08. April 2016

Tagebuch 8. April 2016: pikante Kleidungsfehler. Echoverleihung. Ruhm.



Nächste Episode. S-Bahn die zweite. Heute. Ein Mann setzt sich mir gegenüber. Seine Hose steht offen. Er bespaßt eine Horde Kinder im Grundschulalter, für die er offenbar verantwortlich ist. Wandertag wahrscheinlich. Er hat eine Unterhose an, also halb so wild. Ist auch kein großartiges Paket zu erkennen, das einen auf unsittliche Gedanken bringen würde. Man guckt ja schon gerne hin, sofern da Bemerkenswertes auszumachen ist. Jedenfalls würde ich ihm eigentlich - aus reiner Freundlichkeit - gerne einen Hinweis geben. Aber wie macht man das, ohne dass es peinlich für ihn ist. Dabei kenne ich sogar die ultimative Formulierung für diese Situation: "OFFEN GESTANDEN gefällt mir Ihre Hose nicht so gut." Setzt allerdings eine fixe Kombinationsgabe voraus. Wenn man den Satz dann natürlich noch erklären müsste oder womöglich durch eine plakative Geste untermalen, wäre auch nichts gewonnen. Also sagt man nichts und sieht darüber hinweg. Ist wahrscheinlich die eleganteste Lösung. Traumwetter heute. Die Bäume schlagen schon aus. Unten am Gispdreieck überall zartes Frühlingsgrün. Hinten links blüht ein Baum weiß, der ist immer der erste. Sehr schön. Während ich gestern Bilder sichtete und bearbeitete, ließ ich nebenher den Fernseher mit der Echo-Verleihung laufen. Bei der dritten Laudatio hatte ich den Eindruck, dass sämtliche Preisträger einer Gehirnwäsche unterzogen wurden. Ich hörte ungefähr dreißigtausendmal "Ich danke UNIVERSAL". "Ich danke meiner großartigen Plattenfirma UNIVERSAL" "Mein ganzer Dank geht an die tollen Leute von UNIVERSAL". Mir klingelten schon die Ohren. Und was für Kasperlefiguren da antraten. Einer mit einem weißen Hoodie-Strampelanzug mit übergezogener, zu großer Kapuze, so wie seinerzeit das Kostüm von Kylie Minogue, nur ohne Hot Pants. Ich kann mir die Namen ja nicht merken. Da war bis auf eine Ausnahme nicht ein Preisträger dabei, der mich in irgendeiner Weise beeindruckt hätte. Wie hieß der noch. So eine youtube-Entdeckung mit längeren Haaren und Hut, der konnte sehr gut Gitarre spielen, ist mit Frau Connor auf der Bühne gewesen. James Bay heißt er. Seine Performance war ziemlich gut. Und dann noch der Chor, der Space Oddity zum Gedenken an David gesungen hat. Aber der Rest, das war doch alles Schrott für meine Begriffe. Das neue Lied von Udo Lindenberg hat mich allerdings auch kurz gerührt. Des Textes wegen. Aber er ist jetzt halt ein alter Udo, bei dem die jugendlichen Gesten nicht mehr die beabsichtigte Wirkung entfalten. In dem Alter, er wird ja bald siebzig, ist es dann doch geschickter, sich einen reduzierteren oder besser gesagt erwachseneren Gestus zuzulegen. Dieses zappelige Herumgefuchtel hat leider nicht den Effekt von jugendlicher Dynamik. Udo ist schon sehr stark gealtert. Respekt vor seinem Werk hat man natürlich trotzdem. Aber insgesamt eine seltsame Meute, die da aufeinandertrifft. Wie kann man sich überwinden, und ich denke da jetzt speziell an Michi Beck, den ich noch am Abend vorher in einem ungekünstelten Modus gesehen habe, aus lauter Opportunismus und aufgrund einer einem Vertrag geschuldeten Kompromissbereitschaft, derart aufgesetzt wirkende Lobesworte an Helene Fischer zu adressieren. Kriege ich einen zuviel, bin ich raus. Und Frau Schöneberger hatte doch wohl eindeutig einen im Tee. So konfus und angeknipst habe ich sie ja noch nie gesehen wie gestern. Überhaupt scheint schon vorher mehr als verträglich gesoffen und geschluckt worden zu sein. Was für ein Trauerspiel an fahrigem und einfältigem Gelalle. Aber vielleicht sind die ja alle auch im nüchternen Zustand nicht viel eloquenter. Der Taxifahrer, der mich vorgestern zum Nhow brachte, erzählte, dass er vor zwei Jahren bei der After Show Party gekellnert hat und er einen eher unentspannten Eindruck von der Gesellschaft hatte. Daraufhin breitete ich ihm meine These aus, dass diejenigen, die sich unbedingt in dieser Liga bewegen wollen, absolut erfolgsorientiert und fokussiert sind, sein müssen, und den erforderlichen Biss aufrechtzuerhalten, erfordert in einigen oder sogar den meisten Fällen, Unterstützung durch Hilfsmittel. Bis der Ofen aus ist. Wie sollte jemand unter so einem Erfolgsdruck entspannt sein. Wer Entspannung als Priorität hat, landet niemals in dieser Liga. Die Entspannten werden nicht berühmt. Und die Berühmten sind nicht entspannt. So ist das. Es sei denn, man schafft ein Lebenswerk, auf dem man sich irgendwann ausruhen kann. Und dann gibt es vielleicht auch noch einen Mittelweg, bei dem die vielzitierte "Work-Life-"Balance" möglich ist. Aber der führt dann nicht zu Preisverleihungen, muss man sich darüber im Klaren sein. Ist aber vielleicht langfristig gesünder. Till Lindemann sah auch etwas angespannt aus. Die müssen alle gut auf sich aufpassen.
Casino - 8. Apr, 15:01

interessant, habs jetzt fast hören können, was da auf die bühne kam. ist nicht der hit-ruhm auch ein besonders schnelllebiger? und wenn der ruhm, also verkaufszahlen, als qualitätskriterium herhalten muss, dann ist ja auch der einzelne und das besonders an seinem song nicht mehr so wichtig, da geht es nur um das, was die masse mag, um songs nach irgendeinem magischen rezept, das haben die kompositeure immer schon als mahnruf im kopf beim erfinden. wenn alle so einen biss haben, und alle sich unter gleichen verständigen müssen, dann bleibt ja nur die droge.

(meine mutter wollte unbedingt den echo gucken, um einen eindruck von popmusik zu bekommen, "weil ihr das doch alle so mögt". sie spricht das mit anführungszeichen, mal nachfragen, ob sie etwas gefunden hat beim zuhören.)

g a g a - 8. Apr, 18:36

Wie hieß es früher immer: nichts gegen lange Haare, aber gepflegt müssen sie sein!" Nichts gegen Popmusik, aber gepflegt muss sie sein. Mir waren da zuviele qualitative Einbrüche, gerade auch was die sogenannten Nachwuchskünstler anging, ganz flache, farblose Stimmen, komisches Herumgehampel. Wie im Kindergarten. Und die gealterten Künstler versuchen krampfig jünger zu wirken. Till Lindemann sollte auch ein anderes Haarfärbemittel benutzen. Und dann natürlich dieser komische Beigeschmack von Vetternwirtschaft, der die ganze Veranstaltung durchzog. Willkommen in der Universal Scientology Church.
marie.sophie - 24. Apr, 19:54

Udo Lindenberg rührt mich immer. Cello. Ich kann das nur selten hören, so sentimental bin ich nun und das ist nicht wenig beschämend.

g a g a - 24. Apr, 21:08

ich kann daran nichts Beschämendes entdecken. Cello ist ein wundervolles Lied. Mag ich sehr.
g a g a - 23. Aug, 16:27

fb ~ 08.04.16

Detlev Schilke
<3

Gaga Nielsen
(wie charmant, ein Herz für einen nicht ganz so herzigen Text...!)

"Wie hieß es früher immer: nichts gegen lange Haare, aber gepflegt müssen sie sein!" Nichts gegen Popmusik, aber gepflegt muss sie sein. Mir waren da zuviele qualitative Einbrüche, gerade auch was die sogenannten Nachwuchskünstler anging, ganz flache, farblose Stimmen, komisches Herumgehampel. Wie im Kindergarten. Und die gealterten Künstler versuchen krampfig jünger zu wirken. Till Lindemann sollte auch ein anderes Haarfärbemittel benutzen. Und dann natürlich dieser komische Beigeschmack von Vetternwirtschaft, der die ganze Veranstaltung durchzog. Willkommen in der Universal Scientology Church."

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