11. August 2010



Ach ja Frida.
Wäre ja eher verwunderlich, wenn ich mit ihr so gar nichts am Hut hätte. Moment mal, ich mach die Musik aus. Ich kann mich nicht so richtig auf meine Gedanken einlassen, wenn nebenher Musik läuft. Ja also Frida. Fridamania. Ich mag das, dass sie ein Popstar geworden ist. Und auch, dass sie es noch zu Lebzeiten erfahren hat. Es gibt nicht so viele Künstler, die sich so ungeniert in den Mittelpunkt ihres Werkes stellen. Klar, ist mir das nah. Vorgestern, der letzte Tag dieser großen Retrospektive. Ich wie immer im Hinterkopf, ja sollte ich hin... müsste ich eigentlich hin und dann fiel es mir erst wieder einen Tag vor dem letzten ein. Immerhin. Ich reihte mich ein, in die lange Schlange der Menschen ohne besondere Zutrittsprivilegien. Nachmittagssonne, Abendsonne. Hatte vergessen, etwas zu lesen mitzunehmen, kein Buch in der Tasche, weil das eine gerade am Abend zuvor fertig gelesen, das Langhans-Buch. Und ich lese auch insgesamt nicht mehr so viel. Ich verdaue wahrscheinlich mehr, was ich in den letzten vierundvierzig siebenunddreißig Jahren gelesen habe. Und das war viel. Ich hab immer viel gelesen. Nur die letzen zwei, drei Jahre nicht mehr. Aber kommt wieder.

Also auf dem Weg von der U-Bahn Potsdamer Platz zum Gropius Bau in einen Kiosk. Herrje. Ich kaufe nie mehr Zeitungen und Zeitschriften. Wie ein Marsmännchen stand ich vor den Regalen und dachte, was hat mich denn früher interessiert? Oder vielleicht eine Bunte oder Gala? So wie beim Arzt im Wartezimmer? Ein bißchen Klatsch und Tratsch? Aber das sind so Wegwerf-Produkte. Wenn schon Print, dann was ordentlich Gedrucktes. Vielleicht die Vogue. Seh ich gar nicht, da im Regal, mal fragen. Haben Sie die Vogue? Ja, hat er. Also die Vogue. Ich hab von Mitte der Achtziger bis weit in die Neunziger Vogue gelesen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, es wiederholt sich alles. Immerhin kündigt das Cover der Ausgabe an, dass es ein paar Fotostrecken mit Rockstars gibt und ein Jagger-Interview. Ich fühle mich schon ein bißchen zu Hause in dieser Ausgabe. Und eine Coke. Danke.

Also eingereiht. Man sieht dann ja auf dem einen Foto diese Ankündigung "ab hier kann die Wartezeit 4 - 6 Stunden betragen". Wir lachten, wie wir da standen. Man konnte den Eingang vom Gropius-Bau da hinten ja fast schon sehen. So ein Hype "4 - 6 Stunden". Die hauen ja ganz schön auf den Putz. Nun ja. Ein milder Spätsommernachmittag. Ein milder Spätsommerabend. Zweieinhalb Stunden später am Eingang. Der Erlösung nah. Ha ha. Von wegen. Ich hab das ja alles vorher nicht recherchiert usw. ich kann nur versichern, dass ich niemanden außer mir kenne, der in der Ausstellung war, weil sich niemand die Beine in den Bauch stehen wollte und die VIP-Karten schon seit Monaten weg waren. Nun war ich also drin. Im Gropius-Bau.

Schlange Garderobe, Taschen-Abgabe-Pflicht, Kamera diskret am Körper, ich hab keine subversiven Pläne, aber man weiß ja nie. Schlange Karten kaufen. Saukalt zieht es vom dunklen Innenhof, der ein Baugerüst trägt. Aber arschkalt. Ich nahezu barfuß mit meinen Zehensandalen. Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen, dass in so einem Museum die Klima-Anlage zum Anschlag aufgedreht ist, und der alte Kasten sich aber auch sowieso nicht aufheizt. Ich versuche durch Auto-Suggestion meinen Fußsohlen vorzuschwindeln, dass es eigentlich gar nicht so kalt ist, sondern mehr so lauwarm. Schlange Obergeschoss. Man wird in jeder Schlange irgendwann zur nächsten Etappe durchgewunken und so lange muß man eben warten. Aber später mal, wenn man dann drin ist (cirka noch mal zwei Stunden später von Eingangstür unten zu Ausstellungseingangstür oben), in der Ausstellung, darf man sich frei bewegen. Ich hab extra nachgefragt. Und bis zum Schluss bleiben. Fein. Oben ist es nicht mehr ganz so eisig, wenn auch nicht warm. Da muss man jetzt eben durch!

So, drin. Ja, ganz viele Bilder die man kennt. Ganz viele Zeichnungen, die man nicht kennt. Ganz viele Fotos, die man kennt, ganz viele Fotos, die man nicht kennt. Schon schön. Das Gipskorsett mit Hammer und Sichel. Drei Kleider. Eine Halskette.

Am meisten faszinierten mich zwei Zeichnungen, die ich nicht kannte und ein Foto, das mir vertraut war. Die eine Zeichnung war ein Akt einer Frau, ziemlich üppig gebaut. Sehr sexy. Erica (?) Soundso. Und eine ihrer "Ich und Diego, mein Ein und Alles-Zeichnungen". So nenne ich das jetzt mal, hab den Titel vergessen. Die war sehr klein und schlicht und innig. Einen Moment war ich mit Diego versöhnt, obwohl ich eine gewisse Verachtung für ihn hege. Dieser Windhund. Und das Foto, die Fotografie, die ich am liebsten mag, ist Frida im Innenhof ihres blauen Hauses (das mit dem Blau ist bekannt, es ist eine Schwarzweiß-Fotografie). Sie sitzt auf einem Stuhl und trägt einen chinesischen Anzug, Mao-Anzug sagt man heute dazu. Sie trägt ihr Haar offen, lang und glatt, in der Mitte gescheitelt. Sie sitzt sehr lässig da, in der Sonne oder ist es Halbschatten und sie raucht. Eine Abbildung der modernsten und unabhängigsten Frau unter der Sonne (von ihrer Diego-Fixierung abgesehen). Mir fallen nicht so viele Frauen ein, die man einfach so anstatt von Frida auf diesen Stuhl setzen könnte. Veruschka vielleicht. Vera von Lehndorff. Oder Uschi Obermaier. (EDIT und Patti Smith, unbedingt Patti und Nico und St. Phalle) Oder mich. Haha.

Ja. Für diese Bilder und auch die anderen natürlich hat es sich allemal gelohnt. Ich bin ja keine Kunstpassantin, die das mal eben mitnehmen wollte. Da ist schon eine tiefe Verbundenheit. Aber das war für viele so, die in der Schlange standen, das faszinierte mich. Nur die wenigen Gespräche in meinem Radius der Wartenden. Neben mir eine Frau, ca. Mitte Fünfzig, die schon im Casa Azul war, vor zehn Jahren oder mehr, in Fridas Haus. Viele von weit her angereist. Babylonisches Sprachgewirr erfüllte die Schlange. Hinter mir zwei deren Muttersprache nicht Englisch war. Er Italiener, sie - - - ? Keine Ahnung. Sie sprach akzentfrei, aber suchte zu sehr nach Begriffen, dass man Englisch für ihre Muttersprache hätte halten können. Er ganz schlimmer italienischer Akzent. Ich muss dann auch versuchen wegzuhören, das ist anstrengend, auf Dauer. Die beiden lernten sich also in der Frida-Schlange kennen. Nach eineinhalb Stunden tauschten sie E-Mail-Adressen und Telefon-Nummern und zeigten sich gegenseitig Sachen auf den Displays ihrer Handys. Vielleicht Familienfotos. Ich weiß noch, dass sie sagte, sie hätte sich am Anfang in Berlin sehr einsam gefühlt, aber jetzt nach vier Wochen, ist es langsam in Ordnung. Sie hat so eine große Familie, die sie vermisst. Wo auch immer. Vielleicht ein osteuropäisches Land. Die beiden mochten sich.

Ja. Und ich und Frida. Das ist eine Geschichte, die zum Anfang der Neunziger reicht. Ich wusste etwa seit Mitte der Achtziger, dass diese Kahlo mit ihren knallbunten Bildern und Kostümen existiert, ihr Look wurde auch gerne in Hochglanz-Fotosproduktionen zitiert. Nicht selten in der Vogue. Darüber konnte man gar nicht hinwegsehen. Als ich Anfang der Neunziger eine Affäre mit einem Lateinamerikaner begann, wurde ich unversehens in ein Frida-Kahlo-Universum in Berlin geworfen. Seine Wohnung, ein schönes Dachgeschoss am Charlottenburger Schloss war das reinste Kahlo-Museum. Ich wohnte ein paar Sommerwochen bei ihm, als seine Frau, die Scheidung war nur noch eine Formalie, mit den beiden Kindern verreist war. Er übersetzte das Synchrondrehbuch für einen Kahlo-Film, der 1986 entstand und hatte sich schon deshalb mit ihr intensiv beschäftigt. Diese ganze Wohnung sah aus wie eine Fortsetzung der Bildbände, die Fridas Umgebung zeigten. Gewebtes aus Lateinamerika an den Wänden, über Sofas. Ein Bananenbaum auf dem Balkon, neben dem Oleander, wo wir frühstückten. Überall lagen Bildbände und Bücher über ihr Leben herum. Drucke, Poster. Und ich hatte Zeit zu lesen und las. Alles was da herumlag. Die Geschichte ist ja bekannt. Viele Jahre später erschien eine Faksimile-Ausgabe ihres gemalten Tagebuchs, die ich mir kaufte. Und ich erinnere intensiv eine Inszenierung von Kresnik in der Volksbühne über ihr Leben und Sterben. Ich bin kein großer Tanztheater-Fan, aber das war grandios.

Ich bewegte mich sehr schnell durch die Ausstellung. Aber das mache ich meistens. Bei bestimmte Exponaten verweile ich länger. Die Textur interessierte mich, der Farbauftrag. Sie malte sehr dünnflüssig. Man sieht selten den Pinselstrich. Beinah wie vorskizziert und dann ordentlich ausgemalt. Manche Bilder überraschend kleinformatig. Diejenigen, die sie im Bett malte. Aber das versteht sich von selbst.

Da lief ein Film, eine Dokumentation, auf einem lieblos in den dunklen Baustellenbereich (der gar keine Baustelle war, wie ich später erfuhr, sondern eine andere Ausstellung) plazierten Fernseher und davor drei dicht besetzte Stuhlreihen. Ich verstand das nicht. Es gibt so einen schönen Kinosaal im Gropiusbau. Mir war immer noch kalt und ich verließ die Ausstellung nach einer guten halben Stunde. Sah mich noch ein paar Minuten in der Buchhandlung um, kaufte fünf Frida-Postkarten und lief schnell nach draußen, wo gerade ein Taxi kam.



Ich sagte der Taxifahrerin, dass ich so schnell wie möglich in meine Badwanne nach Hause will. Der zweite Teil meines Frida-Abends. Ich hatte Postkarten gekauft, die sie selbst zeigten und während das Wasser in die Badwanne lief, machte ich ein paar Bilder. Trank einen Schluck Rotwein und warf zwei Aspirin ein. Ich hatte die Befürchtung, mich erkältet zu haben. Deswegen auch das heiße Bad. Erkältungsbad. So ein unfassbar dunkelgrüner Badezusatz. Ich glaube, ich hab die Kurve gekriegt. So war das mit Frida. Und jetzt geh ich schlafen.




http://www.flickr.com/photos/gaganielsen/sets/72157624702840074/

http://fkahlo.com/
g a g a - 22. Aug, 15:06

Dieses Bild


nanou - 22. Aug, 18:02

Verblüffend!
So !!! hatte ich das noch nie gesehen.

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