16. Oktober 2011



Man sollte nicht denken, Blogeinträge über geschichtliche Zusammenhänge wären nicht privat. Alles was ich schreibe ist privat. Meine private Interessenslage ist das sogenannte "Schicksal" zu verstehen. Und das findet nicht im Vakuum statt, sondern in einem Land, mit Zeitgenossen, die einen Lebensweg wählen. Eine Art zu leben. Die Verstrickungen unserer Vorfahren reichen immer in unser eigenes Leben. Aber das wollte ich jetzt eigentlich gar nicht großartig erklären. Ich kann mich tief in ein Thema versenken, es ausloten, abarbeiten. Und dann ein Kapitel schließen, wenn aus den Fragezeichen Punkte geworden sind.

Letzte Nacht träumte ich etwas, woran ich mich sogar erinnere, die letzte Sequenz. Irgendeine Wohnung oder Wohngemeinschaft. Menschen, die mir in den letzten drei vier Jahren nahestanden (und jetzt nicht mehr), an einer langen Tafel, die Gesellschaft hat sich gerade aufgelöst, ist in Aufbruchstimmung, verstreut in die verschiedenen Zimmer der Wohnung. Es ist taghell. Die Tafel hat ein weißes Tischtuch. Jemand, der mir wichtig war, mäandert immer wieder zum Tisch, beobachtet mich, während ich abräume. Ich habe vor, den Tisch komplett abzuräumen, sauberzumachen. Konzentriere mich darauf die Teller zu stapeln, die Krümel zusammenzuschieben, fühle mich taxiert. Ich lasse mich nicht aus dem Konzept bringen, aus Trotz. Ich werde diese Blickattacke einfach ignorieren. Kein Blick mehr. Keine Energie, keine Kraft mehr in diese Richtung. Ich bin damit fertig. Es bekäme mir nicht.

Ich bücke mich unter den Tisch, um eine vermeintliche Serviette aufzuheben. Aber es ist ein gefalteter Brief. Auf diese Art transparentes Butterbrotpapier geschrieben. Ein Din A-5-Blatt. Ich erkenne die Handschrift, mit schwarzem Filzstift, lese ich einen Brief an mich. Jemand, der mir vor mehr als zehn Jahren etwas bedeutete und plötzlich verschwand, muss hier gewesen sein, ohne dass ich es bemerkte. Er schreibt, er müsste mich treffen, um mit mir zu reden. An einem See. Es ist ein See in der Nähe der Wohnung, ich glaube ein Waldsee. Mit Seerosen. Ich bin sehr überrascht und weiß doch, ich werde nicht hingehen. Er schreibt, er hätte mir eine Menge zu sagen, zu erklären. "4 Tonnen". Schreibt er. Ich sehe ihn dabei grinsen, weil er selbst weiß, es ist eine alberne Metapher. Wie aus einem Donald Duck-Heft. Er hätte mir vier Tonnen zu sagen. Mir ist das zu viel, nach der langen Zeit.

Ich fühle mich einen Moment wie gerührt, ein warmes Gefühl wie Versöhnung. Aber vier Tonnen reden will ich nicht. Ich will auch sonst nichts. Auch nicht treffen. Nicht erinnert werden. Nichts aufwärmen. Wenn es auch schön ist, plötzlich nach all den Jahren zu bemerken, dass man nicht völlig vergessen war. Oder die Erinnerung wieder erwacht ist. Er will es aufarbeiten, deswegen soll ich heute vormittag um soundsoviel Uhr am See sein. Ich stelle fest, dass die Zeit des vorgeschlagenen Treffpunkts schon einige Stunden vorbei ist. Es ist schon Nachmittag. Der am-Tisch-Mäandernde sieht, dass ich einen sehr persönlichen Brief an mich lese. Es ist ihm nicht recht. Ich sehe es an seinem unruhigen Gesichtsaudruck. Ich finde, es geht ihn nichts an. Und es ist auch zu spät, mich anzusehen, als gäbe es eine Verbindung oder Verbindlichkeit. Ich fühle mich niemandem mehr verbunden und bin auch froh, dass sich die Sache mit dem See erledigt hat. Ein bißchen tut es mir schon für den Mann am See leid, aber ich muss die Gewichtungen in meinem Leben richtig verteilen. Trotzdem empfinde ich eine ganz kleine warme Freude über den Brief, diesen späten Versuch. Ich wache auf und stehe ganz früh auf. Wie noch nie an einem Sonntag ohne besondere Pläne. Es war noch dunkel.

Ich ließ ein heißes Bad ein. Ich badete meiner Erinnerung nach noch nie morgens, direkt nach dem Aufstehen. Mir war so sehr nach einem heißen Bad. Ich nahm die Flasche mit dem Shampoo aus der Dusche und stellte sie auf den Badewannenrand. Ich habe mir zuletzt zu Besuch bei einer Freundin die Haare in der Badewanne gewaschen. Es passte zu dem Traum und dem Tag, alles mögliche anders zu machen als sonst. So viel war es dann auch nicht, aber ich fing schon irgendwann gegen Acht an, den Blogeintrag über das Maifeld zu verfassen. Feinsäuberlich. Akribisch. Ordentlich wie ich bin. An alles gedacht. Politische Korrektheit. Widersprüchlichkeiten. Eingeständnisse. Relativierung. Alles. Ich finde, ich mache das gut, mit diesen historisch eingefärbten Blogeinträgen. Man muss sich auch mal selber loben.

Das war also was ich träumte, was ich erinnere. Und das war nur der Schluss. Ich träume so intensiv, immer, und kann kaum etwas greifen, erinnern, festhalten. Eine Sache fällt mir aber gerade ein, die gar nichts mit mir zu tun hat. Ich träumte, dass die bloggende Kaltmamsell ein Job-Angebot für eine leitende Stelle beim Technischen Hilfswerk bekommt, irgendeine interessante Führungsposition. Ich weiß nicht, warum ich darüber informiert war im Traum. Ich kriegte es einfach mit. Und sie erzählte dann, dass sie die Stelle wahrscheinlich annehmen wird, weil sie das mit ihren sozialen Idealen gut vereinbaren kann, die Zielsetzung des Technischen Hilfswerks. Ich fand das auch gut. Sie muss bestimmt sehr lachen, wenn sie das liest. Als ich es vor einiger Zeit träumte, dachte ich beim Aufwachen: "gar nicht so abwegig. Gute Sache eigentlich!". Sie war auch sehr zufrieden mit ihrer neuen Perspektive. Das Technische Hilfswerk agiert ja auch weltweit. Sehr spannend. Keine Ahnung, wie solche Sachen in meinen Kopf kommen. Mitten in der Nacht. Apropos. Gute Nacht.

16. Oktober 2011



Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schreibt in ihren einleitenden Worten zur Geschichte des Olympiageländes:

"Mit Olympiastadion und Olympiagelände besitzt Berlin wohl die bedeutendste monumentale Sportanlage des 20. Jahrhunderts in Europa. Die Anlage (...) zeigt ein Jahrhundert deutscher Sportgeschichte, von der Wiederbelebung der olympischen Idee bis zum modernen Sport. Die Bauten, Freiflächen und Skulpturen vereinen sich zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk, zu einem wirkungsvollen Monument von Architektur und Raumgestaltung der nationalsozialistischen Ära. Die Anlage erinnert an die engen Verflechtungen von Sport und Macht, an die politischen Ideen und Ideologien, die (...) im Dritten Reich und auch in der Nachkriegszeit mit Körperkultur und Sport verbunden waren."



In der Tat findet man sich im monumentalen Bühnenbild eines vergangenen Stückes mit denkbar theatralischer Ambition. Wie hätte das seine Wirkung verfehlen können. Und weiter zum Maifeld:

"Das Maifeld verdeutlicht die Einheit von Sport, Architektur und nationalsozialistischer Ideologie. Als nationaler Festplatz sollte das Maifeld an die Foren antiker Städte anknüpfen. Die gewaltige Rasenfläche, eingefasst von einem Stufenwall mit Sitzreihen, war als Aufmarschplatz für Kundgebungen gedacht. (...) Skulpturen und Reliefs schließen sich mit der Architektur und den gestalteten Freiflächen zu einer künstlerischen Einheit zusammen. Die Bildwerke gliedern die freien Flächen, sie vermitteln zwischen Wegen und Achsen und geben der Landschaft die Wirkung eines feierlichen Haines. An der Gestaltung der Skulpturen waren namhafte Bildhauer des Neoklassizismus beteiligt. Die Statuen verklären den gestählten menschlichen Körper, die im Sport sichtbare menschliche Kraft und den Siegeswillen. Auffallend ist der bewußte Rückgriff auf die antike Kunst, besonders auf die archaische Phase der griechischen Skulptur." Dr. Matthias Donath



Wikipedia vermerkt zur Größe und zur Nutzung nach der Nazi-Ära:

"Das Maifeld ist 112.000 m² groß und kann bis zu 250.000 Besucher aufnehmen. Die Tribünen bieten noch einmal Platz für 60.000 Zuschauer. (...) 1945 bis 1994 war es Teil des britischen Hauptquartiers in Berlin. Hier fanden bis 1994 die alljährlichen – von tausenden von Berlinern besuchten – Geburtstagsparaden der britischen Truppen für Königin Elisabeth II. statt. Das Maifeld gehörte zum Areal der britischen Truppen, die hier Cricket- ,Rugby-, Polo- und andere Wettkämpfe veranstalteten."

Die Geschichte im Hinterkopf zu haben, schadet nicht, wenn man sich dorthin begibt. Man wird im Übrigen auch durch Tafeln darüber informiert. Es ist kein unkommentierter Ort. Das Maifeld ist ein eingezäunter Bereich auf dem Gelände. Man kann da nicht mal eben so drüberlaufen. Man kann nett mit den freundlichen Mitarbeitern, die den Eingang zwischen den beiden Rosseführern von Joseph Wackerle bewachen, plaudern und versuchen sie zu becircen. Dahingehend, ob man nicht eventuell vielleicht doch, nur ein paar kleine Schritte, nur um mal die beiden Rosseführer von vorne zu sehen, nur einmal? Nein? Wirklich nicht? Die erste wirklich sehr nette Dame war hartnäckig und hat mir den Zugang verwehrt. Der zweite Versuch bei einem jungen Mann gelang. "Ich verspreche auch, dass ich die Rosseführer nicht klaue! Ehrenwort!"



Ja, doch. Das hat mich beeindruckt. Nicht nur, dass ich das Feld überhaupt betreten durfte, sondern dieses frontal vor den monumentalen Figuren zu stehen, anstatt nur durch die Eisenstäbe des Zauns zu lugen. Insofern sehen Sie hier exclusives Bildmaterial, insbesondere was die Köpfe der beiden jungen Männer, die die Pferde führen angeht. Ungeachtet dessen, dass ich den Riefenstahl-Tick mit der Untersicht gerne kultiviere - da bleibt einem nun gar nichts anderes übrig. Wie hoch mögen die sein? Sechs Meter? Gut und gerne. Und wenn man Beeindruckendes sieht, versucht man freilich das Eindrücklichste des Eindrucks widerzugeben. Sicher kann man auch Bilder davon machen, die den Ort banalisieren. Man kann schlechtere Perspektiven wählen, den Zaun einbeziehen, alles Mögliche. Aber der Zaun hat mich nicht weiter beeindruckt. Die Pferde waren es. Und der Rhythmus der Elemente. Die Rosseführer halten übrigens Handtücher in der Hand, habe ich irgendwo gelesen. Eine lustige Vorstellung eigentlich. Zwei junge kräftige Männer kehren von einem splitternackten (?!?) Ritt auf großen Pferden zurück und irgendwer hat ihnen ein Handtuch in die Hand gedrückt, um sich den Schweiß abzutrocknen. Nicht unsinnlich, das Szenario. Oder haben sie sich den Lendenschurz vom Leib gerissen, echauffiert vom Ritt? Na ja, die griechischen Figuren waren ja auch mal gerne nackig. Das muss nicht immer schlüssig sein. In der Kunst ist ja alles erlaubt. Ich denke auch nur überhaupt darüber nach, weil die auftraggebenden Herrschaften seinerzeit auf so einem ausgeprägt naturalistischen Trip waren und das Szenario ja eher eine sehr abstrakte Situation zeigt. Selbst in der Antike waren unbekleidete Ritte eher nicht die Mode. Wenn ich mir allerdings vorstelle, die beiden Jungs hätten alternativ eine römisch anmutende Gladiatorenrüstung an, gefällt mir die nackerte Variante besser.



Als ich meine Bilder so durchgeschaut habe, fiel mir auf, dass ich noch nie Postkarten gesehen habe, die diese Figuren zeigen. Da ist das historisch verständliche Tabu wohl doch noch zu groß. Politisch korrekte Befangenheit, Behutsamkeit sozusagen. Mehr als einer würde sich finden, der einer olympischen Postkarten-Edition, die die Rosseführer berücksichtigt und damit zwangsläufig ehrt, neo-nazistisches Sympathisantentum unterstellt. Da müssen noch ein paar Jährchen ins Land ziehen. Denn wer zerbricht sich heute schon bei einer Auslandsreise beim Besuch historischer Bauwerke den Kopf über den nicht selten von ebenbürtigem Größenwahn geprägten diktatorischen Kontext der dargebotenen Bauwerke und Bildhauereien, oder würde gar den Besuch oder Kauf einer Postkarte aus Gründen politischer Korrektheit meiden. Aber in meinem kleinen Blog darf ich das zeigen. Wir wollen ja auch daraus lernen, nicht wahr. Was hat unseren Vorfahren derart die Sinne vernebelt. An der Stelle kommt man mit Empathie und Verständnisforschung weiter als mit Verurteilung und Tabuisierung. Ich sehe, dass sich die ver(w)irrten Machthaber einer wirkungsvollen multimedialen Marketingmaschine bedient haben. In Stein gemeißelte Propaganda. Natürlich ist das nicht neu. Für mich ist allerdings interessant, dass es in der visuellen Sprache der Überwältigungsstrategie auch mich beeindruckende Elemente gibt. Der hysterisch-cholerische Duktus der Ansprachen der Protagonisten hingegen war mir nie als charismatisch nachvollziehbar. So gar nicht. Nicht einmal im Ansatz. Ein Mirakel.



Auf der gegenüberliegende Seite des Maifelds befindet sich der vielzitierte "Führerstand". Die exklusive Ansprachetribüne für den seinerzeitigen Chefdogmatiker. Man kann den Stand auf einigen Bildern von Weitem erkennen. Ich konnte wegen der begrenzten Aufenthaltserlaubnis nicht näher ran. Der Zugang zu dieser Tribüne erfolgt über die Langemarckhalle, die sich unmittelbar dahinter erstreckt. Eine spätere Bildreihe. Zu gewaltig die Halle, aus deren Mitte der siebenundsiebzig Meter hohe Glockenturm erwächst, der einem einen gewaltigen Rundum-Blick über die Stadtlandschaft und das angrenzende Waldgebiet mit der Waldbühne schenkt.

g a g a
ANH 19. APRIL 2024...
19.04.24, 12:57
g a g a
g a g a
Ina Weisse Wusstest...
17.04.24, 13:33
g a g a
g a g a
🧡
17.04.24, 00:21
g a g a
Ina Weisse Oh das...
17.04.24, 00:18
g a g a
Eckart Britsch 1968...
17.04.24, 00:15
g a g a
MARGARETE 16. APRIL...
16.04.24, 14:19
g a g a
Christoph M. Haha,...
15.04.24, 10:46
g a g a
Isabel Bogdan Wow,...
14.04.24, 22:26
g a g a
iGing
Ich hoffe, das ist...
14.04.24, 11:17
g a g a
Ina Weisse Liebe Gaga,...
13.04.24, 09:22
g a g a
g a g a
Eckart Britsch Rom...
13.04.24, 08:11
g a g a
MARGARETE 12. APRIL...
12.04.24, 10:09
g a g a
g a g a
Lydia G. Farblich...
11.04.24, 19:41
g a g a
Maria R. White Art
11.04.24, 10:09
g a g a
Margarete 9. April...
10.04.24, 01:13

21.47
a
April
april 2004
april 2005
april 2006
april 2007
april 2008
April 2009
April 2010
April 2011
April 2012
April 2013
April 2014
April 2015
April 2016
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren