einen kleinen löffel des warmen breis in den mund und er schmeckt wie trost. weich warm und tröstend. als ob man von innen gestreichelt wird. ich fühle mich auf- gehoben, beschützt und versorgt, mit meinem brei-schüsselchen. ich sitze zufrieden da und bin einfach nur dankbar. ich bin wieder ein sattes kleines kind.

'blue corn’, der blaue mais, ist wie mais überhaupt, das heiligste nahrungsmittel für die navajo. ‚the pollen’ ist zentraler bestandteil ihrer spirituellen und weltlichen welt - beide welten sind ungetrennt, den vermeintlichen unterschied zwischen den welten verstehen ohnehin nur wir.

auf dem steinboden, zwischen dem runden esstisch und saras küchenzeile aus dunklem holz, steht ein mahlstein wie aus der steinzeit. er stammt noch von der letzten zeremonie für eine von saras töchtern, einer ‚coming of age-’ oder ‚puberty-cermony’, in dessen verlauf das mädchen drei tage ohne unterbrechung mais mahlen muss, mit unterstützung ihrer verwandten. später wird daraus ein riesiges fladenbrot, von geflochtenen maisblättern bedeckt gebacken, in einem erdofen neben dem hogan, in dem die zeremonie stattfindet (und in dem ich jetzt schlafe).

die anrührenden rituale innerhalb der dreitägigen zeremonie, die darüberhinaus stattfinden, treiben mir fast die tränen in die augen, als sara an einem anderen tag davon erzählt. der in der westlichen welt weit verbreitete begriff 'to walk in beauty’ , um das wesen und ideal ihrer spirituellen welt zu umschreiben, fällt kein einziges mal, schon alleine weil sara pompöse begriffe vemeidet. es gibt nichts prätentiöses in ihrer sprache. aber anmut wie wüstensand. das was sie nicht benennen muß, ist überall spürbar. beeindruckend und mehr als alles andere - zärtlich, anrührend.

vor zwei wochen etwa, im dezember, stand ich in berlin bei mir um die ecke, in dem kleinen spar-supermarkt, auguststraße ecke rosenthaler straße, der von einem asiatischen ehepaar geführt wird. es kann überhaupt keinen netteren supermarkt geben. ich kaufe ungefähr alle drei tage dort ein und aus irgendeinem grund packen mir die beiden seit jahren immer wieder meine tüten. obwohl ich jedesmal selber damit anfange, nehmen sie mir immer wieder zuvorkommend das einpacken aus der hand und lachen dabei schelmisch.

angeblich gibt es das nur in amerikanischen supermärkten. nein. ich kenne das von diesem kleinen supermarkt. allerdings machen die beiden das vielleicht nur deswegen bei mir, weil ich vor fünf jahren durch einen gipsarm einige monate nicht gut selber eintüten konnte. manchmal müssen die kunden nach mir deswegen ein bißchen warten, aber die beiden zelebrieren es wie ein ritual, mit einem warmen lächeln. ich fühle mich verwöhnt wie ein baby. blöderweise habe ich noch nie beobachtet, das sie für andere kunden eintüten. es ist mir ein bißchen ein rätsel, womit ich diese ausnahmebehandlung trotz meines längst wieder gesunden arms verdiene.

in diesem supermarkt stand ich also vor einigen tagen ein bißchen unentschlossen, und mein blick fiel auf eine packung grießbrei. es war kalt draußen, und ich stellte mir plötzlich vor, wie gut es sein müßte, einen teller warmen süßen brei zu essen. zum aufwärmen. ich war selbst überrascht, mit welcher begeisterung ich mich bereits auf den geschmack freute. auf der packung las ich, dass man milch dazu braucht. milch hatte ich.

ich ging schnell nach hause und setzte milch auf. rührte den griess in die aufgekochte milch. ließ den brei fünf minuten stehen. rührte nochmal. banane könnte gut dazu schmecken dachte ich mir. der brei war fertig. ich zündete mein kerzenfeuer an, machte es mir gemütlich und löffelte den brei. und war selig. trost. ich fütterte mich mit tröstendem warmen brei und fühlte mich aufgehoben und zuhause. satt und warm. das war der erste grießbrei seit meiner kindheit.

wenige tage später hatte ich schon wieder appetit darauf. mein zweiter grießbrei wurde richtig raffiniert. ich rührte einen schuss eierlikör hinein, ein paar übriggebliebene milkaherzen und wieder bananen- stückchen. ich aß. ich war selig. ich seufzte. es schmeckte großartig. satt und zufrieden wurde mir klar, dass ich mir dieses vergnügen unbedingt noch oft bereiten muß. die packung grieß war leer.

und heute kaufte ich zwei neue packungen grießbrei. wieder in der bereits bewährten eierlikör-banane-schoko-kombination zubereitet. es müssen keinesfalls milkaherzen sein, die ich ohnehin nur hatte, weil ich sie geschenkt bekam. andere schokolade geht auch. das tolle ist, dass die schokolade langsam weich wird, wenn der heiße brei darüber gelaufen ist und auf der zunge restlos schmilzt. großartig.

ich glaube, es gibt nicht viele erwachsene in unserer kultur, die in betracht ziehen, brei zu essen, außer wenn sie krank sind. aber ich rate es ab jetzt allen. unbedingt. esst grießbrei. was für ein wunder- barer trost an einem kalten winterabend.


trost

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